Kinderlähmung-Erreger in Deutschland
Polio-Viren im deutschen Abwasser: So ist die Lage und der Impfstand in der Region Mühldorf
Gefahr durch Kinderlähmung? Im Abwasser von München, Köln, Bonn und Hamburg wurden vor Kurzem Polio-Erreger nachgewiesen. Das gab das Robert-Koch-Institut (RKI) bekannt. So ist die Lage im Landkreis Mühldorf und der Region.
Mühldorf – Eigentlich gilt Polio seit den 1970er Jahren in Europa als ausgestorben. Dank der Schutzimpfung ist die Krankheit auch in vielen anderen Ländern nahezu ausgerottet. Umso aufsehenerregender sind die Aussagen des Robert-Koch-Instituts über die Entdeckung von Erregern im Abwasser einiger Großstädte.
In der Region keine Polio-Viren entdeckt
Für den Landkreis Mühldorf sind solche Vorkommnisse nicht bekannt, betont Birgit Franz, Leiterin des Gesundheitsamts Mühldorf. „Für den Landkreis Mühldorf liegt bisher kein positives Testergebnis für Polio vor“, sagt sie auf Anfrage. Ein Abwassermonitoring gibt es nach ihren Angaben allerdings nicht.
Der Erreger der Poliomeyelitis, kurz Polio, ist hochansteckend. Polio-Viren werden mit dem Stuhl ausgeschieden und vorwiegend durch Kontaktinfektion übertragen. Auch eine Ansteckung durch Husten und Niesen ist laut Franz möglich. „Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung. Ebenso kann verschmutztes Trinkwasser eine Infektionsquelle sein.“ Die Zeit zwischen Ansteckung und Erkrankung beträgt in der Regel drei bis sechs Tage.
Wie schwer eine Polio-Infektion verläuft, können Fachleute nicht sagen. Es können Magen und Darmbeschwerden auftreten, Übelkeit oder Fieber, Hals- und Kopfschmerzen, ähnlich einer Grippe. Laut Franz verlaufen so 95 Prozent der Infektionen.
Meist harmloser Verlauf mit geringen Symptomen
Nur in wenigen Fällen sei auch das Zentrale Nervensystem (ZNS) betroffen. „Hierbei können typische Symptome einer Gehirnhautentzündung wie Fieber, Nackensteifigkeit und Rückenschmerzen auftreten.“ Nur in unter einem Prozent der Fälle entwickele sich eine sogenannte Paralytische Poliomyelitis, die mit schlaffen Lähmungen der Bein-, Arm-, Bauch- und Augenmuskulatur verbunden sein könne. Franz‘ Kollege vom Gesundheitsamt Rosenheim, Dr. Wolfgang Hierl, erklärt, dass weder die Erkrankung selbst noch das Post-Polio-Symdrom behandelt werden könnten. „Man kann die Symptome nur lindern“, sagt Hierl.
Wie im Landkreis Mühldorf sind auch in den Landkreisen Rosenheim, Traunstein und Berchtesgadener Land bislang keine Fälle von Polio-Infektionen bekannt geworden. Das ergab eine Umfrage bei den Gesundheitsämtern. Auch dort gibt es keine Abwasseruntersuchungen.
Schutz gegen Kinderlähmung bietet nach übereinstimmender Aussage der Gesundheitsämter eine Impfung. „In der Regel wird der erste Impfschutz im Säuglingsalter aufgebaut“, heißt es vom Gesundheitsamt Mühldorf zu den Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten. „Um einen langanhaltenden Impfschutz zu erzielen, sollte nach der vollständigen Grundimmunisierung im Kindesalter eine Auffrischungsimpfung im Alter von 9 bis 16 Jahren erfolgen“, betont Amtsleiterin Franz. „Eine weitere routinemäßige Auffrischungsimpfung für Erwachsene wird in Deutschland nicht empfohlen. Eine noch ausstehende Auffrischungsimpfung sollte jedoch auch im Erwachsenenalter nachgeholt werden.“
Die Bereitschaft zu dieser Impfung liegt in Bayern allgemein höher als im Rest von Deutschland, sagt Franz. „So lagen die Impfquoten für das Schuljahr 2020/21 bei Einschulungskindern in Bayern bei 94,6 Prozent, während deutschlandweit nur 91,9 Prozent vollständig geimpft waren.“
Impfungen unter dem Bayerndurchschnitt
Für den Landkreis Mühldorf zeigen die neuesten Zahlen aus den Schuleingangsuntersuchungen, dass 90,7 Prozent der Kinder vollständig geimpft waren, das sind deutlich weniger als im Bayerndurchschnitt. Das Urteil der Ärztin: „Generell hat in den letzten Jahren die Impfbereitschaft leicht nachgelassen.“
Im Landkreis Traunstein sind die Zahlen ähnlich. Zum Schuleintritt 2023 hatten gut 90 Prozent der Kinder ihre Impfung gegen Polio abgeschlossen, weitere drei Prozent hätten die Grundimmunisierung begonnen.
Noch schlechter ist die Quote im Landkreis Rosenheim. Zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung waren in Stadt und Landkreis nur 89,3 Prozent vollständig geimpft.
Laut Landratsamt Altötting waren 87,3 Prozent der Kinder zum Schuleintritt komplett geimpft. Das Landratsamt Berchtesgaden konnten keine Zahlen vorlegen.
Die jetzt entdeckten Viren im Abwassermonitoring der Landeshauptstadt München wurden nach Einschätzung des Gesundheitsamts in Traunstein vermutlich durch Menschen nach Deutschland gebracht, die im Ausland eine Schluckimpfung erhalten haben. Sie können die Impfviren bis zu sechs Wochen lang ausscheiden und weiterverbreiten.
Das Gesundheitsamt in Berchtesgaden weist darauf hin, dass die letzte Ansteckung in Deutschland im Jahr 1990 erfasst worden sei. Danach habe es 1992 zwei Fälle gegeben, bei denen sich die Kranken in Ägypten und Indien angesteckt hätten. Laut des Leiters des Gesundheitsamts Rosenheim, Hierl, stammen die im Abwasser nachgewiesenen Polioviren von einer Linie ab, die sich ursprünglich aus dem Polio-Schluckimpfstoff (OPV) entwickelt hat. Diese Impfviren zirkulieren ihm zufolge in Regionen mit insgesamt geringem Impfschutz. Beispielsweise in verschiedenen Teilen Afrikas oder in Indonesien. „Sie hatten so die Möglichkeit, sich genetisch zu verändern und dadurch entstanden wieder krankheitsauslösende Viren“, erklärt der Experte.


