Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Ukraine-Flüchtlinge in Mühldorf

Vor Bomben davongelaufen - Besuch bei Ukraine-Flüchtlingen im Hotel Bastei in Mühldorf

Endlich ein sicherer Ort, nach vielen Nächten voller Angst: Svitlana, Oleksandra und Mariia Kashchenko mit Oma Zoia Klymenok (von links) in der Spielecke des Restaurants Bastei.
+
Endlich ein sicherer Ort, nach vielen Nächten voller Angst: Svitlana, Oleksandra und Mariia Kashchenko mit Oma Zoia Klymenok (von links) in der Spielecke des Restaurants Bastei.

Jetzt ist der Krieg mehr als 1000 Kilometer weg, und doch ständig da, bei den Frauen und Kindern im Mühldorfer Hotel Bastei. Sie haben auf einer Woche langen Flucht die Ukraine verlassen. Ihre Männer blieben zurück.

Mühldorf – Die Münchner Straße in Mühldorf trennt den Krieg von der Normalität. Während auf der linken Seite Mittagsgäste ins Restaurant Bastei gehen, winken vom Balkon des Gästehauses Kriegsflüchtlinge herunter.

Fast nur Frauen und Kinder, die Männer blieben zurück

Das Gästehaus steht auf der rechten Seite der Straße. Dort leben Frauen und Kinder aus der Ukraine.

Stephanie Nömeier packt Mobiltelefon und Pässe ein und wechselt die Straßenseite. Vom Empfangstresen der Mühldorfer Bastei-Normalität in die Ausnahmesituation im Bastei-Gästehaus. Sie klopft an Zimmer 17 an. Kataryna Sokolova öffnet die Tür. Hinter ihr schauen die beiden Söhne Vladyslav und Illia neugierig durch den Türrahmen, sie sind acht und fünf Jahre alt.

Bomben fallen, der Weg in den Keller ist lang

Die Familie stammt aus Saporischschja, einer Stadt, deren Namen, inzwischen auch in Deutschland viele kennen. Denn dort steht das größte Atomkraftwerk der Ukraine, vor kurzem beschossen von der russischen Armee. „Jede Nacht, wenn wir die Sirenen gehört haben, sind wir in den Keller einer Schule gelaufen“, erzählt die 38-Jährige von der Flucht vor den Bomben. „Die Schule war weit weg, das war gefährlich.“ Als dann Bomben auf das Atomkraftwerk fallen, nimmt sie ihre Söhne und die Schwiegermutter und flieht. Ihr Mann bleibt zurück.

Statt im Hochhaus leben die Menschen in Kellern

Sokolova berichtet von leer stehenden Hochhäusern, weil sich die Menschen in Kellern verkriechen, die aber nicht stabil genug sind, um Schutz vor Granaten zu bieten; von Soldaten, vielen Soldaten in den Vororten der Stadt, von Schüssen. „Wir wollten raus, egal wie, raus ohne Stopp.“

Viele wollen vergessen

Sie erzählt fast ohne Pause, von den letzten Tagen in Saporischschja, von der allgegenwärtigen Angst. „Viele wollen das vergessen“, sagt sie, „wir wollen das vergessen.“ Das kann sie aber genauso wenig wie ihr Mann. Der ist dortgeblieben. Nicht als Soldat, sondern als Freiwilliger, der andern hilft, der Kellerräume mit Matratzen ausstattet, Essen verteilt, Barrikaden gegen den befürchteten Einmarsch der Panzer baut.

Lange bewahrt Kataryna Sokolova die Fassung. Dann benutzt sie das ukrainische Wort für traumatisiert, braucht die tröstende Umarmung von Stephanie Nömeier und der Dolmetscherin, Schwester einer anderen Flüchtlingsfamilie in der Bastei.

Unterwegs von viele Helfern gut versorgt

Die leben eine Tür weiter, mit ihnen fing alles an. Sieben Tage Flucht aus Dnipro, sieben Tage in der Ukraine, in Ungarn und Deutschland und schließlich die Ankunft in Mühldorf, wo die Schwester seit drei Jahren lebt. Als die bei Steffi Nömeier anfragt, sagt die Bastei-Geschäftsführerein sofort zu. Mutter Svitlana Kashchenko, die sechsjährigen Zwillingstöchter Oleksandra und Mariia, Oma Zoia finden ein Obdach. „Wir sind derzeit eh nicht belegt“, sagt Nömeier, „klar bekamen sie ein Zimmer.“

Stephanie Nömeier.

