Freiwillige Hilfe für andere Menschen
Schwimmen im kalten Wasser des Inns: So packen Flüchtlinge im Landkreis Mühldorf ehrenamtlich an
Essen, schlafen, nachdenken: Vielen Geflüchteten ist das nicht genug, sie möchten etwas tun. Weil es bis zur Arbeitserlaubnis zuweilen dauert, engagieren sie sich ehrenamtlich. Von Menschen, die etwas zurückgeben wollen.
Mühldorf/Waldkraiburg – Mit großen Schritten geht Claude Muhacha bei Kraiburg in den Inn, an dessen Ufer die Überreste des ersten Schnees liegen. Bis sich das Wasser zwischen Haut und Rettungsanzug erwärmt, ist es kalt, doch das hält ihn nicht ab. Gesichert mit einem Seil schwimmt er fast bis zum anderen Flussufer, wo er Hildegard in seine Arme nimmt, sich zusammen mit der Plastikpuppe auf den Rücken legt und sich von seinen Wasserwachts-Kollegen zurück ans Ufer ziehen lässt.
Seit vier Monaten engagiert sich der Ugander bei der Wasserwacht. Inzwischen ist er als Wasserretter eine vollständige Einsatzkraft. „Es gibt nur wenige in der Wasserwacht, die in so kurzer Zeit die ganze Grundausbildung durchlaufen – 68 Unterrichtseinheiten mit Fallbeispielen und Praxistraining trotz Sprachbarriere, das verdient Respekt”, lobt Valentin Clemente, Stabsstelle Qualitätsmanagement der Wasserwacht Mühldorf. „Natürlich war das ein gewisser Zusatzaufwand, aber der hat sich jetzt schon 10.000-fach bezahlt gemacht”, sagt Kreisvorsitzender Christian Goertz.
Wasser ist Claude Muhachas Element, die Wasserwacht inzwischen fast wie seine Familie. „Am Anfang gab es kein Lächeln, ich war unsicher, ob sie mich mögen”, erinnert sich der Marine-Ingenieur, der in Afrika studiert und dort auch ein Diplom im Freiwassertauchen erworben hat. Doch als seine Ausbilder gesehen hätten, dass er aktiv und motiviert ist, haben sie sich geöffnet. „Ich mache das mit Liebe und Leidenschaft, möchte etwas zurückgeben, auch für die Anstrengung, die die Regierung für Geflüchtete betreibt”, sagt Muhacha.
Im Jemen sind Arbeitsplätze rar, Ehrenamt gibt es gar nicht
Etwas beitragen möchte auch Waleed Askar. „Nicht nur essen und schlafen, sondern etwas zu tun haben und am Abend müde sein, weil ich etwas geschafft habe.” Seit rund eineinhalb Jahren lebt er in Deutschland, seit gut sieben Monaten packt er bei der Tafel in Waldkraiburg mit an. In seiner Unterkunft hatte er viel Zeit, zu viel Zeit. Immer nur dort zu sein, hat ihn traurig gemacht. „Hier habe ich nette Kolleginnen und Kollegen”, erzählt der Jemenite. Elisabeth Maier, die sich um die Organisation der Helfer kümmert, freut sich immer, ihn zu sehen. „Waleed ist super zuverlässig, er grinst immer und macht einfach gute Laune.” Sie kennt ihn, seit er bei der Tafel angefangen hat. Damals habe er noch sehr wacklig Deutsch gesprochen, inzwischen kann man sich mit ihm gut unterhalten.
In seinem Heimatland, dem Jemen, gibt es Ehrenamt nicht. „Weil wir auch so keine Arbeit haben”, erklärt er. Das bestätigt sein Landsmann Ali Hussein, der seit zwei Jahren in Deutschland ist. „Aber im Jemen helfen Menschen immer anderen Menschen, das sagt uns die Religion.” Organisationen oder Verbände wie in Deutschland gebe es dagegen nicht. Zu der Aufgabe gekommen, sind alle vier durch Martina Wastlhuber, Hauptamtliche Integrationslotsin beim Bayerischen Roten Kreuz. Insgesamt 29 Flüchtlingen konnte sie in knapp zwei Jahren erfolgreich ein Ehrenamt vermitteln. Auch Ali Hussein engagiert sich bei der Tafel.
