Sprengstoff auf Mühldorfer Grundstück an alter B12 gefunden
20 US-Panzerminen in der Nachbarschaft: Die Koffer der Anwohner bleiben gepackt
20 Panzerabwehrminen wurden bei Bauarbeiten an der Mühldorfer Innstraße gefunden. Spezialisten des Sprengkommandos München konnten die Munition aus dem Zweiten Weltkrieg bergen und abtransportieren. Jetzt sitzen Anwohner auf gepackten Koffern und machen sich weiter Sorgen.
Von Christa Latta und Nicole Petzi
Mühldorf - Am Tag nach dem Fund der Panzerminen steht Herrmann Brugger an dem Bauzaun, der das Grundstück an der Innstraße absperrt. Er ist noch immer bewegt von den Erlebnissen am Vorabend. „Ich habe ja viel mitgemacht in meinem Leben“, sagt der 81-Jährige. „Aber wenn es dann so weit ist, hat man ein mulmiges Gefühl.“ Seit einem halben Jahrhundert wohnt Brugger mit seiner Frau Anneliese im Haus direkt neben dem Privatgrundstück, auf dem die Minen gefunden wurden. Wegen des plötzlichen Tumults vor der Haustüre seien sie kurz nach sieben Uhr abends an den Bauzaun neben seiner Garage gekommen, um zu sehen, was los ist. „Wir sollen wieder zurück ins Haus gehen, die Situation sei nicht ungefährlich“, habe ein Polizeibeamter ihnen zugerufen.
Am späten Mittwochnachmittag des 21. Juni wurden auf diesem Grundstück in der Innstraße 20 amerikanische Panzerabwehrminen aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. „Die Minen wurden auf dem Privatgelände bei Grabungsarbeiten zum Verlegen von Kabeln in circa 80 Zentimetern Tiefe entdeckt“, teilte das Landratsamt Mühldorf auf Nachfrage mit. Der Fundort liegt zwischen dem Amtsgericht und der Einmündung in die Staatsstraße 2550, ehemalige B12.
Mitarbeiter des Sprengkommandos München waren am Mittwoch gegen 18.45 Uhr vor Ort und stellten fest, dass die Minen keinen Zünder besitzen und gefahrlos abtransportiert werden können. Bei der Untersuchung der Baustelle entdeckten sie weitere Minen, deren Zünder ebenfalls bereits entfernt waren.
Eine Gefahr für die Bevölkerung bestand nach Angaben des Landratsamts nicht. Vor Ort wurden die Innstraße sowie die Zufahrten in unmittelbarer Umgebung gesperrt. Im Einsatz waren Polizei, Feuerwehr Mühldorf, das THW sowie vorsorglich der Rettungsdienst. Im Landratsamt Mühldorf kam die Führungsgruppe Katastrophenschutz zusammen. Die Straßensperrungen konnten bis 20 Uhr wieder aufgehoben werden.
Anwohner sitzen auf gepackten Koffern
Dass sich die Lage bereits entspannt zu haben scheint, ist allerdings den Anwohnern und den Mitarbeitern der gegenüberliegenden Tankstelle von Franz Dechantsreiter auch am Donnerstagvormittag noch nicht klar. Sie machen sich weiter Sorgen. So wie die Bruggers.
Anneliese Brugger hat noch am Mittwochabend das Nötigste gepackt – für alle Fälle, erzählt ihr Mann. „Dann fängt man plötzlich an, darüber nachzudenken, was man eigentlich auf die Schnelle braucht: Ausweis, Impfpapiere und so weiter.“ Auch wenn die Polizei später am Abend Entwarnung gab, weil den Minen augenscheinlich die Zünder fehlen, sitzen die Bruggers seitdem auf gepackten Koffern.
„Sie suchen doch nach weiterem Kriegsgerät. Wer weiß, was da noch kommt?“, überlegt Brugger, dem es ein Rätsel ist, warum neben seinem Haus Minen oder Zünder im Boden steckten: „Das dient doch keinem militärischen Zweck, oder? Die muss jemand entsorgt haben.“ Für das Rentnerehepaar bleibt es ein mulmiges Gefühl.
