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Ärztekammer-Kreisvorsitzender Dr. Erich Fink im Gespräch

„Es ist sehr, sehr ernst!“ Düstere Prognosen für hausärztliche Versorgung im Kreis Mühldorf

Mühldorf am Inn - Dr. med. Erich Fink ist Vorsitzender des Mühldorfer Kreisverbands der Ärztekammer.
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Dr. med. Erich Fink ist Vorsitzender des Mühldorfer Kreisverbands der Ärztekammer.

Auch auf der Warteliste für einen Hausarztplatz? Warum sich auch im Landkreis Mühldorf eine drastische Unterversorgung abzeichnet und was der Frauenanteil in der Medizin damit zu tun hat, erläutert der Ärztekammer-Vorsitzende im Landkreis Dr. Erich Fink im Exklusivinterview.

Mühldorf am Inn - Das Schreckgespenst Ärztemangel geht um. Damit verbunden eine Versorgungslage, die sich sowohl ambulant als auch stationär bald dramatisch verschlechtern könnte - auch im Landkreis Mühldorf. Für den Jettenbacher Allgemeinmediziner mit ehemaliger Hausarztpraxis in Waldkraiburg Dr. Erich Fink, der auch Kreisvorsitzender der Ärztekammer ist, ist das Maß längst voll. Im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen fordert er ein Umdenken von allen Akteuren - auch von den Patienten.

Herr Dr. Fink, wenn man Sie anschaut, könnte man sich fragen, ob der Arztberuf Lust auf langes Arbeiten macht ...

Erich Fink: (lacht) Wissen Sie, ich bin da mit Ende 70 keine Ausnahme. Auch viele meiner Kollegen halten lange durch, weil sie ihre Patienten nicht im Stich lassen können. Einer war noch bis über 80 aktiv. Natürlich gilt die Rente ab 65 auch für uns. Jedoch: Dass niedergelassene Ärzte rund zehn Jahre länger arbeiten, ist fast schon die Regel.

Was machen die Patienten, wenn Sie und Ihre Kollegen letztendlich doch aufhören?

Fink: Aus meiner Erfahrung heraus haben viele jetzt schon ein Problem, einen Hausarzt zu finden. Nach meiner Praxisauflösung hatte ich lange Zeit Kontakt zu meinen ehemaligen Patienten. Mindestens 30 Prozent hatten nach gut einem Jahr immer noch kein Glück. Natürlich behandeln die ansässigen Ärzte Notfälle, wenn sie aufschlagen. Jedoch eine hausärztliche Bindung, die über Jahre ausgelegt ist, ist kaum mehr möglich. Der Patient springt von einem zum nächsten Arzt.

Sie gehen also davon aus, dass damit auch ein Qualitätsverlust einhergeht?

Fink: Das würde ich so sehen. Gerade auch mit Blick auf die fachärztliche Versorgung. Da sich der Facharztmangel auf dem Land noch mehr abzeichnet als in der Stadt, passen sich viele Hausärzte fachlich dem Bedarf an. Wenn sie von Patienten gestürmt werden, ist eben nur noch die Grundversorgung möglich. Ich selbst habe mich auch der psychiatrischen Behandlung verschrieben. Gerade in diesem Fachbereich ist die Situation katastrophal. Wenn ein Suizidgefährdeter eine Wartezeit von über einem Jahr hat, springt er doch zehnmal aus dem Fenster. Solche Fälle dürfen nicht aufgeschoben werden. Das gefährdet Menschenleben.

Das hört sich sehr drastisch an ...

Fink: Ich möchte keine Katastrophenstimmung verbreiten. Aber wenn der Ärzteschwund in dem Tempo weitergeht, gibt es beispielsweise in Waldkraiburg in fünf Jahren nur noch sieben hausärztliche Arztpraxen. Vor Jahrzehnten waren es zwischen 35 und 40. In Mühldorf sieht es ähnlich aus, jedoch spüren die Mühldorfer den Mangel noch nicht so drastisch, weil die Waldkraiburger 20 Prozent des Mühldorfer Raums - wozu beispielsweise Jettenbach gehört - mitversorgen. Das hat die Kassenärztliche Vereinigung nicht bedacht, als sie die Arztsitze verteilt hat.

Das heißt, die Gesundheitspolitik müsste aufgrund dieser Prognose jetzt ansetzen?

