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Aus der Nachkriegszeit

Liebesbriefe an Christine - Ein heute 100-jähriger US-Soldat erinnert sich an seine Zeit in Neumarkt

Panzer der US_Armee vor dem Bahnhof in Neumarkt. Solche seltenen Aufnahmen finden nun nach Erscheinen des Buches von Roy Roberts auch den Weg nach Neumarkt.
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Panzer der US_Armee vor dem Bahnhof in Neumarkt. Solche seltenen Aufnahmen finden nun nach Erscheinen des Buches von Roy Roberts auch den Weg nach Neumarkt.

Roy Robert ist 100 Jahre alt, doch die Erinnerung an seine Zeit im Nachkriegs-Neumarkt 1945 ist sehr lebendig. Denn er hat 162 Liebesbriefe, die er an seine Frau geschrieben hat. Die gibt es jetzt als Buch.

Neumarkt-St. Veit – 1. Mai 1945. Wenige Tage vor Kriegsende überqueren die Panzer der US-Armee die Vils bei Velden und nähern sich Neumarkt und damit dem Landkreis Mühldorf. Einer der Soldaten ist Roy Roberts, der im „Hotel Peterhof“ sein Quartier beziehen und bis Juli 1945 bleiben wird.

162 Liebesbriefe aus dem Nachkriegs-Neumarkt

Was er an der Rott erlebte, hat der 23-Jährige in 162 Briefen an seine Liebsten beschrieben, vor allem an seine Frau Christine. Im Alter von 98 Jahren hat er sie als Buch veröffentlicht, geschmückt mit Motiven aus Neumarkt in den Nachkriegswochen.

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Die Stadt erwähnt er erstmals in Brief Nummer 83, in dem er darüber berichtet, dass er mit 22 Kameraden das „Hotel Peterhof“ gegenüber des Bahnhofs bezogen habe. Detailliert beschreibt er die komfortablen Zimmer, die Heiligenbilder an der Wand und wie sich die US-Soldaten amüsieren, wenn sich der Kuckuck zur vollen Stunde meldet.

Kontakt mit dem Bürgermeister

Schilderungen, die auch Bürgermeister Erwin Baumgartner nachhaltig beeindruckt haben. Der US-Veteran hat am 10. August 2020 Kontakt mit dem Bürgermeister aufgenommen. In einer E-Mail an „Mayor Baumgartner“ bat der 98-Jährige um einen Kontakt zu jemandem, mit dem er sich über die Ereignisse 75 Jahre zuvor austauschen könnte.

Rege Korrespondenz über den großen Teich

Es entstand eine rege Korrespondenz, zunächst mit Baumgartner später auch mit Stadtarchivpfleger Andreas Link, der ihm half, die Briefe mit Bildern aus dem Stadtarchiv zu illustrieren. Dabei war Roberts selbst Fotograf. Als er damals nach Neumarkt kam, war er entsprechend aufgeregt, dass er in Neumarkt ein sehr gut ausgestattetes Fotostudio beziehen und Filme entwickeln konnte.

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Darunter auch Hinterlassenschaften der Nazis, 35-Millimeter-Filme, die „nichts anderes als Bilder von Hitler zeigen, wie er gerade eine Rede hält“. Dass er im späteren Geschäftshaus von Elektro Huber und der heutigen Allianz-Filiale am Oberen Stadtplatz diese Hinterlassenschaften der Nazis vorfand, war kein Zufall. „In diesem Gebäude befand sich das NSDAP-Hauptarchiv. Und dieses war mit einem sehr modernen Fotolabor ausgestattet“, sagt Neumarkts Archivpfleger Andreas Link.

Neue Fotos entdeckt und veröffentlicht

Natürlich hat Link das Stadt-Archiv durchforstet, Bilder gesucht, die die Ankunft der US-Armee in Neumarkt dokumentieren. Die Wertschätzung für die Unterstützung folgte umgehend. Er habe sich sehr über die schnelle Antwort gefreut, schrieb Roberts. „Und es hat mir Spaß gemacht, die Bilder der Stadt anzuschauen und mich leicht an das Hotel Peterhof und das Depot zu erinnern.“

73 gemeinsame Jahre mit seiner Frau

Eine Anekdote fällt ihm sofort ein. Eine Dame habe er „in meiner schrecklichen deutschen Sprache“ gefragt: „Wo kann ich ein Eis bekommen?“ Sie wies ihm den Weg zum Café Blumschein, wo heute das Elektrogeschäft Frenzel seinen Sitz hat. Es war das erste Eis, das er seit der Abreise in den Krieg gegessen habe, schrieb er an seine Frau Christine. Weil es keinen Zucker gab, habe die Dame das Eis mit Honig hergestellt. Vier weitere Male stattete er dem Café, das einem Wohnzimmer geglichen haben soll, einen Besuch ab. Einzige Bedingung der Eisverkäuferin: Er sollte es nicht weitersagen, geschweige denn weitere Soldaten mitbringen.

Hunderte KZ-Toter beerdigt

Prägend war für ihn die Exhumierung der Menschen aus dem KZ-Massengrab. Auf Anordnung des US-Befehlshabers mussten alle Neumarkter zwischen sechs und 70 Jahren auf den heutigen KZ-Friedhof kommen, um sich die Reihe von Särgen anzusehen, in denen die Toten aus dem Mühldorfer Hart begraben wurden.

