Polnische Zwangsarbeiter-Schicksale in der Region
Drei Lebenswege, drei Leidenswege: Wie die „Tragik des Krieges“ Generationen überspannt
Kriege sind grausam – auch für die nachfolgenden Generationen: Das zeigen die Schicksale von Jan Gruchalski, seinem Halbbruder und seiner Mutter. Schicksale polnischer Zwangsarbeiter die Kraiburg, Waldkraiburg, München und Polen heute noch verbinden.
Kraiburg/Waldkraiburg/Burgkirchen – Dem 77-jährigen Jan Gruchalski fließen in seiner kleinen, bescheidenen Wohnung im polnischen Jastrowie die Tränen über das Gesicht. „Ich bin nicht traurig“, beruhigt er den Heimatforscher Andreas Bialas. „Ich bin glücklich. Ich habe mein Leben lang nicht gewusst, was mit mir und meiner Mutter passiert ist. Das hat mich mein Leben lang beschäftigt.“ Jetzt endlich hat ihn Heimatforscher Bialas erlöst.
Jan Gruchalski ist das letzte der sogenannten Ausländerkriegskinder, die von den ausländischen Zwangsarbeiterinnen aus den Landkreisen Mühldorf und Altötting in der sogenannten Ausländerkinder-„Pflegestätte“ Burgkirchen zur Welt kamen, die in Wahrheit ein Todeslager für Säuglinge war.
Kind zweier polnischer Zwangsarbeiter
Jan ist das Kind zweier polnische Zwangsarbeiter: Seine Mutter Irene Gruchalski wurde am 4. Mai 1941 als 15-jähriges Mädchen aus dem polnischen Lodz nach Ensdorf bei Kraiburg als Zwangsarbeiterin verschleppt. Sein Vater, Jan Gab kam als Zwangsarbeiter mit 19 Jahren aus dem Ort Berezowica bei Tarnopol am 1. Oktober 1941 zunächst nach Heldenstein, am 2. August 1942 nach Oberneukirchen.
Jan Gruchalski erblickte am 2. Mai 1945 in der „Pflegestätte“ in Burgkirchen das Licht der Welt. Einen Tag später befreiten die Amerikaner das Todeslager, Jan überlebte – wurde aber von seiner Mutter getrennt.
„Die Gründe für die Trennung kenne ich nicht“, sagt Heimatforscher Bialas vom Mühldorfer „Verein für das Erinnern – KZ Gedenkstätten Mühldorfer Hart“. Er forscht seit Jahren zum Schicksal der Kriegskinder. „Was ist mit ihnen geschehen? Was wurde aus ihnen?“
Jahrelang auf der Suche
Jahrelang war Bialas auf der Suche nach Jan Gruchalski. Der kam zunächst zu einer deutschen Familie, am 22. Juli 1948 nach Prien in ein Waisenhaus und am 15. Februar 1949 nach Bad Aibling. Von dort wurde er am 16. August 1950 mit 500 anderen Kindern mit dem Zug nach Polen gebracht. Dort verlor sich zunächst die Spur.
„Das hat mir keine Ruhe gegeben“, so Bialas. Er forschte weiter. Telefonbücher und Behörden halfen nicht weiter. Bialas fragte über Facebook nach – und bekam einen anonymen Hinweis: Jastrowie. Als er wieder in Polen war, fuhr er auf gut Glück hin.
In der Straße war ein Spielplatz. Bialas fragte einfach: Kennen Sie einen Jan Gruchaslki? „Ja“, sagte eine Frau. „Seine Frau ist vor kurzem gestorben.“ Sie war ihre Pflegerin, sie brachte Bialas und Jan Gruchalski zusammen.
Emotionale und bewegende drei Stunden
Ein emotionales, bewegendes, dreistündiges Gespräch. Gruchalski wollte alles wissen, hatte keine Ahnung von seinen Eltern. Bialas erzählte ihm alles, auch von der Ausländerkinder-„Pflegestätte“.
Dann schilderte Gruchalski sein Leben. In Polen kam er in Jastrowie in ein Kinderheim, litt unter seiner ungeklärten Herkunft, war unglücklich, brach mehrere Lehren ab, ehe er auf einer Kolchose als Traktorfahrer einen Ruhepol fand. „Da war ich glücklich“, erzählte er Bialas. Dort blieb er bis zur Rente, lebt hier bescheiden, aber glücklich, hatte eine Frau, eine Tochter und einen Sohn. Beide Frauen sind inzwischen gestorben. „Er ist ein liebevoller, guter Mensch“, so Bialas.
Bialas forschte weiter. Er fand die Mutter. Sie lebt in der Nähe von München. Bialas besuchte sie: Zunächst sei alles sehr freundlich gewesen, so Bialas. Sobald er auf Jan kam, „hat sie sofort geblockt. Die Vergangenheit ist äußerst schmerzlich für sie. Sie sagte, sie weiß nichts und ich solle sofort gehen.“ Die Spur von Jans Vater verliert sich kurz nach Kriegsende. „Ob er zurück nach Polen, die Ukraine oder in andere Länder ausgewandert ist, ist unklar“, sagt Bialas. „Jan Gruchalski hat seinen Vater nie gesehen und wusste auch nichts von ihm. Erst von mir hat er den Geburtsort seines Vaters erfahren und dass er Zwangsarbeiter war.“
Der Mutter ist es „sehr schlecht gegangen“
Und noch eine Entdeckung machte Bialas: Jan hatte einen Halbbruder. Er wurde im Juli 1948 in Wasserburg geboren und zur Adoption freigegeben. Bialas vermutet, dass es der Mutter damals „sehr schlecht gegangen ist.“
Der Halbbruder hatte Glück: Er kam in eine Pflegefamilie, die ihn liebevoll aufnahm und zusammen mit ihren eigenen drei Kindern erzog. Er machte eine Ausbildung, spielte Akkordeon und Trompete, fand in Waldkraiburg eine Arbeit und gründete hier eine Familie, hatte drei Kinder. Vor fünf Jahren verstarb er. „Er wusste bis zu seinem Ende nicht, dass er noch einen Bruder hatte“, so Bialas. „Er teilte das Schicksal vieler Kinder von Zwangsarbeiterinnen.“
„Das ist die Tragik des Zweiten Weltkriegs“, meint Bialas angesichts des Schicksals von Jan, seinem Halbbruder und seiner Mutter. „Da wird mir wieder klar, welche Folgen Krieg haben kann. Es geht immer weiter und die Spuren ziehen sich durch ein ganzes Leben, diese Unwissenheit, dieser Schmerz. Das habe ich schon mehrmals beobachtet.“
Jan hat einen Energieschub bekommen
Für den 78-jährigen Jan war die Begegnung mit Bialas und seiner Geschichte hilfreich. Seitdem sei er wieder hoffungsvoll, hat Bialas erfahren: „Er ist nicht mehr zu erkennen, er hat einen Energieschub bekommen und stellt ständig Fragen.“ Im Sommer möchte Jan Gruchalski Andreas Bialas und die Stätten seiner Herkunft in den Landkreisen Mühldorf und Altötting besuchen.