Fink: Man hat es eigentlich bereits verpasst. Die Situation ist sehr, sehr ernst. Der Ärzteschwund ist nicht von heute auf morgen aufgetreten, sondern hat sich vor 20 Jahren begonnen abzuzeichnen. Die Krux liegt schon beim Studium, zu dem der Zugang immer noch mit Numerus clausus erschwert ist. Wir haben eine zu geringe Ausbildungszahl und zu wenige Ausbildungsstätten. Das heißt, uns fehlen unterm Strich zu viele Mediziner - bei einer älter werdenden Bevölkerung und steigender Bedürftigkeit, nicht zuletzt durch die aktuelle Entwicklung mit der Migration und den Kriegsflüchtlingen. Was oft übersehen wird: Die Medizin wird zunehmend verweiblicht ...

... Sind zu viele Frauen tatsächlich ein Problem?

Fink: Zu meiner Zeit machten die weiblichen Kommilitonen nur 20 Prozent aus, heute ist das Verhältnis fast schon umgekehrt. Das anzumerken hat natürlich keinesfalls damit zu tun, dass Frauen weniger Talent hätten! Es ist ganz natürlich, dass Frauen noch andere Verantwortlichkeiten etwa in Sachen Kindererziehung haben. Deswegen arbeiten Frauen eher in Teilzeit als ihre männlichen Kollegen. Die Hausarztpraxis macht aber einen 100-prozentigen Einsatz erforderlich, um Nacht- und Notdienste oder sonntägliche Hausbesuche abzudecken. In Kliniken oder medizinischen Versorgungszentren sieht die Situation etwas besser aus.

Ist der Beruf Hausarzt mit eigener Praxis auf dem Land heute also nicht mehr attraktiv?

Fink: Ich hatte zu meiner aktiven Zeit von 8 bis 12 Uhr Sprechstunde, dann Hausbesuche bis 15 Uhr, dann wieder bis 19 Uhr Sprechstunde. Dazu kommt, dass man als Hausarzt immer telefonisch bereitstehen sollte. Da meine Praxis- und Wohnräume nebeneinanderlagen, kam es nicht selten vor, dass Patienten bei einem Notfall mitten im Wohnzimmer standen. Das muss man mögen. Dazu kommen die überbordende Bürokratisierung sowie der Gesichtspunkt der Honorierung, die den niedergelassenen Ärzten Ärger machen: In der Klinik ist es die Fallpauschale, aber auch in der Hausarztpraxis ist mittlerweile alles pauschaliert.

Was ist dann die Lösung?

Fink: Es gibt kein Patentrezept. Vielleicht sollte die Gesellschaft dort ansetzen, die Medizin wieder mehr wertzuschätzen. Die Pauschalierung beispielsweise hat den Nachteil, dass sich in den letzten Jahren eine Vollkasko-Mentalität bei den Patienten entwickelt hat. Aus der Sicht der Patienten kann ich das verstehen. Allerdings, wenn man wegen jeder Befindlichkeitsstörung zum Arzt rennt, werden die Hausärzte noch mehr in Anspruch genommen. Unsere Nachbarländer kommen mit einer wesentlich geringeren Ärztedichte besser zurecht als wir, weil bei uns vermeintlich alles bezahlt wird, was aber nicht der Fall ist.

Zahlen, Daten, Fakten

In Mühldorf am Inn gibt es aktuell 51, in Waldkraiburg 29 (Fach- und Haus-)Arztpraxen. Der Hausarzt-Versorgungsgrad liegt bei rund 80 Prozent und weist laut Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auf eine Unterversorgung in absehbarer Zeit hin. - Allgemeine Tendenzen: 2022 stieg die Zahl aller gemeldeten Ärztinnen und Ärzte in Bayern um 2,2 Prozent auf rund 92.500. Mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt steigt allerdings die Quote derer, die in Teilzeit arbeiten, von 4 Prozent (2009) auf 31 Prozent (2021). Dabei liegen laut neuster Studie Ärztinnen mit einer Teilzeitquote von 40 Prozent deutlich vor den Teilzeitärzten mit 6,5 Prozent. Dazu kommt, dass rund ein Viertel aller Ärzte in den kommenden Jahren altersbedingt ausscheiden werden. Zwischen 1991 und 2021 ist der Frauenanteil der Ärzte von 34 auf 50 Prozent angestiegen; 2020 machten die Absolventinnen bereits 62 Prozent aus. (Quellen: Landesärztekammer, Bundesärztekammer, KVB)

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