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Täter erleidet Mittelhandbruch - Beamte in der Kritik

Mann wegen Bedrohung vor Gericht: Was passierte bei einem Polizei-Einsatz in Waldkraiburg wirklich?

Ein bevorstehender Suizidversuch alarmierte im März die Waldkraiburger Polizei: Jetzt gab es ein Nachspiel vor dem Amtsgericht Mühldorf.
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Ein bevorstehender Suizidversuch alarmierte im März die Waldkraiburger Polizei: Jetzt gab es ein Nachspiel vor dem Amtsgericht Mühldorf.

Zu einem nächtlichen Einsatz, es war gegen drei Uhr, mussten im März 2023 zwei Streifenwagen der Polizeiinspektion Waldkraiburg in den Norden der Stadt ausrücken – telefonisch war die Nachricht über einen bevorstehenden Suizid eingegangen.

Waldkraiburg – Unklare Angaben ergaben sich im Verlauf der von Amtsrichter Dr. Christoph Warga geführten Verhandlung, wer denn diesen Notruf abgesetzt habe – die Ehefrau, der 18-jährige Sohn oder die 14-jährige Tochter.

Ausgelöst hatte das polizeiliche Eingreifen ein 44-jähriger Mann, vormals Lagerist, derzeit Arbeit suchend.

Von Beleidigung bis Körperverletzung

Staatsanwältin Pia Grutsch verlas die Anklageschrift, in der vier Punkte aufgeführt waren: Widerstand gegen Polizisten, Beleidigung, Bedrohung und vorsätzliche Körperverletzung.

Verteidiger Jörg Zürner gab für seinen Mandanten folgende Erklärung ab: „Er ist seit Juli diesen Jahres wegen dauerhafter Krankmeldung arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld I. Die Beweglichkeit seiner rechten Hand ist stark eingeschränkt, es sind eine Platte und sieben Schrauben dort eingesetzt, weitere Operationen werden folgen“.

Was hatte sich aber in der Wohnung des Angeklagten zugetragen? Das Ehepaar war von einer Feier bei Verwandten zurückgekehrt, dort sei reichlich Alkohol konsumiert worden. Eine spätere Messung des Alkoholpegels ergab beim Angeklagten einen Wert von 1,44 Promille.

Der Beschuldigte geriet zuhause mit seiner Ehefrau in Streit. Als vier Polizeibeamte in der Wohnung eintrafen, stand der Angeklagte mit freiem Oberkörper in seiner Küche und wollte Nudeln kochen. Sein Rücken wies Kratzspuren auf. Von einer Benachrichtigung der Polizei wusste er nichts und so wollte er, dass die Polizisten seine Wohnung wieder verlassen. „Nun beging mein Mandant einen großen Fehler“, so sein Verteidiger Jörg Zürner weiter, „er griff zu einer herumliegenden Schere. Diesen Fehler sieht er ein, er fühlte sich durch die Heftigkeit des Angriffs allerdings sehr ungerecht behandelt“.

Wie die Affäre sich nun fortsetzte, das ist der Knackpunkt des Geschehens. Der Angeklagte behauptete, ein Polizist habe ihm mit massiver Gewalt auf die rechte Hand geschlagen, in der er die Schere gehalten hatte. Der Angeklagte wurde anschließend fixiert, zum Dienstwagen getragen und auf die Polizeiwache gebracht. Trotz heftiger Klagen über Schmerzen, nahm man dem Beschuldigten die Handschellen nicht ab. Die Hände waren auf dem Rücken gefesselt, die Beine mit Kabelbindern fixiert. So sollte der Mann nach der Aussage eines Polizeibeamten vor Selbstverletzungen geschützt werden.

Während die Staatsanwältin kaum Fragen zum Tathergang hatte, befragte Jörg Zürner die drei Polizisten intensiv. Es stellte sich heraus, dass der Mann erst am Morgen in die Forensik des Inn-Salzach-Klinikums in Wasserburg gebracht worden war, die Einlieferung in das Wasserburger Krankenhaus erfolgte am Folgetag. Dort war die Hand unmittelbar operiert worden.

Drei der vier beteiligten Beamten sagten aus, dass man dem Mann die Schere „entwunden“ habe. Ein Schlagstock sei „definitiv“ oder „zu 100 Prozent“ nicht eingesetzt worden. Vor allem diese Aussage hielt der Verteidiger nicht für glaubhaft: „Wie kann durch „Entwinden“ einer Schere ein solch komplexer Mittelhandbruch entstehen?“

Am Ende der Beweisaufnahme ergab ein Blick in das Bundeszentralregister beim Angeklagten eine – nicht einschlägige – Eintragung, 2019 war er wegen Betrugs zu einer Geldstrafe in Höhe von 750 Euro verurteilt worden.

Staatsanwältin Pia Grutsch sah die Anklage im Wesentlichen bestätigt. Sie räumte allerdings auch ein, dass die starke Alkoholisierung zu einer verminderten Schuldfähigkeit des Beschuldigten geführt hätte: „Der Mann war in einer psychischen Ausnahmesituation und hat sich auch einen erheblichen Eigenschaden zugefügt“. Sie forderte eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen in Höhe von 20 Euro.

Rechtsanwalt Zürner sah die Sachlage differenzierter: „Eine Bedrohung wurde heute von keinem Zeugen erwähnt, liegt also nicht vor. Jedoch wird uns hier eine Geschichte präsentiert, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Einsatz von Gewalt gekommen sei. In dieser Situation schaue ich natürlich auf die bedrohende Schere, ich sehe genau, was mit ihr passiert.

Ich frage mich, ob es polizeigemäßes Verhalten ist, wenn man den Angeklagten ‚wie ein Tier‘ fesselt, an Händen und an Füßen, und ihm Wasser zum Trinken aus einem Becher einflößt? Ich fordere, dass die Gesamtumstände des Einsatzes bei der Strafzumessung gravierend berücksichtigt werden – mein Mandant hat einen Dauerschaden an der rechten Hand davongetragen“.

Problematisches Verhalten der Polizei

Jörg Zürner forderte eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu 15 Euro. Der Vorsitzende entschied letzten Endes auf 120 Tagessätze zu 15 Euro. Dr. Warga sah ebenfalls drei Anklagepunkte bestätigt, während auch er keine Bedrohung erkennen konnte. Problematisch stufte der Amtsrichter das „nicht deeskalierende Verhalten der Polizei“ ein. Auch er konnte keine Erklärung finden, wie man das Verschwinden der Schere nicht sehen konnte: „Die Polizei erhält in dieser Sache keinen Preis für vorbildliches Verhalten“.

Im Verlaufe des Prozesses wurde bekannt, dass gegen die vier Polizisten eine interne Ermittlung läuft.

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