Alkoholismus
Vier Flaschen Wein pro Tag: Wie ein 41-Jähriger den Weg aus der Sucht gefunden hat
Dry January – trockener Januar: Der Verzicht auf Alkohol ist für viele ein guter Vorsatz zum Start ins neue Jahr. Was aber, wenn man jeden Tag trocken bleiben muss? Ein Alkoholkranker erzählt.
Waldkraiburg – Der Termin ist fix im Kalender: Jeden Montag, 19 Uhr, im Haus am Ölberg neben der evangelischen Kirche in Waldkraiburg. Hier trifft sich jede Woche die Selbsthilfegruppe vom „Blauen Kreuz“ für Suchtkranke, Bernd ist seit mehr als zwei Jahren einer von ihnen.
Bernd heißt eigentlich anders, seinen echten Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er geht offen mit seiner Sucht um, in seinem Umfeld wissen alle, dass er alkoholkrank ist. Damit hat das jahrelange Verstecken, das Leugnen eines Suchtproblems für ihn ein Ende. „Meine Chefin hatte mich eines Tages auf mein Alkoholproblem angesprochen und mir zwei Optionen geboten: Mach etwas gegen deine Sucht und ich unterstütze dich oder du verlierst deinen Job“, erzählt er.
Alkohol gesellschaftlich akzeptiert
Er spürt Erleichterung statt Zorn seiner Chefin gegenüber. Denn dass er ein Problem mit Alkohol hat, sei ihm zuvor bewusst gewesen. Nur hat er nie etwas dagegen unternommen. Das liegt mitunter auch am gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol. „Alkoholismus ist eine Volkskrankheit, Alkohol Droge Nummer 1“, sagt Gottfried Menzel, der seit 1998 die Gruppe leitet. Das Trinken von Alkohol ist anders als andere Drogen gesellschaftlich akzeptiert. So erlebte es auch Bernd.
Sein Vater hatte ihm vorgelebt, dass es normal sei, jeden Tag Bier zu trinken. Mit 16 Jahren beginnt auch er. Das geht so lange, bis er 41 Jahre alt ist. Dass er aber ein echtes Problem hat, hat er lange nicht erkannt. „Zwischendurch machte ich immer wieder Trinkpausen, um mir zu zeigen, dass es auch ohne Alkohol geht.“ Einmal war er drei Wochen in Indonesien, rührt keinen Tropfen Alkohol an. „Doch danach habe ich um so mehr getrunken.“
Für Gottfried Menzel nichts Ungewöhnliches: „Das macht jeder.“ Als Rechtfertigung gegenüber sich selbst. Quartalstrinker oder Spiegeltrinker – es gibt verschiedene Trinkertypen. Wer suchtkrank ist, muss nicht unbedingt bis zum Rausch trinken. „Es geht um die Regelmäßigkeit und eine Gefährdung beginnt damit, wenn man etwas damit erreichen will. Dass es einem besser geht, dass man abschalten oder einen Ärger vergessen will“, klärt Menzel auf. Die einzelnen Stufen von Genuss, Gewöhnung, Missbrauch und Sucht sind oft fließend. „Jeder kann süchtig werden, egal in welchem Alter“, sagt Menzel. Der Alkohol wird zum Lebensmittelpunkt.
Schon immer ein schwieriges Verhältnis zum Alkohol
So erging es auch Bernd: „Ich hatte immer schon ein schwieriges Verhältnis zum Alkohol, aber richtig schlimm geworden ist es erst während der Corona-Pandemie.“ Im Lockdown kann der gelernte Friseur nicht arbeiten, ist viel allein, trinkt immer mehr.
Vier Flaschen Wein pro Tag gehörten für Bernd zum Leben, die Gedanken drehten sich oft um Alkohol: Wo kauft man die nächsten Flaschen? Wo entsorgt man das Leergut? Auffallen will man schließlich nicht. „Vor der Arbeit habe ich nie getrunken, morgens haben meine Hände gezittert, ich hatte Kreislaufprobleme“, beschreibt er die Auswirkungen seiner Alkoholsucht. Zuhause dann sofort der Griff zur Flasche.
„Wenn ich frei hatte, habe ich durchgetrunken. Für lange Zeit war das ganz normal.“ Er habe sich immer öfter isoliert, sei von Partys früher nach Hause gegangen, um dann trinken zu können. „Nach außen hin habe ich die Fassade aufrechterhalten, gelogen und viele enttäuscht, Zusagen nicht eingehalten. Der Alkohol macht einen zum besten Schauspieler.“
Entgiftung in einer Fachklinik
Bis ihm seine Chefin die Pistole auf die Brust setzt. Von da an ändert sich sein Leben schlagartig. „Ich habe nach Möglichkeiten gesucht und bin auf das ‚Blaue Kreuz‘ gestoßen.“ Bernd macht über drei Wochen eine Entgiftung in einer Fachklinik, ist während der Zeit mit Gruppenleiter Menzel in telefonischem Kontakt.
„Woche für Woche lernt man, wie man mit seiner Sucht umgeht, bekommt Tipps für den Alltag. Viel zu oft habe ich die Sucht versteckt. Es ist eine Krankheit, für die ich mich nicht schäme.“ Nach der Entgiftung geht er Woche für Woche zur Selbsthilfegruppe, wo er sein Herz ausschütten kann, sich seinem Problem stellen kann. „Es war das Beste, was mir passieren konnte.“
Der offene Umgang mit dem eigenen Alkoholproblem ist wichtig. „Man muss lernen, offen damit umzugehen. Ansonsten versteckt man sich wieder – wie schon in der Sucht. Das kann nicht gut gehen“, sagt Menzel. Der Weg aus der Sucht braucht Zeit, ohne Hilfe geht es nicht. „Die Ursache flacht zwar ab, aber die Sucht bleibt.“
Nicht an das „nie wieder“ denken
Bernd kapiert schnell, dass er nie wieder trinken darf, nie wieder trinken will. In kleinen Schritten geht es voran, an das „nie wieder“ denkt er nicht, lernt, mit den neuen Situationen ohne Alkohol umzugehen. Er hat sein Leben neu in die Hand genommen, sich beruflich weiterqualifiziert. Gottfried Menzel sieht darin einen wichtigen Schritt: „In der Sucht verliert alles an Bedeutung, was wichtig war. Nur die Flasche zählt. Mit der Abstinenz beginnt ein neues Leben, das Vakuum gilt es zu füllen. Deshalb ist es so wichtig, sich Ziele zu setzen.“
Seine Chance nutzt Bernd, hat längst erkannt, dass der Verzicht auf Alkohol ein Gewinn ist. „Noch vor einigen Jahren habe ich nur an die Flasche gedacht, heute treffe ich mich wieder mit Freunden, probiere neues aus, war beim Surfen auf Bali. In mein altes Leben will ich nicht mehr zurück.“
Selbsthilfegruppe vom „Blauen Kreuz“
Wer einen Weg aus der Sucht finden will, oder Angehöriger eines Suchtkranken ist, der kann sich der Selbsthilfegruppe vom „Blauen Kreuz“ anschließen. Die Gruppe trifft sich jeden Montag, 19 Uhr, im Haus am Ölberg neben der evangelischen Kirche in Waldkraiburg. Ansprechpartner ist Gottfried Menzel, Telefon 08639/8784.