OVB-Exklusivinterview mit Experten
Verschwörungstheorien: Wie gefährlich sind sie und welche Rolle spielen Gerichte?
Mühldorf – In der Woche gegen Rassismus im Landkreis Mühldorf befasst sich Oliver Müller, Leiter einer Beratungsstelle in einem Vortrag mit Verschwörungstheorien. Im Interview erzählt er, wie gefährlich sie sind. Auch für die, die an sie glauben.
Was ist eine Verschwörungstheorie?
Oliver Müller: Verschwörungstheorien könnte man als scheinwissenschaftliche Halbwahrheiten bezeichnen, die den Anspruch erheben, Erklärungen für komplexe Ereignisse oder Sachverhalte von öffentlichem Interesse zu liefern. Sie sind der Glaube an eine geheime Zusammenarbeit einer meist kleinen Gruppe von Verschwörern, die Ereignisse zu ihren eigenen Gunsten manipulieren und destruktive Ziele für die Gesellschaft verfolgen.
Wie entstehen Verschwörungstheorien und wie verbreiten sie sich?
Müller: Aus einer Vielzahl wissenschaftlicher Forschungen wissen wir mittlerweile, dass die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien von einer ganzen Reihe von sozialen und individuellen Faktoren begünstigt werden. Das Misstrauen gegenüber Autoritäten und Institutionen ist dabei genauso relevant wie ein möglicher Vertrauensmangel in gängige Informationsquellen und etablierte Medien. Mittlerweile wissen wir aber auch, dass bestimmte sozialpsychologische Faktoren wie der Wunsch nach Einzigartigkeit oder individueller Wissensdrang die Verbreitung von Verschwörungserzählungen begünstigen können.
Kontrolle von Ängsten
Warum funktionieren Verschwörungstheorien?
Müller: Gerade in Krisenzeiten oder Phasen großer Umbrüche haben Verschwörungstheorien Konjunktur. Dann ermöglichen sie punktuelle Deutungshoheit gegenüber Ungewissheiten und ermöglichen die Kontrolle eigener Ängste.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Müller: Es kann für Menschen sehr entlastend wirken, wenn sie daran glauben können, dass zwar alles mit allem verbunden ist, gewisse Eliten dabei aber für alles Schlechte in der Welt verantwortlich gemacht werden können. Das eigene Ohnmachtsempfinden und die daraus resultierende Unzufriedenheit können sich gegen etwas richten.
So erkennt man eine Verschwörungstheorie
Woran erkennt man Verschwörungstheorien?
Müller: Verschwörungstheorien dulden keinen Widerspruch. Beweise bleiben sie trotz aller wissenschaftlicher Anmutung in der Regel schuldig. Darüber hinaus liefern sie in sich geschlossene Erklärungen, die immer vom Ende her gedacht sind. Sie sind also stets aus der Perspektive „Wer hat vom jeweiligen Ereignis profitiert?“ formuliert.
Wie kann man ihnen begegnen?
Müller: Einerseits ist es natürlich wichtig, der Verbreitung von Verschwörungstheorien durch das Entlarven von bewusst gesetzten Fehlinformationen mithilfe von Bildungsangeboten und Faktenchecks zu begegnen. Gerade Medienkompetenztrainings können dabei helfen, Verschwörungsinhalte früher zu erkennen. Außerdem ist eine gezielte Strafverfolgung von verschwörungsideologischen Inhalten, die nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, unablässig.
Was kann man gegen Verschwörungstheorien tun?
Kann man persönlich auch etwas gegen Verschwörungstheorien tun?
Müller: Es ist für den individuellen Umgang mit Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, essenziell, sie nicht per se zu stigmatisieren oder gar zu pathologisieren. Es kann bis zu einem gewissen Punkt helfen, emphatische Diskussionen auf Augenhöhe zu führen. Diese sollten eher die hinter den Verschwörungstheorien liegenden Ängste und Sorgen des Gegenübers in den Blick nehmen und Gemeinsamkeiten betonen.
Gegen wen oder was richten sich Verschwörungstheorien vorwiegend?
Müller: Verschwörungstheorien sind in der Regel eine populistische Form der Elitenkritik. Egal wie komplex die Gemengelage ist, richten sie sich dabei gegen einzelne Personen oder Institutionen und klammern dabei andere Zusammenhänge und Bedingtheiten aus. Sie sind dadurch stark vereinfachend und oftmals widersprüchlich.
Gibt es dafür markante Beispiele?
Müller: Ein großer Teil populärer und historischer Verschwörungserzählungen erklärt Juden zum Feindbild. Es muss konstatiert werden, verdeckter oder offener Antisemitismus sind ein wesentlicher Bestandteil von Verschwörungstheorien.
Welche Folgen können Verschwörungstheorien haben?
Müller: Es ist zu beobachten, dass bestimmte Menschen, die sich für Verschwörungstheorien interessieren, sich nach und nach in einen regelrechten Verschwörungsglauben verlieren können. Dieses Abrutschen kann für betreffende Personen und deren Umfelder gravierende Folgen haben.
Wie zeigt sich das?
Müller: Ein Großteil der Kommunikation ist konfliktgeladen und konfrontativ. Wenn Menschen in solche ideologischen und weltanschaulichen Sinnkrisen geraten, wird der Alltag für alle Beteiligten zur permanenten Zerreißprobe und erzeugt bei Betroffenen mitunter hohen Leidensdruck. Dies kann sogar so weit gehen, dass Menschen in extremistische Milieus abrutschen, nur noch schwer erreichbar sind und für sich und andere zur Gefahr werden können.
Wer ist für Verschwörungstheorien besonders anfällig?
Müller: Verschiedene Studien haben gezeigt, dass je nach Betrachtungsweise ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Bevölkerung grundsätzlich empfänglich ist für Verschwörungserzählungen. Gut zehn Prozent der Gesamtbevölkerung glauben dabei an eine oder mehrere dieser „Theorien“.
Vortrag von Oliver Müller
Oliver Müller ist Leiter der Veritas Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen in Sachsen-Anhalt. Dort berät er seit 2022 Angehörige, Freunde und Kollegen von Menschen, die verschwörungsgläubig sind. Aus Sicherheitsgründen lässt er sich nicht fotografieren. Sein Vortrag beim Katholischen Kreisbildungswerk Mühldorf findet am Mittwoch, 13. März, von 19 bis 20.30 Uhr statt. Anmeldung unter 08631/37670.