Krieg in der Ukraine
Raus aus dem Schrecken des Krieges – Ampfinger bringen Kriegsopfer in den Landkreis Mühldorf
Wenn der Ampfinger Arzt Erwin Lüddecke angesichts der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von einer Welle spricht, meint er nicht die Zahl der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Im rumänischen Grenzland erlebt er eine ganz andere Welle.
Mühldorf/Ampfing/Gura Homorului – Von Ampfing bis Gura Homorului sind es 1250 Kilometer. Weniger als 15 Stunden mit dem Auto durch Deutschland, Österreich, Ungarn und Rumänien. 15 Stunden, die Krieg von Frieden trennen.
Menschen fliehen aus Charkiw, das unter Dauerbeschuss liegt
An diesem Ort sind Kateryna Oksenenko und ihr Verlobter Erwin Lüddecke, Arzt in Ampfing. Oksenenko stammt aus Charkiw, jener Millionenstadt ganz im Osten der Ukraine, die unter Dauerbeschuss der russischen Armee liegt. Dort leben Verwandte und Freunde.
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„Sie müssen den Tag im Keller verbringen, die Raketen fliegen über ihren Köpfen und sie können froh sein, wenn ihr Haus stehen bleibt, sie können froh sein den Tag zu überleben“, erzählt Lüddecke, den man am Telefon im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet erreichen kann.
In einer Kampfpause in Sicherheit gebracht
In einer Kampfpause hätten sich Oksenenkos Verwandte aufgemacht, mit Autos in Richtung Polen. Später, weil dort so viele Flüchtlinge warten, weiter ins moldawisch-rumänische Grenzgebiet.
Die Männer fahren zurück in den Krieg
„Es ist gefährlich“, erzählt Lüddecke, „fahren kann man nur tagsüber, Benzin ist Mangelware, die Straßen sind schlecht. Und ständig bleibt die Angst vor den Raketen.“ An der Grenze spielen sich ergreifende Szenen ab. Die Väter, die Brüder laden Frauen, Kinder, Schwestern aus, sie umarmen sich, dann fahren die Männer zurück. Zurück in den Krieg.
Im Hôtel Bucovia in Gura Homorului an der ukrainischen Grenze ist es friedlich. Dort sind der 57-jährigen Arzt und seine Verlobte untergebracht. Sie sammeln die Menschen ein, versorgen sie medizinisch, geben ihnen zu Essen und zu Trinken. „Die Kinder haben tiefe Ringe unter den Augen“, erzählt Lüddecke am Telefon, „sie sind erschöpft.“
Großer Zusammenhalt unter den Ukrainern
Kateryna Oksenenko ist 33, lebt und arbeitet für einen Bauträger im Landkreis. Verwandtschaft, das sagt sie, sei in der Ukraine ein weit gefasster Begriff. „Die Ukrainer haben einen großen Zusammenhalt, da wird kein Unterschied gemacht.“
Deshalb weiteten sie und ihr Lebensgefährte die Hilfe aus. In Polen lernten sie einen Mann kennen, der für ein Busunternehmen arbeitet. Er hatte Zeit, er nahm sich Zeit: Darek Sokołowski ist gerade mit dem Kleinbus auf dem Weg in den Landkreis, der 66-Jährige müsste gestern Abend angekommen sein.
Kein Lohn für 2700 Kilometer Fahrt,, nur die Benzinkosten
Lüddecke ist gerührt vom Engagment des Berufsfahrers. „Auf die Frage was wir ihm zahlen müssen, sagte er mit Tränen in den Augen: Nur die Benzinkosten, sonst möchten weder sein Chef noch er etwas dafür haben.“ Nichts für die Fahrt von Polen nach Rumänien, nichts für die zwei Tage Wartezeit an der Grenze, nichts für die Fahrt über gut 2700 Kilometer nach Mühldorf und zurück.
Von wegen Bürokratie
Lüddecke bewertet dieses Engagement mit einem Wort, das in Zusammenhang mit Flüchtlingen oft verwendet wird: das Wort von der Welle. Aber er bezieht es nicht auf die Menschen, die Schutz suchen, sondern auf die Hilfsbereitschaft, die er in diesen Tagen erlebt. „Es ist eine Welle von Menschlichkeit und Mitgefühl.“
Viele helfen
Damit meint der Ampfinger Arzt die Menschen auf der rumänischen Seite der Grenze, die Polen, wo derzeit die meisten Flüchtlinge ankommen, die Bekannten in Mühldorf und München, die Unterkünfte zur Verfügung stellen, die ukrainische Community in Bayern.
Wenig Bürokratie, viel schnelle Hilfe
Er schließt auch Behörden mit ein, Krankenkassen, Verwaltungen, das Gesundheitsministerium, die bereit seien, schnell zu helfen. „Das ist für mich neu, diese Verbundenheit und Herzlichkeit.“ Es gebe keine Bürokratie, sondern aufrichtiges Mitgefühl, Anträge die sonst Tage brauchen, werden in einer halben Stunde bearbeitet.
Besucher auf Zeit
Lüddecke hofft, dass diese Freundlichkeit anhält, denn keiner weiß, wie lange das Leid der Ukrainer noch währt. „Betrachtet die Ukrainer als Gäste oder Besucher auf Zeit“, sagt er. „Sie fliehen vor Bomben und Tod, aber sie wollen nicht in Deutschland bleiben, sondern in ihr Land zurück, sobald es ohne Gefahr für Leib und Leben möglich ist.“
Rückkehr nach Deutschland
Seit Samstag, 26. Februar, sind Oksenenko und Lüddecke an der Grenze zur Ukraine, an diesem Wochenende geht es zurück. Dann müssen beide wieder ihrer Arbeit nachgehen.

