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Ein Drittel der Patienten sind hier falsch

Mit eingerissenem Fingernagel in die Notaufnahme Mühldorf – „Echte Notfälle gehen einfach vor“

Chefärztinnen Susanne Reschke und Arzu Diyaroglu-Korkmaz
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Die Zwei von der Notaufnahme: Die Chefärztinnen Susanne Reschke (links) und Arzu Diyaroglu-Korkmaz leiten seit März die Notaufnahme am „InnKlinikum“ Mühldorf.

Stundenlang im Wartezimmer gesessen: Eine Mutter hat sich beim OVB über die Wartezeit in einer der beiden Notaufnahmen des „InnKlinikums“ beschwert. Warum dauert es oft so lang? Die Chefärztinnen der Notaufnahme Mühldorf haben die Antwort.

Mühldorf – Mittwochmittag in den Pfingstferien. Das Wetter ist sommerlich, sonnig und warm. Im Anmelde- und Wartebereich der Notaufnahme am „InnKlinikum“ in Mühldorf ist es kühl – und ruhig. Bei schönem Wetter kommen meist weniger Patienten, aber das könne sich schnell ändern, meinen die Chefärztinnen Susanne Reschke und Arzu Diyaroglu-Korkmaz, die zusammen die Abteilung für Notfallmedizin seit März leiten: „Mittwochnachmittag haben die meisten Hausarzt- und Facharztpraxen geschlossen, dann kommen die Leute zu uns in die Notaufnahme.“

Geht es in der Notaufnahme Mühldorf auch mal so dramatisch und blutig zu, wie es in Klinikserien oft zu sehen ist?

Susanne Reschke: Wir haben auch im Schockraum schon einen Notfalleingriff machen und operieren müssen. Nach mancher Behandlung bleibt im Schockraum ein Chaos zurück.

Arzu Diyaroglu-Korkmaz: Ich kann mich an einen anderen Fall erinnern, da hatten wir Durchgangstüren von einem Behandlungsraum zum Nächsten. In einem Zimmer haben an die 15 Leute einen Patienten reanimiert und um sein Leben gekämpft, da ging die Zwischentür auf, eine Mutter steckte ihren Kopf herein und fragte, wann ihr Kind endlich dran sei.

Wie viele Patienten, die die Notaufnahme aufsuchen, gehören eigentlich nicht hierher?

Reschke: Ich würde sagen, rund ein Drittel sind hier falsch. Viele von ihnen kommen Mittwochnachmittag und Freitag, wenn ihre Hausärzte die Praxis geschlossen haben. Falsch in der Notaufnahme sind Patienten, die schon seit Monaten Rückenschmerzen haben und das dann im Krankenhaus mal richtig abklären lassen wollen und auf eine Kernspintomografie hoffen. Oder solche, die nur einen Verbandswechsel oder ein neues Rezept brauchen. Das können wir nicht bieten. Es gibt ein Medikament als Infusion gegen die akuten Beschwerden, oder ein, zwei Tabletten. Für mehr muss der Hausarzt aufgesucht werden. Mir wurde auch schon mal ein eingerissener, künstlicher Fingernagel entgegengehalten. Dazu muss ich wohl nichts mehr sagen.

70 Patienten pro Tag in der Notaufnahme

Diyaroglu-Korkmaz: Wir haben im Durchschnitt 70 Patienten pro Tag in der Notaufnahme, rund 25.000 pro Jahr. Das reicht vom schwersten Unfall über den Herzinfarkt bis zu einer Krankmeldung am Sonntagabend oder einem Zeckenbiss. In dem Fall würde es reichen, wenn man die Zecke selbst entfernt, aber viele haben Angst davor, dass der Kopf stecken bleibt. Das ist kein Fall für die Notaufnahme.

Reschke: Der verbliebene Stechapparat der Zecke muss auch gar nicht rausgeschnitten werden, wie viele meinen. Der kommt mit der Zeit von selbst raus. Nur desinfizieren und beobachten.

