„Passt auf, dass so etwas nicht noch einmal passiert“
Gedenkfeier zur Auflösung des KZ Mühldorf - Das Leid verbindet ganz Europa
Das Leid, das der Nationalsozialismus über Europa gebracht hat, ist heute ein Grundstein für eine gemeinsame Zukunft. Beim Gedenktag zur Auflösung des KZs im Mühldorfer Hart berichteten Menschen aus europäischen Ländern über das Gedenken in ihren Ländern.
Mühldorf - Der Gedenktag zur Auflösung des Konzentrationslagers im Mühldorfer Hart stand heuer ganz im Zeichen Europas. Europa erinnert sich gemeinsam an die Schrecken der Nazizeit, hieß es bei den Veranstaltungen im Gymnasium Mühldorf, einer Gesprächsrunde im Haberkasten und der Gedenkfeier am Bunkerbogen.
Vor 78 Jahren räumte die SS das Lager Mühldorf - eine Außenstelle des KZ Dachaus, und schickte die letzten Häftlinge auf einen Todesmarsch. Knapp 4000 Menschen litten und starben im Wald zwischen Mühldorf und Waldkraiburg.
Gesprächsrunde im Mühldorfer Haberkasten
Im Haberkasten diskutierten Laurence Steinmetz ist die Enkelin von Robert Thomas, welcher das Waldlager überlebt hat. Er ist Jahrgang 1921 und nach Auskünften von Madame Steinmetz (eine Gymnasiallehrerin für Geschichte und Französisch) bei guter Gesundheit. Doktor Margareth Lun vertrat die Belange von Südtirol. Sie hat ihre Doktorarbeit über die Herrschaft der Nationalsozialisten in Südtirol geschrieben. Erich Finsches ist ein Überlebender des Waldlagers, er kommt aus Österreich. Karl Freller ist Direktor der ‚Stiftung Bayerische Gedenkstätten‘. Gabor Tordai-Lejko ist ungarischer Generalkonsul in Bayern, Pierre Clouet stellvertretender französischer Generalkonsul in Bayern. Pierre M. Wolff fungiert als Vertreter der Vereinigung „Souvenir Francais“, eine französische Organisation, die das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust, den millionenfachen Mord an Juden aufrecht erhält. Max Heimerl ist Landrat des Landkreises Mühldorf.
Moderiert wurde die Runde von Museumsleiter Korbinian Englmann und Dr. Jascha Merz von der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.
Landrat Max Heimerl eröffnete das Gespräch: „Sie alle, die gekommen sind, haben gemein, dass die Gräueltaten der Nationalsozialisten niemals vergessen werden sollen. 8300 Häftlinge aus ganz Europa, viele Jüdinnen und Juden waren im Waldlager eingesperrt, fast die Hälfte überlebte es nicht. Auch der Landkreis Mühldorf beteiligt sich daran, das Gedenken an das Unmenschliche aufrechtzuerhalten. Im Museum haben wir die Dauerausstellung mit dem Thema „Alltag, Rüstung, Vernichtung. Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus“ und wir haben den „Verein für das Erinnern“, einen wichtigen Initiator dessen, dass bisher zwei von drei Gedenkorten im Mühldorfer Hart besichtigt werden können“.
Gemeinsames Leid als Grundlage für Frieden
Der Vorsitzende des „Vereins für das Erinnern“ Franz Langstein sagte: „ Vor 60 Jahren wurde der Elysee-Vertrag unterzeichnet, eine Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft und auch der Gründung der Europäischen Union, die für Freiheit, Frieden, Demokratie und Menschenwürde steht“.
Karl Freller erinnerte an die große Zahl von KZs in Deutschland: „ Es hat bei uns über 200 kleine KZ-Außenlager gegeben, die Deutschen damals bekamen schon etwas mit. Mitte der 60er Jahre begann die Aufarbeitung des Themas mit der Wiederbelebung der Gedenkstätten in Dachau und Flossenbürg. Seit 20 Jahren gibt es dafür eine eigene Stiftung, der ich seit 15 Jahren vorstehe. Damals hatten wir in Dachau etwa 500.000 Besucher pro Jahr, heute sind es über eine Million. Wir haben auch immer Zeitzeugen in die Schulen geschickt, zum Beispiel Max Mannheimer. Aber die Zeitzeugen sterben nach und nach“.