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Am 9. Juli 1945 enden die Briefe mit Neumarkt als Absender, Roberts kehrt über Frankreich nach Hause zurück. Seinen letzten, den 162. Brief, verfasst er aus dem Camp McCoy Wisconsin in den USA. Darin drückt der heute 100-Jährige seine Freude über das baldige Wiedersehen mit Christine aus. „Ich bin so aufgeregt, Dich zu sehen. Fühle Dich fest von mir gedrückt und lass Dir sagen, dass ich Dich sehr liebe!“

LIebesbriefe nach dem Tod der Frau gefunden

Seine Frau starb 2017, nach 73 gemeinsamen Jahren. Nach ihrem Tod habe er die Box gefunden mit all den Briefen darin, die er im Buch veröffentlicht hat. Das liegt jetzt auch in Neumarkt-St. Veit vor. „Das Buch beinhaltet Fotos, die ich noch nie gesehen habe“, freut sich Bürgermeister Baumgartner. „Das Buch ist nicht aus der Erinnerung heraus geschrieben, sondern auf Basis von Briefen und ist damit umso authentischer. Für unsere Stadt und unsere Ortsgeschichte sind die Berichte in diesem eine tolle Bereicherung.

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Der ehemalige Soldat wird des Schreibens nicht müde: „Mir geht es gut“, lässt Roberts seine Brieffreunde in Neumarkt wissen, „mein Sehvermögen und jeder andere Teil meines Körpers hat sich verschlechtert – außer mein Gehirn“. Und das arbeitet unermüdlich.

Eine Rückkehr ist wohl ausgeschlossen

Inzwischen hat er ein zweites Buch herausgebracht, dass seinen Lebenabschnitt vor der Zeit während des Krieges dokumentiert. „Grandpa, Please Tell Us A Story“, heißt es. Und Roberts will auch noch die Zeit nach seiner Rückkehr 1946 beschreiben.

Ein Wiedersehen mit Neumarkt-St. Veit muss wohl ausfallen

Ob darin auch noch ein Kapitel Platz findet, das ein Wiedersehen mit der Stadt Neumarkt beinhaltet, bleibt aber ein Wunsch, der sich wohl nicht mehr erfüllen lässt: „Ich wünschte, es ginge mir gut genug, um nach Deutschland zurückzukehren und Ihre wundervolle Stadt Neumarkt-St. Veit zu besuchen“, schreibt er an Bürgermeister Baumgartner. „Ich würde mich freuen, mit Ihnen zusammenzusitzen. Ich glaube, wir hätten viel zu besprechen.“

Als die Panzer nach Neumarkt kamen

Bevor sich im Mai 1945 die ersten Panzer des 20. US-Armeekorps dem damaligen Neumarkt näherten, war die Rottstadt geprägt durch die große Zahl von Wehrmachtsverbänden. Auch die SS konzentrierten sich in den letzten Wochen dort. Der Mühldorfer Künstler Hans Prähofer schildert die Lage so: „Im Neumarkter Hotel „Puchta“ (Peterhof) ist die Heeresentlassungsstelle eingezogen. 60 Wehrmachtsbeamte untersuchen und entlassen die Landser, deren Zustrom bis zu 500 Mann pro Tage anschwillt.“ Schon bald verschwanden Offiziere und Angestellte in Zivil, der Zahlmeister habe seine Kasse Bürgermeister Xaver Mittermüller übergeben. „Dieser hilft mit dem Geld Flüchtenden aus dem endlosen Zug der Geschlagenen und verwendet es zur Unterstützung von KZ-Häftlingen, von denen etwa 20 in den NS-Versorgungslagern in Neumarkt zur Zwangsarbeit eingesetzt waren.“

Friedliche Übergabe der Stadt an die Amerikaner

Der Neumarkter Pfarrer Anton Vitzthum gibt dazu später zu Protokoll: „Bemerkt sei noch, dass die SS-Soldaten einen Tag vor dem Einmarsch eine Verteidigung noch geplant haben, aber bei dem zu raschen Vorgehen der Amerikaner dieselbe aufgeben mussten“. Nach weiteren Zeitzeugenaussagen werden vom Volkssturm neben oben genannten Sperren noch rasch ein paar Panzerdeckungslöcher ausgehoben.

Es fiel kein Schuss

Während die Hörberinger und Brodfurther Rottbrücken nach der Sprengung unpassierbar waren, gelang die Sprengung der Rottbrücke in Neumarkt in der Nacht auf den 2. Mai 1945 nicht vollständig. Als die Panzer vor Neumarkt stehen, feuern sie Warnschüsse an und rollen dann langsam in die Stadt. Pfarrer Vitzthum schreibt dazu: „Am 2. Mai nachmittags 14 Uhr kamen die ersten amerikanischen Panzer von Landshut her.“ Etwa 300 Meter vor der Ortschaft seien sie von zwei Männern mit der weißen Fahne erwartet worden. „Alles verlief in schönster Ruhe. Es fiel kein Schuss.“

Roy Roberts in seinem Fotolabor in Neumarkt. Das Buch „Dear Christine“ist reich an Anekdoten.
Roy Roberts wurde am 1. Februar 100. Jahre alt.

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