Dramatischer Pflegeschüler-Verlust am BSZ
Quereinsteiger? Fehlanzeige! - Stirbt die Pflegeschule in Mühldorf wegen bürokratischer Hürden?
Pflegenotstand - bis 2030 fehlen hierzulande eine halbe Million Fachkräfte. In solch einer Situation rinnen der Pflegeschule am Beruflichen Schulzentrum (BSZ) Mühldorf immer mehr Schüler durch die Lappen - auch weil ihr bestimmte bürokratische Hürden im Wege stehen.
Mühldorf - „Die Pflege ist ein wahnsinnig schöner Beruf, der viel zurückgibt.“ Davon ist Andrea Reiter überzeugt. Als Pflegedienstleiterin am Altenheim Heilig Geist in Mühldorf weiß sie allerdings auch, dass man es den Pflegenden und solchen, die es noch werden wollen, hierzulande nicht leicht macht. Ihr Blick richte sich in die Zukunft, mit der Hoffnung, dass ihr Beruf gesellschaftlich positiver gesehen wird. Auf der anderen Seite gehe es aber auch darum, bürokratische Hürden und möglicherweise gesetzliche Fehlschritte weiter abzubauen.
Bewerber kommen aus dem Ausland
Ein hoher Anteil ihrer Mitarbeiter haben Migrationshintergrund; viele Bewerbungen erreichen sie mittlerweile aus dem Ausland. Das sind Gegebenheiten, mit denen Andrea Reiter umgehen muss, um überhaupt noch genügend Personal zu finden. Problematisch werde es dann, wenn beispielsweise - wie bei zwei ihrer Auszubildenden der Fall - der Aufenthaltstitel immer um jeweils ein Jahr mit finanziellem und zeitlichem Aufwand verlängert werden muss. „Bei einer dreijährigen Ausbildung macht das keinen Sinn. Eine richtige Schikane, die man den Schülern noch zusätzlich aufbürdet“, sagt Andrea Reiter mit einem Kopfschütteln.
Quereinsteiger werden immer weniger
Und dann wären da noch die Quereinsteiger, die aus einem anderen Beruf oder auch aus der Arbeitslosigkeit kommend in die Altenpflege einsteigen und als Umschüler ausgebildet werden. Davon habe es früher mehr gegeben, bedauert Reiter, die es mit ihren 30 Jahren Berufserfahrung im Heilig Geist wissen muss. Aktuell machen die Umschüler von ihren Azubis die Hälfte aus. Unterrichtet werden diese - im Gegensatz zu den regulären Pflegeschülern - allerdings nicht am Beruflichen Schulzentrum Mühldorf, sondern in Marktl an einer privaten Schule. Noch so ein Kuriosum aus der gesetzlichen Zauberkiste für Pflegeberufe.
Freie Wahl für Umschüler mit Förderung?
Werden Schülerinnen und Schüler der seit 2020 geltenden generalistischen Pflegeausbildung finanziell unterstützt, können sie nur an einer so genannten „maßnahmen-zertifizierten“ Schule lernen. „Die Umschulungen werden mittels eines Bildungsgutscheins gefördert, bei dem sich die zukünftigen Umschüler und Umschülerinnen den Träger, die Bildungseinrichtung frei wählen können, sofern dieser Träger zertifiziert ist“, heißt es auf Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen von der zuständigen Agentur für Arbeit Traunstein.
Wer nutzt im Landkreis Mühldorf den Bildungsgutschein für Pflege?
Laut Agentur für Arbeit Traunstein haben im Landkreis Mühldorf im Bereich Pflege in den drei Ausbildungsrichtungen Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe bis August 2022 nur 18 Menschen begonnen. Im Bereich Altenpflege waren es 20 Auszubildende. In diesen Zahlen sind auch die Abbrecher enthalten. Ebenso sind darin 10 künftige Pfleger enthalten, die über ihren Arbeitgeber eine Qualifizierung erhalten und durch zum Beispiel das Qualifizierungs-Chancen-Gesetz (QCG) gefördert werden, also nicht arbeitslos sind.
