Fünf Jahre nach Corona
Von falschen und richtigen Entscheidungen – So schaut das „InnKlinikum“ auf eine neue Pandemie
Vor fünf Jahren wurde das Krankenhaus Mühldorf zur reinen Corona-Klinik. Eine harte Entscheidung. Wie das „InnKlinikum“ zu den damaligen Entscheidungen und zu einer neuen Pandemie steht, erklären die leitenden Ärzte Dr. Wolfgang Richter und Dr. Daniel Heidenkummer im Interview.
Wie beurteilen Sie den Verlauf der Pandemie im „InnKlinikum”?
Dr. Wolfgang Richter: Es war natürlich eine enorme Zäsur, speziell für unseren Standort in Mühldorf.
Sie meinen die Umwandlung des Krankenhauses in eine reine Coronaklinik?
Richter: Ja. Und ich habe mich in den Jahren danach mehrfach gefragt, ob diese Entscheidung noch mal so zu treffen wäre.
Die Antwort?
Richter: Ich muss ganz klar sagen: nein. Aus organisatorischer Sicht und hinsichtlich der Patientenversorgung war es optimal, aber unsere Mitarbeiter haben wir mit der alleinigen Konzentration auf ein Coronahaus stark belastet. Das hat Narben hinterlassen. Wir konnten damals nicht ahnen, wie lange uns Corona beschäftigen würde, sonst hätten wir von Beginn an eine Mitarbeiterrotation mit den anderen Häusern eingerichtet.
Wirkt die damalige Entscheidung bis heute nach?
Richter: Es hing uns lange nach. Wir hatten das Image der Corona-Klinik, erst sehr zögerlich sind wir in den Köpfen der Bevölkerung wieder in den Normalzustand zurückgekehrt. Inzwischen haben wir uns Gott sei Dank wieder gut erholt.
War das „InnKlinikum” auf eine solche Seuche vorbereitet?
Dr. Daniel Heidenkummer: Es gab verschiedene Szenarien, hausinterne Regularien zum Beispiel für Ebola, wir hatten Isolationskonzepte für TBC, Influenza oder RSV-Infektionen. Diese Konzepte gibt es also, das ist alles in Alarmeinsatzplänen hinterlegt. Und wir haben eine tolle Hygieneabteilung, die das Ganze umgesetzt und überprüft hat.
Richter: Die Menge der Patienten hat im Endeffekt die Konzepte an ihre Grenzen gebracht. Man hat seit der Spanischen Grippe 1918 nie wieder eine so große Pandemie erlebt. Wir waren natürlich darauf vorbereitet, isolationspflichtige Patienten intensivmedizinisch zu versorgen. In der Höchstphase waren es 20 beatmete Patienten. Das ist eine unglaubliche Zahl für ein Haus unserer Größenordnung. Natürlich waren und sind wir in der Lage, mit unserer medizinischen Expertise und der uns zur Verfügung stehenden modernen Technik, die betroffenen Patienten bestens zu versorgen.
Heidenkummer: Plötzlich wurden aus dem ersten Patienten 10, dann waren es 20, dann 50. Und die waren plötzlich beatmungspflichtig. Wir haben anfangs gedacht, wir können 50 gleichzeitig beatmen, das mussten wir ganz schnell revidieren. Das war mit dem Personal nicht zu schaffen, die Kolleginnen und Kollegen waren am Limit.
Was würde heute passieren?
Richter: Wenn Sie heute einer Pflegekraft, einem Arzt sagen, jetzt steht wieder sowas vor der Tür, dann würden sich viele Sorgen machen. Als Corona losging, wusste keiner, was auf uns zukommt. Bei vielen sind die eindringlichen Bilder dieser Zeit zurückgeblieben und diese Belastung, die einfach weit über das normale Maß hinausging. Ich weiß nicht, ob heute alle die Bereitschaft hätten, sich dem wieder auszusetzen.
Die Normalität ist zurück
Gleichzeitig sagen Sie: Die Normalität ist zurück. Wie geht das zusammen?
Richter: Wir behandeln jetzt ja wieder Infektionserkrankungen, die für den Einzelnen genau die gleichen gravierenden Auswirkungen haben können wie Covid. Es ist keineswegs so, dass sich Mitarbeiter weigern würden, Infektpatienten zu behandeln. Da wird mit der gleichen Professionalität gearbeitet, wie es auch während Corona der Fall war.
Heidenkummer: Organisatorisch haben wir etwas verändert. Früher gab es eine Isolier-Station, auf der alle Patienten mit einer Infektion lagen. Jetzt gibt es eine dezentrale Versorgung. Der unfallchirurgische Patient liegt auf der unfallchirurgischen Station, auch wenn er Corona oder eine andere Infektionskrankheit hat.
Richter: Das ist eine Erkenntnis aus der Corona-Pandemie: Wir gewinnen nichts, wenn zum Beispiel Chirurgen auf die Isolationsstation gehen müssen, um Patienten dort zu behandeln. Dann habe ich den Patienten lieber auf der fachlich spezialisierten Station und isoliere ihn dort. So sind die Wege kürzer und die Abläufe einfacher.