Helferin Barbara Ossowicki findet das hervorragend: „Er hilft, wenn jemand Kartons nicht tragen kann und achtet darauf, dass gerade Frauen nicht so schwer tragen.” „Ali sieht die Arbeit und ist bei uns sehr gut integriert”, sagt auch Helfer Kurt Gallner. Während der junge Mann beim ersten Gespräch mit den OVB Heimatzeitungen zurückhaltend war, blüht er bei der Tafel regelrecht auf. „Ich habe ein bisschen Angst, Deutsch zu sprechen, aber hier nicht”, sagt er.
Sprachbarriere und Hautfarbe sind kein Problem
Nicht nur die Sprache, sondern auch Kultur und Traditionen lernt Sophie Nabasirye bei ihrem Ehrenamt bei der Stiftung Ecksberg in Mühldorf kennen. Seit etwa vier Monaten engagiert sie sich dreimal in der Woche für die Seniorenwohngruppe, bastelt, singt und musiziert mit den alten Menschen oder sorgt für Bewegungsangebote. Sie kommt aus Uganda und lebt seit einem halben Jahr in Mühldorf. „Ich wollte in Kontakt mit der Community hier kommen, insbesondere mit alten und behinderten Menschen, die Liebe und Wertschätzung benötigen”, sagt sie.
„Die Leute mögen sie sehr gerne”, sagt ihre Vorgesetzte und Leiterin der Kreativtagesstätte, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Anfangs habe sie Bedenken gehabt, wie die Senioren reagieren würden wegen der Sprachbarriere und Hautfarbe. „Aber durch Sophies Charakter ist das nie ein Thema gewesen.” Im Gegenteil: Sie merke gerade bei den Schwächeren in der Tagesbetreuung, dass sie Dinge machen, die ihnen davor schwergefallen sind, mehr Trinken zum Beispiel. „Sophie hat da ein gutes Gefühl für.”
Nabasirye hilft das Ehrenamt, Stress zu reduzieren. „Davor war ich den ganzen Tag in der Unterkunft und habe nachgedacht”, erzählt die 42-Jährige. Jetzt sei ihr Alltag abwechslungsreich. Voraussetzung für ihre Mitarbeit sei, dass sie die Traditionen und Menschen hier respektiere, dass sie offen ist und sich integrieren möchte, sagt die Kreativtagesstättenleiterin. „Es funktioniert nicht mit jedem, aber Sophie hat mit ihrer Haltung schon beim ersten Treffen überzeugt und klar gesagt: Ich möchte arbeiten!”
Ehrenamt kann helfen, beruflich Fuß zu fassen
Für ihren Einsatz bekommen die Geflüchteten ein Zertifikat, das sie auch für Bewerbungen nutzen können. Ali Hussein würde gerne eine Ausbildung zum Koch machen. Waleed Askar träumt von einer Ausbildung zum Buchhalter. Und davon, eines Tages fließend Deutsch zu sprechen.
Herausfordernd für die Geflüchteten: Für viele Stellen braucht es eine Fahrerlaubnis. Das beschäftigt auch Claude Muhacha: „Weil ich keinen deutschen Führerschein habe, darf ich hier nicht fahren, auch nicht im Notfall – dabei würde ich gerne noch mehr helfen.” Trotzdem sagt Wasserwacht-Chef Goertz schon heute: „Claude ist goldwert!” Er habe das kaputte Schlauchboot, das immer nur provisorisch repariert wurde, innerhalb von ein paar Tagen einwandfrei gerichtet. Muhacha sagt: „Ich wünsche mir mehr Möglichkeiten, dass solche Ehrenämter vermittelt werden können. Andere haben vielleicht keine Idee, wo sie anfangen können.”