BSZ kein zertifizierter Träger
Als staatliche Einrichtung hat das BSZ Mühldorf diese Zertifizierung, die alle paar Jahre kostenpflichtig eingeholt werden muss, nicht. „Warum sollte sich auch eine staatliche Einrichtung von einer privaten Firma mit selbst erarbeiteten Vorgaben zertifizieren lassen?“, stellt Andrea Reiter in den Raum. Nur weil der Gesetzgeber die Förderrichtlinien falsch formuliert hat, bleibt also Quereinsteigern mit einer dreijährigen Förderung durch die Agentur für Arbeit das BSZ verschlossen? Ihr Weg geht folglich zu privaten Anbietern, die sich diese Zertifizierung das Geld haben kosten lassen, auch wenn der Schulweg ein viel weiterer ist. Für Pflegeschüler im Landkreis Mühldorf bieten sich die Hans-Weinberger-Akademie in Marktl oder das KWA Bildungszentrum in Pfarrkirchen an.
Längere Wege zur Pflegeschule
Das kann den Schülern mitunter schlicht ein zu weiter Weg sein, wie die Pflegedienstleiterin für den Ambulanten Dienst am Adalbert Stifter Heim Waldkraiburg, Claudia Dittrich, zu bedenken gibt. Vor drei Jahren habe eine vom Jobcenter geförderte Schülerin ohne Führerschein ihre Ausbildung um ein Jahr verschoben, weil ihr das näher gelegene BSZ verschlossen blieb. Erst als sie eine Mitfahrgelegeheit für die weiter entfernte Schule gefunden hatte, habe sie die Ausbildung gestartet „Damals habe ich erst von dieser Zertifizierung erfahren“, erinnert sich Dittrich. Und fügt an: „Eigentlich sollte man den Beruf doch mit allen Mitteln fördern, oder? Das kann es nicht sein.“
Pflegefachhelfer-Ausbildung nicht am BSZ
Seit einigen Jahren verzeichnet Claudia Dittrich den Trend, dass generell immer weniger Azubis an das BSZ, dafür an Privat-Akademien gehen. Das liege nicht nur an den Umschülern und der Mundpropaganda, die über diese unter den anderen Schülern verbreitet werde. „Schüler ohne mittlere Reife oder Berufsausbildung brauchen vor der Ausbildung zum Pflegefachmann beziehungsweise zur Pflegefachfrau noch eine einjährige Helferausbildung, zum Beispiel als Pflegefachhelfer. Diese wird in Marktl, nicht aber in Mühldorf angeboten“, erklärt Dittrich. Auch das ziehe die Schüler an die Privat-Akademie.
Private Pflegeschulen auf dem Vormarsch
Was bei dieser - zukünftig wohl noch größer werdenden - Schwemme an Privat-Pflegeschülern der „Generalistik“ zu erwarten ist, wisse man erst in ein paar Jahren - eben erst nach deren Abschluss. Claudia Dittrich, aber auch Kollegin Andrea Reiter bleiben optimistisch. Da die generalistische Ausbildung überall die gleichen Lehrpläne beinhalten sollte, gehen sie nicht von einem qualitativen Unterschied zur Ausbildung an der staatlichen Schule aus. Vielleicht tragen sogar die regional aufgefächerten Schulstandorte dazu bei, für das eigene Pflegeheim unter den Schülern zu trommeln, überlegt Reiter. Der Markt an Fachkräften ist leer gefegt und heute geht es schon darum, die Fachkräfte von morgen anzuwerben.
Weniger rosig dürfte die Entwicklung allerdings das BSZ Mühldorf sehen. Von den laut BSZ-Jahresberichten vor wenigen Jahren (2018/2019) vorhandenen vier Eingangsklassen in Pflegeberufe ist im aktuellen Jahrgang 2022/2023 nur noch eine übrig. Tendenz fallend.
