Voller Hoffnung
Nach Assad-Sturz: Wollen Syrer aus dem Landkreis Mühldorf zurück in ihr Land?
Viele Syrer haben in den vergangenen Tagen den Sturz des Diktators Al-Assad gefeiert. Jetzt stellt sich die Frage: Wie geht es weiter in dem Land? Was Syrer aus Mühldorf und Neumarkt-St-Veit über eine mögliche Heimkehr denken. Und wie wichtig Syrer inzwischen für die Klinik-Landschaft geworden sind.
Mühldorf/Neumarkt-St. Veit – „Es ist alles vorstellbar“, kommentiert Al Jadou, Wirt des Mühldorfer Restaurants „Palermo“, bekannt auch als Turmbräugarten, auf die Frage, wie es denn nun in Syrien weitergeht, nachdem Machthaber Baschar Al-Assad gestürzt wurde. In Rekordzeit hatte Rebellenführer Abu Mohammed al-Dschulani, Chef von Haiat Tahrir al-Scham (HTS), und seine islamistischen Kämpfer die wichtigsten Städte Syriens eingenommen, am Sonntag war er in der Hauptstadt Damaskus einmarschiert und hat damit Diktator Baschar al-Assad zur Flucht gezwungen.
Tränen nach Assads Tod - aber warum?
Der Mühldorf Al Jadou freut sich über das Ende der Herrscher-Dynastie Assad, die so viel Leid über das syrische Volk gebracht hat. Al Jadou holt weit aus, wenn er davon erzählt, wie er in einem Syrien aufgewachsen ist, in dem die Assad-Familie göttergleich allgegenwärtig war. An Häuserfassaden, an Schulen, zu Hause. „Als Assads Vater starb, habe ich geweint. Ich weiß heute nicht mehr, warum eigentlich. Wir waren einer Gehirnwäsche unterzogen“, sagt der 47-Jährige.
Vor 25 Jahren nach Deutschland gekommen
Er hat seiner Heimat vor 25 Jahren den Rücken zugekehrt, wanderte als Automechaniker nach Deutschland aus. Der Liebe wegen. Als Tellerwäscher habe er begonnen, sich dann in der Gastronomie hochgearbeitet, zum Pizzabäcker, zum Koch. Er hat einen gesunden Geschäftssinn entwickelt und irgendwann sein erstes Restaurant eröffnet, das war im Ehringer Hof in Mühldorf. Inzwischen betreibt er das „Palermo“.
„In meinem Herzen bin ich immer Syrer geblieben“, sagt er. Doch es sollte ein demokratisches Syrien sein, wofür er während der Proteste des „Arabischen Frühlings“ im Jahr 2011 auf die Straße gegangen ist. Bei einer Kundgebung in München hat er für die Demokratie in Syrien demonstriert, mit der Flagge seines Heimatlandes protestiert. Die Folge: Seitdem durfte er nicht mehr nach Syrien einreisen. Al Jadous Familie ist in den Libanon umgesiedelt, nicht aber sein inzwischen 84-jähriger Vater. Der ist in Syrien geblieben. Der letzte Kontakt: An einem Grenzfluss zwischen Syrien und dem Libanon. Man unterhielt sich von einem Ufer zum anderen, habe sich zugerufen, gewinkt. Näher sei er ihm seitdem nie wieder gekommen.
A Jadou glaubt an sein Volk
Wird er seinen Vater bald umarmen können? Al Jadou hofft es. Er glaubt an sein Volk und hat auch große Erwartungen an die neuen Machthaber, die jetzt einen geordneten Übergang in einem Land ermöglichen müssen.
Syrer haben ihre Angst verloren
Al Jadou vertraut auf die Zusicherung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS). „Die Bösen im Land, beim IS, das waren nicht die Syrer. Das waren Kämpfer aus Afghanistan. Das waren Kämpfer aus dem Iran. Aber die spielen keine Rolle mehr.“ Man habe durch das Leben in der Unterdrückung viel Furcht verloren. Man habe es ertragen, dass die Städte mit Unterstützung Russlands zerbombt worden seien, dass Fassbomben ganze Häuserblocks zerstört hätten. Dass Oppositionelle gefoltert und getötet wurden.
So schlimm wie unter Assad wird es nie mehr werden!
„So schlimm wie unter Assad wird es nie mehr werden!“, ist sich der 46-Jährige sicher, während er Youtube-Videos zeigt, die seine völlig zerstörte Heimat Homs zeigen. Er setzt auf die Mehrzahl der 12 Millionen geflüchteten Syrer. „Sie werden in ihr Land zurückkehren, um es wieder aufzubauen“, ist der Palermo-Wirt überzeugt. „Die meisten haben 2015 das Land als Kinder verlassen. Sie können jetzt als junge Erwachsene zurückkehren, die eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben.“
Und Al Jadou selbst? Für ihn ist die Antwort bei allem Optimisums für sein Geburtsland klar: Er habe sich in Deutschland ein Unternehmen aufgebaut, „ich werde bleiben, aber in Syrien investieren“, erteilt er eine möglichen Rückkehr eine klare Absage.
Im „InnKlinikum“ arbeiten sechs Ärzte aus Syrien
Derzeit sind nach Angaben des Landratsamts 367 Syrer bei der Ausländerbehörde gemeldet, 233 von ihnen haben einen Schutzstatus aus humanitären Gründen. Sieben sind geduldet, 50 im Asylverfahren. 77 syrische Flüchtlinge haben nach Angaben des Landratsamts Arbeit oder sind Familienangehörige. Dazu kommen 37 Syrer, die in diesem Jahr eingebürgert wurden.
Wie wichtig syrische Flüchtlinge für die Region sind, zeigt ein Blick in „InnKlinikum“. Dort arbeiten nach Angaben von Sprecher Mike Schmitzer acht Syrer. Darunter sechs Ärzte, je einer in der Pflege, und dem medizinisch-technischen Dienst. „Es handelt sich um gut integrierte und anerkannte Kolleginnen und Kollegen, die für das „InnKlinikum“ wertvoll sind“, betont Schmitzer.
Rückkehr völlig offen
Wie viele zurückkehren werden, ist jedoch völlig offen. Fahed al Asaad zum Beispiel hat in Neumarkt-St. Veit seine neue Heimat gefunden. Der Vater von sechs Kindern zwischen eineinhalb und 14 Jahren ist 2015 nach Deutschland gekommen, er hat schnell Arbeit gefunden als LKW-Fahrer. Er fühlt sich in Neumarkt-St. Veit wohl. Natürlich habe er sich gefreut, dass das Regime von Assad (“Das war kein Mensch!“) gestürzt worden sei. Er hofft, dass damit auch die Greueltaten und die kriegerischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit angehören.
In Deutschland sesshaft geworden
Eine Rückkehr in seine Heimat in der Nähe von Aleppo kann sich der 42-Jährige trotzdem nicht vorstellen. Seine Kinder seien in Deutschland geboren, beherrschten die deutsche Sprache, würden einen höheren Schulabschluss anstreben, hätten selbst kaum Berührungspunkte mit Syrien. Er sei hier sesshaft geworden, nachdem er als Steinmetz in Syrien alles verloren hatte. „Ich fühle mich wie ein Deutscher!“, sagt er.