Wie ist der Ablauf in der Notaufnahme Mühldorf?

Reschke: Bei Ankunft werden Name, Geburtsdatum und Allergien abgefragt. Innerhalb von zehn Minuten folgt darauf die Triage, die medizinische Ersteinschätzung des Patienten, die von einer erfahrenen Pflegekraft gemacht wird. Je nach Schweregrad der Erkrankung oder Verletzung wird die Behandlungsdringlichkeit eingestuft. Es gibt fünf Kategorien: Höchste Dringlichkeit hat die Stufe rot, danach folgen orange, gelb, grün und blau. Und dabei spielt es keine Rolle, ob der Patient selbstständig gekommen ist oder vom Rettungsdienst gebracht wurde. Die einen warten sitzend im Wartezimmer auf die Behandlung, die anderen auf einer Liege im Flurbereich.

Triage gibt Behandlungsablauf vor

Wird bei dieser Ersteinschätzung differenziert nach Alter der Person oder Vorerkrankungen? Etwa kräftiger junger Erwachsener, voll im Berufsleben; Person über 80, vorerkrankt und gebrechlich; Kinder?

Diyaroglu-Korkmaz: Solche Kriterien spielen bei der Triage keine Rolle. Wenn möglich, behandeln wir kleine Kinder dringlicher. Aber es gilt natürlich, dass neu hereinkommende schwere Fälle zuerst dran sind. Unsere Leute haben einen guten Riecher und rufen uns Ärzte dann schon während der Triage sofort dazu. Eins steht fest, jeder wird von uns bestmöglich behandelt.

Man muss aber oft Stunden warten.

Diyaroglu-Korkmaz: Wer mit kleineren Beschwerden zu uns kommt, wird in der Dringlichkeit niedrig eingestuft und muss schon mal vier, fünf Stunden warten. Notfälle gehen einfach vor und werfen den Ablauf über den Haufen.

Manche Patienten fühlen sich während der Wartezeit vergessen.

Reschke: Im Wartebereich der Notaufnahme Mühldorf wird auf einem Bildschirm angezeigt, wie viele Patienten gerade in Behandlung und wie viele Behandlungszimmer besetzt sind. So können die Patienten sehen, dass sich etwas tut. Seit wir diesen Einblick bieten, sind die „Wann bin ich dran“-Nachfragen deutlich weniger geworden und auch die Beschwerden über längere Wartezeiten.

Diyaroglu-Korkmaz: Das Klinikum Mühldorf war unter den ersten 30 Krankenhäusern Deutschlands, die 2019 diese schnelle Triage im Rahmen der Zeritifizierung eingeführt haben. Der Erstkontakt mit medizinischem Personal und die dann meist erfolgende Erstbehandlung mit Eisbeutel, Infusion oder einem Medikament hat eine enorm beruhigende Wirkung auf unsere Patienten. Die Menschen fühlen sich gesehen und informiert, das erleichtert auch längeres Warten auf die Behandlung durch den Arzt.

Ist die Notaufnahme Mühldorf überlastet?

Reschke: Wir sind gut ausgelastet und in Spitzenzeiten auch mal überlastet. Es fehlt einfach oft pflegerisches Personal, da knabbern wir noch an den Belastungen der Corona-Zeit, die viele zur Aufgabe des Berufs gebracht haben.

Notaufnahme ist auch mal überlastet

Diyaroglu-Korkmaz: Es ist schwierig, Nachwuchs zu finden. Schicht- und Wochenenddienste, der hohe Verwaltungsaufwand und wenig Zeit beim Patienten machen den Beruf immer weniger attraktiv. Früher war Krankenpflege ein begehrter Ausbildungsberuf, da hatten wir früher 40 Bewerber, heute sind es gerade mal zehn.

Verteilt der Rettungsdienst die Patienten auf die Notaufnahmen in Mühldorf und Altötting?