Auch Eva Schenk kommt nicht mehr aus dem Grübeln raus. Die Tankstellen-Angestellte sitzt im Büro an der Kasse und blickt sorgenvoll aus dem Fenster, direkt auf die explosive Baustelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Um circa 8 Uhr morgens - nach dem Fund am Vorabend – habe die Baufirma ihre Baugeräte wie etwa Minibagger oder Lader „wie auf rohen Eiern“ vom Gelände abgezogen, erinnert sie sich. „Da muss doch noch etwas liegen, sonst hätten die doch weiterarbeiten können!“ Dazu Landratsamtsamtssprecher Wolfgang Haserer: „Es werden vorsorglich im betroffenen, engeren Bereich weitere Bodenuntersuchungen durch eine Fachfirma durchgeführt.“
Ein schreckhafter Mensch sei Eva Schenk als Skifahrerin, Fallschirmspringerin oder Motorradfahrerin wirklich nicht, aber das sei für sie ein „unkalkulierbares Risiko“ – der Sprengstofffund auf einem Gelände genau zwischen zwei Tankstellen. „Das wäre dann ein Volltreffer“, sagt die resolute Mitarbeiterin und bedient einen Stammkunden, nachdem der mit dem Spruch „Bombenstimmung hier!“ zur Türe hereinspaziert kam. Lachen kann Eva Schenk nicht, auch wenn sie zugeben muss, dass man vieles nur noch mit Humor ertragen kann. Vor wenigen Jahren habe sie ähnliche Situationen rund um Kriegsgerätfunde erlebt, damals als Angestellte im Mühldorfer Bahnhofsladen. Das härtet ab. Andererseits geht es Eva Schenk aber auch nahe, dass fast 80 Jahre nach dem Krieg immer noch „Kriegs-Schrott“ wie Panzerminen hier gefunden wird, währenddessen in der Ukraine die Panzer tatsächlich zum Gefecht auffahren.
Bereits die dritte Sprengmittel-Räumung am Arbeitsplatz
Angst habe sie aber nicht, genauso wenig wie ihre Kollegin, die am Vorabend Dienst hatte und die ganze „Gaudi“ so ab 17 Uhr abends miterlebt habe. Um 17.30 Uhr habe sie die Tankstelle nach Aufforderung der Polizeibeamten zugesperrt. Außerdem hätten diese um eine Folie oder Ähnliches aus dem Betrieb gebeten, um die Fundstelle notdürftig abzudecken, berichtet Eva Schenk und kassiert nebenbei weiter.
„Wenn eine Decke auf dem Zeug liegt, kann ja nichts mehr passieren.“ Tankstellen-Chef Franz Dechantsreiter kommt dazu. Er grinst und schüttelt dabei immer noch ungläubig den Kopf. Als der Baggerfahrer am Vorabend die Minen herausgeholt und zunächst nicht gewusst habe, was das Zeug eigentlich ist, sei er nicht mehr im Betrieb gewesen. „Gott sei Dank“, so Dechantsreiter, den bereits die Bilder der neun gefundenen Panzerminen, die ihm tags darauf die Baufirmenmitarbeiter gezeigt haben, beeindruckt haben: „Mordsrohre.“
„Größter Sprengmittelfund in Mühldorf nach dem Krieg“
Es handle sich um den größten Sprengmittelfund in Mühldorf nach dem Krieg, habe man ihm abends erklärt, man warte auf das Sprengmittelkommando. Entwarnung hat Dechantsreiter bis zu dem Zeitpunkt offenbar nicht bekommen.
Was Franz Dechantsreiter noch mehr zu ärgern scheint, ist Unruhe in den eigenen vier Wänden nach dem „explosiven“ Fund: „Wissen Sie, meine Frau schaut immer diese Sendung im Fernsehen an, in der zuletzt eine Tankstelle nach einem Bombenfund hochgegangen ist und der Inhaber danach aufs Fahrradgeschäft umgestiegen ist.“ Der Tankstellen-Betreiber lacht. Für den Fall der Fälle werde halt auch er Fahrräder flicken. Auch ihm scheint der Humor angesichts der Lage nicht abhandengekommen zu sein.
Das ist bei verdächtigen Funden zu tun
Was ist zu tun, wenn bei Bauarbeiten verdächtige Metallgegenstände im Boden gefunden werden? „Wichtig ist eventuelle Funde müssen in vorgefundener Lage liegen bleiben“, lautet die Antwort aus dem Landratsamt. „Darüber hinaus ist sofort die Polizei zu verständigen.“ Die Polizei übernimmt die erforderlichen Schritte, um die Gefahr zu beseitigen. „Wer ohne besondere Sachkenntnis mit Kampfmitteln hantiert, gefährdet sein eigenes Leben und das Leben anderer.“ Weitere Informationen bietet der Katastrophenschutz Bayern im Internet.




