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Radeln für die Aufklärung

Wenn Leben fast unmöglich wird – Mühldorfer spricht über die Volkskrankheit Depression

Bilder der Mitfahr- und Infostandaktion der MUT-TOUR 2019 in Halle
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Mit elf solcher Tandem-Teams sind Betroffene in ganz Deutschland unterwegs, um offen über ihre Krankheit zu reden.

Erschöpfung, Überforderung, Mutlosigkeit, Schlafstörungen, Schmerzen: Mit einer Tour durch Deutschland wollen Menschen, die an Depressionen leiden, auf die Krankheit aufmerksam machen. Auch im Landkreis Mühldorf. Der Leiter der Selbsthilfegruppe sagt, woran es bei der Versorgung hakt.

Neumarkt-St. Veit – Sie sind zu Fuß mit Pferdebegleitung unterwegs oder auf Fahrrad-Tandems. Ihre Botschaft aber ist die gleiche: Ein Zeichen zu setzen für mehr Offenheit, Wissen und Mut im Umgang mit psychischen Erkrankungen. Insgesamt 3,5 Monate werden die Teams unterwegs gewesen sein, wenn die 3.800 Kilometer lange Tour quer durch Deutschland schließlich am 10. September in Oldenburg endet. Am Freitag kommen sie in den Landkreis Mühldorf. Erste Station ist gegen Mittag die Stadt Neumarkt-St. Veit, bevor es dann weiter nach Mühldorf und Waldkraiburg geht, um danach den Landkreis Richtung Rosenheim wieder zu verlassen. Denn niemand soll alleine mit seiner Erkrankung stehen.

Das weiß niemand besser als Rudolf Starzengruber, der als Betroffener die Selbsthilfegruppe Depression in Mühldorf leitet.

Depression - immer noch ein Tabuthema in der Öffentlichkeit oder mittlerweile eine Volkskrankheit, mit der als solche auch offen umgegangen wird?
 
Rudolf Starzengruber: Das Thema Depression ist in der Öffentlichkeit leider immer noch ziemlich tabu. Die Erkrankung Depression entwickelt sich aber im Gegensatz dazu zu einer Volkskrankheit. Die Betroffenen haben Angst sich zu outen, weil psychische Erkrankungen allgemein in der Öffentlichkeit negativ gesehen werden und sie Unverständnis in ihrer Umgebung und Probleme im zwischenmenschlichen Bereich und im Berufsleben befürchten. Außerdem schämen sich Betroffene ihrer Erkrankung und haben Angst vor Abwertung. Tatsächlich findet Stigmatisierung und Selbststigmatisierung bei Depressionen immer noch sehr häufig statt.

Rudolf Starzengruber

 
 Was ist das große Problem bei Menschen, die an einer Depression leiden?

Starzengruber: Das sogenannte „große“ Problem gibt es in dem Sinne nicht. Die Betroffenen haben verschiedene, mehrere, oft sogar zahlreiche unterschiedliche Probleme.

Welche Alarmzeichen gilt es zu beachten, um eine Depression frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln?

Starzengruber: Alarmzeichen können Erschöpfung, Überforderung bei alltäglichen Dingen, Mutlosigkeit, andauernde Traurigkeit, Schlafstörungen, geringe Frustrationstoleranz, andauernde Schmerzen ohne körperlichen Befund und andere körperliche Beschwerden sein. Wenn deshalb Hausärzte konsultiert werden, wird eine Depression oft nicht als solche erkannt.
Aber auch wenn eine Depression diagnostiziert wird, ist eine frühzeitige Behandlung mangels Fachpersonal, etwa Psychiater, Psychotherapeuten, oft nicht möglich. Die Wartezeiten auf einen Behandlungsbeginn betragen oft bis zu einem Jahr oder sogar länger. Gerade Kinder und Jugendliche sind im psychischen Bereich deutlich unterversorgt.
  
Welchen Ratschlag können Sie als Betroffener Personen geben, die depressiv sind?