Und wenn die nächste Pandemie kommt?
Richter: Das ist eine Frage der Kapazität und der Anzahl der Patienten. Möglicherweise müssten wir die Infizierten wieder auf einer Station zusammenfassen.
Das heißt, Corona hat keine revolutionären, strukturellen Veränderungen gebracht?
Richter: Wir haben gelernt, wie wir unsere Pläne für eine Pandemie abspulen können und wie wir in eine solche Seuche hineingehen. Eine ganze Station auf eine Infektionserkrankung umzustellen in einem Haus, das ein normaler Grundversorger ist, daran hätte man natürlich vor Corona überhaupt nie gedacht. Das wäre jetzt gleitend im Rahmen der Routine machbar.
Wo gab es neue Erkenntnisse?
Heidenkummer: Im Rettungsdienst haben wir sehr viele strukturelle Dinge gelernt. Zum Beispiel, wie wir schnell miteinander kommunizieren können, wie schnell Verlegungen auf die Beine gestellt werden können, oder dass Reha-Kliniken umfunktioniert werden können in Verlegungskliniken für Patienten. Diese Dinge sind jetzt alle vorhanden. Ein einheitliches Alarmierungssystem ist mittlerweile über den kompletten Rettungsdienst deutschlandweit ausgerollt worden. Das alles hilft auch bei Großschadensereignissen oder Terror.
Wurde auch die Materialbeschaffung überarbeitet, zum Beispiel waren ja anfangs Masken knapp?
Heidenkummer: Da hatten wir anfangs Engpässe und unsere Einkäufer haben geschwitzt, das alles zu besorgen. Aber sie haben es geschafft, dass wir für die Mitarbeiter immer die benötigte Schutzausrüstung hatten. Es war nicht so, dass wir Masken in irgendeiner Sterilisationskammer aufbereiten mussten. Wir haben die Tragezeiten einmal verlängern müssen, aber ansonsten war es nie kritisch. Wir hoffen, dass die Lager in Deutschland jetzt voll sind.
Richter: Die innerklinische Routine, mit solchen spezifischen Herausforderungen umzugehen, ist massiv gewachsen. Es ist ganz stark ins Bewusstsein gedrungen, dass sowas nicht nur ein theoretisches Planspiel ist, sondern tatsächlich passieren kann. Zweifel habe ich, ob das Durchbrechen der Abhängigkeit vom asiatischen Markt bei Medizinprodukten oder Medikamenten umgesetzt wird. Denn das kostet mehr Geld.
Corona ist vorbei, das Krankenhaus in Haag geschlossen und in ein Medizinzentrum umgewandelt. Ähnliches ist in Burghausen passiert. Auch die Geburtshilfe in Mühldorf wurde nicht wieder eröffnet. Hat die Pandemie die heimische Kliniklandschaft verändert?
Richter: Corona hat den vernünftigen und nicht aufhaltbaren Prozess, Krankenhäuser dieser Größenordnung in eine andere Funktion zu bringen, nur beschleunigt. Wir haben Haag ja nicht zugesperrt, wir haben eine erfolgreiche Umnutzung erreicht.
Das heißt, Corona ist nicht der Grund, warum das Krankenhaus Haag umgewandelt wurde?
Richter: Wie gesagt, wurde der sinnvolle Umwandlungsprozess nur beschleunigt und wir sind sehr froh darüber, dass wir mit diesen Umstrukturierungen in Haag die jetzt beschlossene Krankenhausreform vorweggenommen und unsere Hausaufgaben schon erledigt haben. Deshalb sind wir optimistisch, dass wir zu den Unternehmen gehören, die sich wieder finanziell spürbar positiv entwickeln.
Und die Geburtshilfe, die während Corona geschlossen und nie wieder eröffnet wurde?
Heidenkummer: Die gesetzlichen Anforderungen an Personal bei Ärzten und Hebammen sind so nach oben reguliert worden, sodass der Weiterbetrieb in Mühldorf trotz umfangreicher Personalsuche letztlich nicht mehr möglich war.
Richter: Ich denke, das wäre auch ohne Corona irgendwann gekommen. Das sind einfach Realitäten, die muss man akzeptieren. Wir haben im Jahr 2021 in Mühldorf 56 Entbindungen durchgeführt, in Altötting hingegen 2.054. Das lag einerseits an unseren personell bedingt sehr begrenzten Kapazitäten, andererseits aber auch an einer sinkenden Nachfrage. Das ist generell das Problem von medizinischen Angeboten in der Region: Wenn sie nicht wirklich angenommen werden, sind sie irgendwann zum Sterben verurteilt, weil man immer eine gewisse Mindestanzahl an Behandlungsfällen braucht.
Kommt die nächste Pandemie?
Heidenkummer: Die Mobilität, die wir heute haben, spricht natürlich dafür. Aber wenn sie kommt, sind wir vorbereitet.
Dr. Wolfgang Richter ist Medizinvorstand des „InnKlinikums“ Altötting/Mühldorf.
Dr. Daniel Heidenkummer ist Leitender Oberarzt in Mühldorf und zuständig für Risikomanagement sowie Pandemiebeauftragter.

