Interview mit Ibrahim Türkan
Waldkraiburgs neuer Imam über das Leben als Muslim, Integration und radikalen Islam
Waldkraiburgs Moschee hat einen neuen Imam: Ibrahim Türkan wird in den nächsten fünf Jahren das Gebet in der Ditib-Gemeinde leiten. Im Interview erzählt er, warum Türken in Deutschland längst zuhause sind und man gegen Extremismus nichts tun kann.
Waldkraiburg – Ibrahim Türkan ist seit August Imam in der Ditib-Moschee in Waldkraiburg. Dort leitet er in den kommenden fünf Jahren das Gebet. Seine Ausbildung hat er in der Türkei gemacht, vor seinem Umzug im Sommer hat er fünf Jahre in Herne, Nordrhein-Westfalen, gearbeitet. „Waldkraiburg ist sehr schön, grüner und mit mehr Wald“, sagt er auf Türkisch, denn Deutsch spricht er kaum.
Etwa 350 Mitglieder hat der DITIB Verein Waldkraiburg, wobei pro Familie jeweils nur eine Person Mitglied ist – die Gemeinde ist also deutlich größer. Neben Türken kommen unter anderem Albaner, Bosnier und Ukrainer. Auch ohne Mitglied zu sein, können Gläubige in Waldkraiburgs einziger Moschee zum Beten kommen.
Herr Türkan, gehört der Islam zu Deutschland?
Ibrahim Türkan: Ja, eindeutig. Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland sind türkischstämmig. Da ist der Islam natürlich ein Teil von Deutschland. Wir sehen das auch in öffentlichen Bereichen. Es gibt Essen für Muslime und es gibt Gebetsräume, teilweise auch in Krankenhäusern. DITIB vertritt rund 1000 Moscheen in Deutschland. Das zeigt, dass wir Moslems in Deutschland unsere Religion ausüben oder ausleben können, dass das respektiert wird.
Was bedeutet der Islam für Sie selbst?
Türkan: Das ist mein Lebensstandard, meine Lebensvorgabe. Er zeigt mir den Weg vom Aufstehen bis zum Essen und Trinken. Den Weg vom Gespräch mit den Leuten. Mein Tagesablauf geht nach dem islamischen Weg.
Welche Bedeutung hat Religion, egal ob christlich oder islamisch, heute für die Menschen?
Türkan: Seit jeher wollten die Menschen an etwas glauben, egal ob richtig oder falsch. Seit der Gründung der Welt mit Adam und Eva bis jetzt haben die Menschen die Religion gebraucht, um zu leben, um an etwas zu glauben. Der Glaube ist ein gemeinsames Interesse der Menschen. Aber das Ausleben der Religion wird leider weniger, weil die Leute auch im Alltagsstress sind.
Haben Sie schon mal Hass oder Anfeindungen aufgrund Ihrer Religion erfahren?
Türkan: Im Gegenteil, ich werde eher geliebt. Ich bin hier angekommen, habe niemanden gekannt und trotzdem war die Gemeinschaft hier hilfsbereit.
Können Sie verstehen, dass Menschen vor anderen Religionen Angst haben?
Türkan: Ja. Diese Personen haben unter sich strenge Regeln, die sie einhalten, mit Vollbart und einer Kopfbedeckung zum Beispiel. Manche könnten Angst vor diesem Aussehen haben. Aber das ist keine islamische Darstellung, das ist nicht unbedingt das, was dem Islam entspricht. Diese Menschen in der islamistischen Gruppe, die sehen die anderen dann als böse Menschen, schlimme Menschen, weil die leben ja nicht so wie wir. Genau das sollte im Islam nicht sein. Man sollte zusammen und in Frieden leben.
Gibt es in Deutschland Islamismus – also eine radikale Haltung? Und in unserer Region?
Türkan: Ich weiß nicht, ob es in Deutschland solche radikalen Menschen gibt oder nicht und wenn ja, wie viele das sind. Deswegen fällt es mir schwer, etwas dazu zu sagen. In Waldkraiburg habe ich keinen Islamismus beobachtet. Aber wenn es solche Menschen hier gäbe, die würden sich wahrscheinlich nicht offiziell zeigen. Die würden in die Moschee zum Beten kommen, aber die sind nie ein Teil unserer Gemeinschaft. Ich bin unter dem Dachverband DITIB angestellt und es ist nicht vorgesehen oder willkommen, dass solche Menschen hier in der Gemeinschaft sind.
Wie kann man verhindern, dass Menschen sich radikalisieren?
Türkan: Das kann man nicht verhindern. Es wird immer vorkommen, dass der Gruppe A nicht gefällt, was die Gruppe B tut. Der Islam ist auch ein Glaube, bei dem man sein Gehirn einschalten muss. Das ist auch in anderen Religionen so, ob katholisch, orthodox oder protestantisch. Es leben viele Menschen zusammen und deswegen wird es immer auch viele Meinungen geben. Die, die wir Radikalisten nennen, sind Personen, die sich eben nicht an den Koran halten und nicht das tun, was ein Moslem tun soll. Die drehen sich eher um ihr persönliches Ego. Aber das kann man nicht verhindern.
Braucht es vielleicht eine bessere Integration?
Türkan: Viele Türken sind hier inzwischen Bürger wie jeder andere auch. Wir sind in Deutschland schon seit 60 Jahren. Gäste waren wir früher, aber das ist jetzt vorbei. Viele haben hier mit Deutschen geheiratet. Sie haben Geschäfte aufgemacht, sind selbstständig geworden. Andere arbeiten hier als Beamte. Früher hat man oft von Integration geredet, aber jetzt leben wir schon direkt in der deutschen Gesellschaft mit. Was sollen wir denn noch tun? Wir sind hundert Prozent integriert.
Und doch gibt es Unterschiede.
Türkan: Ich möchte es nicht so verstanden wissen, dass wir wie Deutsche leben. Wir sind ja Muslime. Wir leben nach islamischer Art in Deutschland. Wenn ein Muslim 24 Stunden seinen Weg, seinen Lebensstil nach dem Koran richtet, dann gibt es Unterschiede zu anderen Kulturen. Wir trinken keinen Alkohol. Wir essen kein Schweinefleisch. Wenn Sie das von uns wollen, dann ist das nicht Integration – das ist Assimilation.
Was meinen Sie damit?
Türkan: Assimilieren bedeutet, wenn eine Person ihren eigenen religiösen und kulturellen Glauben zurücklässt. Die Deutschen gehen zum Beispiel meistens mit den Schuhen in die Wohnung. Bei uns werden die Schuhe vor der Tür ausgezogen. Wenn wir jetzt auch mit den Schuhen in die Wohnung gehen würden, wäre das eine Assimilation. Das darf nicht passieren. Man soll weiterhin seine kulturellen, religiösen Sachen vertreten, aber trotzdem hier in der Integration leben. Integration heißt Respekt zeigen.
Wie ist die Stimmung gerade in Ihrer Gemeinde?
Türkan: Normalerweise sollte ein Moslem, auch wenn er schlecht gelaunt ist, das nicht nach außen tragen. Sondern trotzdem nett und hilfsbereit gegenüber anderen sein. Schlechte Sachen soll man als Erfahrung aufnehmen und damit umgehen, Geduld zeigen. Jeder Moslem ist natürlich anders und würde das ein bisschen anders ausdrücken, aber ich kann bezeugen: Jeder Moslem ist hilfsbereit und gastfreundlich.
Vielen Dank an Zeliha Icen für das Übersetzen während des Gesprächs.