Starzengruber: Menschen, die depressiv sind, sollten unbedingt den Austausch mit anderen Betroffen suchen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen. Sehr wichtig ist, sich selbst über die Erkrankung Depression zu informieren. Dazu gibt es Zeitschriften, Bücher, Ratgeber, Beiträge in Radio und Fernsehen, seriöse Internetseiten, Vorträge und natürlich Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen. Sie sollten sich so früh wie möglich psychotherapeutische oder fachärztliche Behandlung begeben. Wenn die Wartezeiten dort länger sind, empfiehlt es sich zur Überbrückung, den Sozialpsychiatrischen Dienst Mühldorf oder die Psychiatrische Institutsambulanz an der Tagesklinik Altötting aufzusuchen.

Wie stellt sich die Lage in Mühldorf beziehungsweise Landkreis Mühldorf dar? Hat die Zahl der an einer Depression leidenden Menschen zugenommen? Wie viele nehmen die Beratungsangebote an?

Starzengruber: Der Landkreis und die Stadt Mühldorf sind mit psychiatrischen Fachärzten und Psychotherapeuten unterversorgt. Es gibt seit 2003 eine Selbshilfegruppe Depression in Mühldorf, die sich regelmäßig alle zwei Wochen trifft. Schon vor der Corona-Pandemie war ein Anstieg von depressiven Erkrankungen festzustellen. Seitdem und dem Beginn des Krieges in der Ukraine in Verbindung mit den Preissteigerungen und der damit verbundenen Verschärfung der wirtschaftlichen Situation vieler ist nochmals eine deutliche Steigerung zu verzeichnen. Gerade im Kinder und Jugendbereich nehmen Depressionen stark zu. Die vorhandenen Beratungsangebote können gar nicht alle Betroffenen, die Hilfe suchen, aufnehmen. Es müssten noch mehr, auch alternative Beratungsangebote geschaffen und viel mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden, damit die an Depression leidenden Menschen die Hilfe annehmen und erhalten, die sie brauchen. Als Hilfsmöglichkeit bei akuten psychischen Krisen bis hin zur Suizidalität empfiehlt es sich, unbedingt den oberbayerischen psychiatrischen Krisendienst anzurufen.

Welche Ursachen spielen eine Rolle für eine Depression und einer daraus resultierenden ernsthaften psychischen Erkrankung?

Starzengruber: Es gibt vielfältige Ursachen für eine Depression. Eine Depression ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, die das Leben des erkrankten Menschen oft dauerhaft verändert.

Welche Maßnahmen schützen mich vor einer Depression?

Starzengruber: Ein achtsamer, wertschätzender und rücksichtsvoller Umgang miteinander und in der Gesellschaft sowie die Vermeidung von negativem Stress und wirtschaftlichen Problemen können vor Depressionen schützen. Die Bildung von Resilienz, vor allem schon im Kindes- und Jugendalter, kann Depressionen vermeiden oder mildern. Dies könnte durch das Angebot von geeigneten Kursen gefördert werden.

Über acht Prozent der Bevölkerung leidet früher oder später an einer Depression

Bereits zum elften Mal sind diesen Sommer hunderte Menschen mit und ohne Depressionserfahrung im Rahmen der „MUT-Tour“ durch Deutschland unterwegs, um in offenen Gesprächen auf psychische Erkrankungen hinzuweisen und zu erleben, wie sich durch offene Gespräche Berührungsängste und Vorurteile abbauen lassen. Und auch die Teilnehmenden erfahren – weit über die Dauer der Etappenphase hinaus – ein Gemeinschaftsgefühl, welches sie bis in den Alltag hinein nachhaltig unterstützt, heißt es in der Presseinformation der Organisation.

„In den täglichen Interviews mit den Medien entlang der Strecke sowie den Gesprächen am Wegesrand berichten die Teilnehmer von den Erfahrungen mit der eigenen Erkrankung und suchen den offenen Austausch über die Bedürfnisse von sowohl Betroffenen als auch Angehörigen“, informiert die Presseabteilung von MUT-Tour.

Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention gehören Depressionen zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Insgesamt sind 8,2 Prozent oder umgerechnet 5,3 Millionen der erwachsenen Deutschen zwischen 18 und 79 Jahren sind im Laufe eines Jahres an einer unipolaren oder anhaltenden depressiven Störung erkrankt. Auf die Lebensspanne betrachtet, ist verschiedenen Studien zufolge etwa jeder fünfte bis sechste Erwachsene einmal von einer Depression betroffen. Frauen erhalten eine Depressionsdiagnose doppelt so häufig wie Männer.

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