Der KZ-Überlebende Erich Finsches, am 11. September 1927 in Wien geboren, gab den Anwesenden folgendes mit auf den Weg: „Passt auf, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Jeder Mensch soll nach den 10 Geboten leben. Ich gehe heute noch in Schulen und spreche zu Schülern“.
Gabor Tordai-Lejko skizzierte die Behandlung des Themas in Ungarn: Die Deportationen in Ungarn begannen erst im Frühjahr 1944, aber innerhalb von 2 Monaten wurden etwa 550.000 Menschen in Auschwitz ermordet, hauptsächlich Juden. Nach dem 2. Weltkrieg gab es bei uns keine Erinnerungskultur, wir lebten ja im Kommunismus. Erst um das Jahr 2000 änderte sich dies, am 16. April 2001 wurde zum 1. Mal ein Holocaust-Gedenktag veranstaltet. Synagogen wurden erneuert, in München halten wir mit Charlotte Knobloch einen Gedenktag.
Frankreich: Opfer und Täter
Pierre Clouet benannte die drei Spannunhgsfelder der Situation, in der sich Frankreich befand: „ Einerseits waren wir seit 1940 mit der Eroberung von Paris ein Opfer der Nazis. Andererseits gab es die Kollaboration, die Zusammenarbeit mit den Deutschen unter Marschall Petain, wir waren also auch Mittäter. Drittens waren wir am Ende des Zweiten Weltkrieges eine von vier Siegermächten und daher auch Besatzungsmacht. Die Franzosen wollten einerseits vergessen und nicht mit den Nationalsozialisten auf eine Stufe gestellt werden. Erst Präsident Jacques Chirac hat sich für das Vichy-Regime (das Frankreich unter Marschall Petain, die Redaktion) entschuldigt, es gab Entschädigungen für die Opfer des Holocaust und das Thema wurde im Unterricht behandelt.
Faschismus in Italien aufgearbeitet
Margareth Lun führte aus, dass Südtirol unter zwei Diktaturen gelitten hätte: „1922, nachdem Mussolini erfolgreich auf Rom marschiert war, begann die Diktatur unter den Faschisten, 1943 marschierten die Nazis ein. Nach 21 Jahren unter Mussolini wurden die Deutschen als Befreier jubelnd empfangen. Aber auch die negativen Seiten kamen damit nach Südtirol: Es gab in Bozen dann sogar ein KZ mit 7 Außenlagern, was ich lange nicht gewusst habe. Die Geschichte des Faschismus wurde in Italien aufgearbeitet, die der Nazis kaum“.
Pierre M. Wolff, dessen Organisation „Souvenir francais“ mit dem VdK, dem Deutschen Kriegsgräberbund vergleichbar ist, berichtete, dass im Mühldorfer Waldlager von 434 deportierten Franzosen 118 gestorben seien, die meisten waren sogenannte „Maquinards“, also Widerstandskämpfer der Resistance.
Laurence Steinmetz übersetzte die Videoeinspielung ihres Großvaters: „Mein Opa fühlt sich geehrt, dass Sie in Deutschland ihn und die Geschichte seiner Kameraden nicht vergessen haben. Er wird das ganze nie vergessen.
Schüler trafen sich mit der Enkelin eines KZ-Überlebenden
Am Vormittag des Gedenktages hatten sich Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe des Ruperti-Gymnasiums, Direktorin Christine Neumeier und die Lehrerinnen Ulrike Schmid, Birgit Kainzmaier und Sandra Fey mit Angehörigen von KZ-Häftlingen getroffen.
Sie sprachen mit Laurence Steinmetz, Enkelin von Roland Thomas. Ihr Großvater hat das Lager im Mühldorfer Hart überlebt. Sie wurde von Pierre M. Wolff begleitet, er ist bayerischer Vertreter des „Souvenir Francais“, einer Organisation des französischen Gedenkens. Steinmetz erzählte über das, was ihr der Opa über seine schwere Zeit im Mühldorfer KZ erzählt hat. „C’etait l‘enfer“ hatte der Großvater diese Zeit zusammengefasst: „Es war die Hölle“. Nach anfänglichen Berührungsängsten entspann sich bald ein reger Gedankenaustausch – natürlich in französischer Sprache.