Die Hilfsbereitschaft der Bastei spricht sich rum, heute zählt Nömeier zehn Familien, mehr als 30 Menschen, die sie untergebracht hat. Die Jüngste ist vier Monate alt und wird noch gestillt, der Älteste 71. Essen gibt‘s vom Haus, Kleidungsstücke und Geld von Spendern. Die Zimmermiete zahlt das Landratsamt. Einen Engel, „unseren Engel“, nennt Svitlana Kashchenko ihre Gastgeberin. „Bei ihr fühlen wir uns sicher.“

Auf der Flucht haben immer geweint

Zwei Flughäfen, einige große Fabriken, auch Dnipro war früh das Ziel russischer Bomben- und Raketenangriffe. Mit zwei Koffern zogen die Kashchenkos los, in Zügen Richtung Westen. „Wir haben immer geweint“ sagt sie. Sie sagt aber auch: „Es waren gute Bedingungen unterwegs.“ Wo immer sie durchgekommen seien, überall habe es Hilfe gegeben, Essen, Freiwillige, die die Flüchtlinge versorgt hätten. „Gott, sei dank.“

+++ Hier finden Sie den Newsticker zum Ukraine-Krieg +++

Ihr Mann ist zurückgeblieben, auch er hilft als Freiwilliger in seiner Heimat. „Er ist jetzt etwas ruhiger, weil er weiß, dass seine Familie in Sicherheit ist.“ Kashchenko deutet auf ihr Smartphone. Über soziale Netzwerke bleibt sie in Kontakt und hofft jedes Mal, dass es ihm gut geht.

Spontane Hilfe von vielen

Inzwischen ist der Krieg über die Münchner Straße hinweg ins Restaurant geschwappt. Dort sitzen Franz Huber und Hildegard Rauschecker vom Sportverein Niederbergkirchen bei einer Tasse Cappuccino. Sie haben 500 Euro vorbei gebracht, gesammelt bei der Jahreshauptversammlung des Vereins. „Das war ganz spontan“, sagt Rauschecker.

+++ Weitere Nachrichten aus dem Landkreis Mühldorf finden Sie hier +++

Auch auf dem Tresen der Bastei steht eine Spendendose, immer wieder wirft jemand ein paar Münzen hinein, im Aufenthaltsraum des Gästehauses stapeln sich geschenkte Kleidungsstücke, manchmal laden Menschen aus dem Landkreis die Familien ins Auto und fahren mit ihnen nach Oberreith.

Hilfsbereitschaft im ganzen Landkreis ist groß

Die Hilfsbereitschaft im ganzen Landkreis ist groß, bestätigt Landrat Max Heimerl, dessen Behörde für die Flüchtlinge zuständig ist. Derzeit sind nach seinen Angaben vor dem Kreisausschuss 420 Ukrainer angekommen. Die Situation ändere sich aber nahezu stündlich, sagt Max Heimerl. Der Landkreis wolle trotz der steigenden Zahl die Belegung von Turnhallen zu vermeiden. Turnhallen seien keine adäquate Unterkunft für zum Teil traumatisierte Frauen und Kinder.

Derzeit seien knapp 400 Objekte verfügbar - über 200 private und 182 dezentrale Unterkünfte zum Beispiel in Hotels. Die Vermittlung aber kann dauern, machte der Landrat klar. „Wir müssen alle Wohnungen besichtigen und überprüfen. Das geht nicht von heute auf morgen.“

Heimerl rechnet mit mindestens 1000 Flüchtlingen für den Landkreis. In einer zweiten Fluchtwelle könnten es noch mehr werden, wenn Menschen feststellen, dass sie nicht so schnell wie gedacht in ihre zerstörten Städte zurückkehren können.

Landkreis übernimmt Kosten für Wohnungen

Wer eine Wohnung zur Verfügung stellt, wird finanziell nicht allein gelassen. Der Landkreis mietet die Wohnungen laut an, die Kosten übernimmt der Freistaat. Das gilt auch für einzelne Zimmer in Privatwohnungen, bei Familien will der Landkreis eine Pauschale für Nebenkosten und laufende Kosten bezahlen. „Was kriege ich dafür“ fragen aber die wenigsten Anbieter, betont der Landrat.

Leider keine ukrainischen Fernsehsender im Hotelzimmer, die Nachrichten aus der Heimat kommen per Internet: Oma Tetiana, Mama Kateryna, Vladyslav und Illia Sokolova.

Insgesamt bewertet er die bisherige Situation positiv: „Wir haben Strukturen geschaffen, mit denen wir den Flüchtenden gut helfen können.“

Wie lange der Krieg dauern wird? Sie weiß es nicht?

Hotelchefin Steffi Nömeier denkt derweil an die nächsten Wochen, denn wann immer sie kann, versucht auch sie Wohnungen für die Ukrainerinnen zu finden. „Im Mai geht bei uns der Gästebetrieb wieder los“, sagt sie, wenn Radler oder Wallfahrer ein Zimmer suchen. Spätestens dann brauchen die Familien wieder mal ein neues, sicheres Dach über dem Kopf.

Ob der Krieg dann vorbei ist? Kataryna Sokolova zuckt traurig die Schultern. Was sie leise sagt, muss die Dolmetscherin nicht übersetzt. Die junge Frau zieht die Zimmertür hinter sich zu.

Kommentare