Diyaroglu-Korkmaz: Die Kliniken Altötting und Mühldorf haben einen gemeinsamen Klinik-Disponenten für beide Landkreise. Er sieht am Bildschirm, wie die beiden Notaufnahmen mit Patienten ausgelastet und personell besetzt sind. Was Symptome angeht: Liegt ein urologisches Problem vor, dann ist Mühldorf die richtige Anlaufstelle. Hat ein Patient ein kaltes und schmerzhaftes Bein, dann ist von einem Gefäßverschluss auszugehen und er wird nach Altötting gebracht. Auch kleine Kinder und gynäkologische Fälle gehen nach Altötting.

Und was passiert, wenn es bei einer Geburt in Mühldorf plötzlich schnell gehen muss?

Reschke: Das hatten wir im vergangenen Jahr, seit Schließung unserer Geburtsstation war das aber das einzige Mal. Zum Glück hatte ein in Geburten erfahrener Assistenzarzt Dienst, der genau wusste, was zu tun ist. Es ist alles gut gegangen. Im Medizinstudium in Deutschland stehen Geburten nicht im Lehrplan.

Mancher hat die Sorge, dass in der Notaufnahme gerade kein Arzt Dienst tut, der auf seine Beschwerden spezialisiert ist. Ist diese Sorge berechtigt?

Reschke: Da muss keiner Angst haben. Es ist immer von jeder Fachabteilung ein erfahrener Assistenzarzt im Haus und ein Facharzt in Rufbereitschaft.

Handgreiflichkeiten zur Volksfestzeit

Wurde schon mal ein Patient handgreiflich?

Diyaroglu-Korkmaz: Die Handgreiflichkeiten werden immer mehr, vor allem zur Volksfestzeit mit jungen, betrunkenen Männern. Für solche Fälle haben wir in der Leitstelle einen Notknopf über den alle im Haus angefunkt und herbeigerufen werden. Zu Corona-Zeiten hatten wir einen Sicherheitsdienst, der wurde aber leider wieder abgeschafft. Einmal stand ein Mann in der Notaufnahme und drohte damit, sich in die Luft zu sprengen. Er wurde von der Polizei abgeholt und etwas später wieder in Hand- und Fußfesseln und mit Tuch über dem Kopf zu uns zur Blutentnahme gebracht.

Reschke: Vor Ort werden Beschwerden eher selten geäußert, da nutzen Unzufriedene eher das Internet. Was immer wieder vorkommt, dass sich Patienten nach ihrer Entlassung mit einem Blumenstrauß oder Schokolade bei dem ganzen Team bedanken oder den Pflegern ein Trinkgeld für die Kaffeekasse zustecken.

Die Doppelspitze der Notaufnahme in Mühldorf

Die beiden Oberärztinnen Susanne Reschke und Arzu Diyaroglu-Korkmaz traten im März ihre neue Position als Chefärztinnen an. Die Ärztinnen teilen sich die Leitung nach Ihren Qualifikationen in den Fachgebieten der Innere Medizin und Chirurgie. Arzu Diyaroglu-Korkmaz kam 2010 als Assistenzärztin im Bereich Innere Medizin ans InnKlinikum Mühldorf. Seitdem ist sie der Klinik treu geblieben. Die ausgebildete Internistin und Notärztin nimmt zusätzlich am Notarztdienst teil und sitzt als stellvertretende Chefärztin im Vorstand des BRK-Kreisverbandes. Ihre Kollegin Susanne Reschke absolvierte ihre Ausbildung zur Allgemeinchirurgin und Viszeralchirurgin am InnKlinikum Altötting, wo sie elf Jahre lang tätig war, bevor sie 2005 nach Mühldorf wechselte. Beide Chefärztinnen verfügen zudem über die Weiterbildungsermächtigung für die Klinische Akut- und Notfallmedizin und dürfen somit junge Ärztinnen und Ärzte in diesem Fachbereich ausbilden.

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