Neumarkt-St. Veits Traditionsverein feiert Jubiläum
Strenge Statuten beim Arbeiterverein: Wer unmoralisch handelt, bekommt keine Unterstützung!
Der Arbeiterverein Neumarkt-St. Veit bereitet sich auf ein historisches Ereignis vor: Im Jahr 2024 wird das 150-jährige Jubiläum des Vereins gefeiert. Warum er einst eine halbe Million Mark für eine neue Fahne ausgegeben hat.
Neumarkt-St. Veit – Wenn man auf die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts zurückblickt, zeichnet sich ein Bild des Wachstums ab und der Arbeiterverein gewann innerhalb der lokalen Gemeinschaft zunehmend an Bedeutung. Diese Entwicklung manifestierte sich insbesondere nach dem Rücktritt von Michael Drexler als Vorstand im Jahre 1900, als Lorenz Waxenberger und später Franz Xaver Huber das Ruder übernahmen. Ihre Führungsrollen wurden durch eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1902 dokumentiert, welche heute noch im Rathaus von Neumarkt-St. Veit zu bewundern ist.
Immer nur Fortschritt – und dann kam der Erste Weltkrieg
Die folgenden Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren eine Zeit des Fortschritts und der Innovation unter der Leitung von Josef Winter, Josef Frank und August Fortmühler. Im Jahr 1911 führte der Verein das Eisstockschießen am Sebastianitag ein. Eine Sportart, die nicht nur die Mitglieder begeisterte, sondern auch die Gemeinschaft zusammenschweißte und 100 Jahre lang fester Bestandteil des Vereinslebens bleiben sollte. Im darauf folgenden Jahr, 1912, sah sich der Verein jedoch vor die Herausforderung gestellt, die Regelungen zur Auszahlung von Unterstützungsgeldern zu überarbeiten. Denn die Verteilung der finanziellen Ressourcen an kranke Mitglieder sollte gerecht und nachhaltig sein.
Raufereien, Streitigkeiten oder Trunksucht
Welche strengen Vorgaben die Erkrankten erfüllen mussten, kann man dem damals neu gefassten Paragraphen des Vereinsstatuts entnehmen. Diese Änderung des Paragraphen 21 musste in der Generalversammlung am 14. Januar 1912 von den Vereinsmitgliedern beschlossen werden und hat folgenden Wortlaut: „Mit ironischen und organischen Übeln behaftete, erhalten ein Vierteljahr lang die Hälfte der Unterstützung. Hat der Betreffende die Unterstützung für 13 Wochen, sie waren auch in ungleichen Raten gemessen, so hat er keinen weiteren Anspruch auf Unterstützung. Bei Verletzungen, welche die Folgen von Raufereien, Streitigkeiten oder Trunksucht sind, ebenso bei Krankheiten, welche durch unmoralischen Lebenswandel herbeigeführt wurden, erhalten keine Unterstützung“.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 erlebte der Verein einen erheblichen Rückschlag. Viele seiner Mitglieder wurden zum Militärdienst einberufen. Der Verein ergriff Maßnahmen, um die zu Hause gebliebenen Mitglieder zu unterstützen, indem er auf die Beitragszahlungen verzichtete und stattdessen Liebesgaben verteilte. Diese Geste der Solidarität diente dazu, den Zusammenhalt in dieser schweren Zeit zu stärken.
30.000 Mark Mitgliedsbeitrag pro Monat
Das Vereinsleben kam nach dem Krieg wieder langsam in Gang, am 22. Januar 1921 kann wieder ein Faschingsball veranstaltet werden. Doch die nächsten Probleme zeichnen sich mit der ständig steigenden Geldentwertung bereits ab. Die monatlichen Vereinsbeiträge betragen im Oktober 1923 bereits 30.000 Mark pro Mitglied. In der Generalversammlung am 25. November 1923 wird deshalb beschlossen, dass ab sofort keine Monatsbeiträge mehr eingezogen werden, weil die Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, ihren Vereinsbeitrag ordnungsgemäß zu entrichten.
Eine neue Fahne zum 50. Geburtstag
Der Verein bleibt bestehen, es werden keine Veranstaltungen mehr abgehalten, bis wieder normale Zeiten kommen. Trotzdem gelang es dem Arbeiterverein, sich bis 1924 zu erholen und das 50-jährige Jubiläum mit der nötigen Würde zu feiern. Eine neue Vereinsfahne wurde eigens für das Jubiläum angefertigt, sie kostete eine halbe Million Mark. Um die nötigen Finanzmittel für die Feierlichkeiten zu beschaffen, hat der Verein im Vorfeld ein Festzeichen herstellen lassen und verkauft sie an die Bewohner des Marktes.
Die Festbänder für den Patentverein und die Jungfrauen sowie das Trauerband werden von den örtlichen Schulschwestern gefertigt. Im Neumarkter Anzeiger schrieb Redakteur Hermann Döring: „Der Verein hat unter den Jungfrauen Neumarkts eifrige Propaganda für die Beteiligung gepflegt, eine stattliche Schar unserer holden weiblichen Jugend wird dem Kirchenzug sowohl als auch dem Festzug eine eigenartige Note verleihen. Die neue Fahne wird von der Fahnenbraut, der liebreizenden Tochter Theresia unseres geschätzten Mitbürgers Herrn Kaufmann Peter Hans betreut, als Patenverein fungiert der Bruder-Verein Vilsbiburg“.
Und dann wurde die Sterbekasse eingeführt
Die Gründung einer eigenen Sterbekasse im Jahr 1927 stellte einen weiteren innovativen Schritt des Vereins dar. Diese Einrichtung wurde geschaffen, um den Hinterbliebenen von verstorbenen Mitgliedern finanzielle Unterstützung zu bieten. Die Sterbekasse ist bis heute ein lebendiges Zeugnis des sozialen Engagements und der gegenseitigen Hilfe, die der Arbeiterverein Neumarkt-St. Veit seinen Mitgliedern bietet.
