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Sie redet auf Tiktok über Nationalsozialismus

Besuch im Mühldorfer Hart legte den Grundstein: Susanne Siegert mit Grimme-Preis ausgezeichnet

Susanne Siegert erhielt den Grimme Online Award in der Kategorie „Wissen und Bildung“ für ihren Tiktok-Account „keine.erinnerungskultur“. Das Grimme-Institut zeichnet seit 2001 qualitativ hochwertige publizistische Online-Angebote aus.
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Susanne Siegert erhielt den Grimme Online Award 2024 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ für ihren Tiktok-Account „keine.erinnerungskultur“. Das Grimme-Institut zeichnet seit 2001 qualitativ hochwertige publizistische Online-Angebote aus.

Ein Besuch im Mühldorfer Hart legte den Grundstein für ihre Accounts „keine.erinnerungskultur“ bei Instagram und TikTok. Jetzt erhielt Susanne Siegert dafür den Grimme Online Award. Die Preisverleihung beschreibt sie als „krassen Moment”.

Mühldorf/Leipzig – Große Chancen ausgemalt hat sich Influencerin Susanne Siegert nicht, als sie zur Preisverleihung der diesjährigen Grimme Online Awards nach Marl, Nordrhein-Westfalen, fuhr. Aber irgendwo in ihrem Kopf gab es diese kleine Stimme, die sagte: „Was ist, wenn doch?”

In der Region ist die 32- Jährige vor allem durch ihren Podcast zeitzeug:nisse zum KZ-Außenlager im Mühldorfer Hart bekannt, dem Bunkergelände. Dort spricht sie über den Holocaust, Archiv-Arbeit und eines der größten Außenlager des KZ Dachau. Damit begeistert sie unter anderem Mühldorfs Stadtarchivar Edwin Hamberger. Weil das Thema ihr am Herzen liegt, teilt sie auf ihrem Tiktok-Account keine.erinnerungskultur auch allgemeine Informationen zur Zeit des Nationalsozialismus und NS-Verbrechen. Dort erreicht sie knapp 200.000 Menschen mit ihren Inhalten – und das alleine und in ihrer Freizeit.

Als dieses wenn doch am Mittwoch, 16. Oktober, also tatsächlich eintrat und sie als zweite von drei Preisträgern in der Kategorie „Wissen und Bildung” aufgerufen wurde, konnte sie ihr Glück kaum fassen. „Das war schon krass, dazusitzen, alle um einen herum freuen sich schon und gleich geht man auf die Bühne und bekommt einfach diesen Preis”, erzählt sie. Da habe sie auch ein kleines Tränchen im Auge gehabt. „Das war ein krasser Moment und werde ich nicht so schnell vergessen.”

Herausragende Leistungen im Netz

Mit dem Grimme Online Award wurden zum 24. Mal herausragende Leistungen im Bereich der Onlinepublizistik ausgezeichnet. In diesem Jahr erhielten auffallend viele Formate zu historischen Themen den Preis. Dies sollte dem Bericht der Jury zufolge Aufmerksamkeit auf Populismus und menschenfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft lenken.

Siegert konnte unter fast tausend anderen Einreichungen überzeugen und erhielt die Auszeichnung für ihren Account keine.erinnerungskultur bei Tiktok. Den Accountnamen wählte sie, weil ihre Zielgruppe keine persönliche Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus haben kann.

Gedenken mit Bezug zur heutigen Zeit

„Es geht ihr darum, zu zeigen, wie allumfassend die Verbrechen der Nationalsozialisten waren, wie viele Menschen und Orte es betraf und vor allem, wie es zum NS-Regime kommen konnte. Was die Geschichte des Nationalsozialismus mit jungen Menschen zu tun hat, dazu stellt sie immer wieder nachvollziehbare Bezüge zum hier und jetzt her – etwa mit Blick auf den Christopher Street Day, die Olympischen Spiele oder die Verwendung von Nazi-Begriffen in Reality-TV-Sendungen”, heißt es in der Begründung der Jury.

Außerdem gelinge es ihr auf einer mit Content überladenen Plattform mit Wissen und Fakten vollgepackte einminütige Videos zu präsentieren und dabei audiovisuelles Material und Dokumentenauszüge einzubinden.

Als Einzelkämpferin einen Namen gemacht

Und das kommt an: Neben ihrem Publikum bei Tiktok folgen weitere gut 100.000 Menschen dem gleichnamigen Instagram-Account. „Mega stolz” macht es die Wahl-Leipzigerin, dass sie sich als Einzelkämpferin neben namhaften Redaktionen einen Namen gemacht hat.

„Das ist auch ein Zeichen, dass es möglich ist, sich durch Social Media eine Stimme zu erarbeiten – wenn man möchte, dass über ein Thema gesprochen wird, kann man selbst anfangen, darüber zu sprechen.” Schließlich hätte sie noch vor fünf Jahren keiner mit Erinnerungskultur in Verbindung gebracht.

Lange Zeit nichts vom Außenlager Mühldorfer Hart gewusst

Seit etwa vier Jahren beschäftigt sich die 32-Jährige intensiv mit dem Nationalsozialismus. Angefangen hatte alles mit einem Besuch im KZ Außenlager Mühldorfer Hart. Damals war sie entsetzt, dass sie noch nie von diesem Ort gehört hatte, obwohl sie in der Nähe aufgewachsen und zur Schule gegangen war.

@keine.erinnerungskultur

Replying to @mrtz.bec Seit 3 Jahren spreche ich auf TikTok und Instagram über den Holocaust - aber warum eigentlich? ❓

♬ 夜店Paris巴黎 - 奶盖

Das wollte sie ändern und beschäftigte sich auf Instagram auf dem Account kz.aussenlager.muehldorf mit diesem Ort. Der Account ruht allerdings aktuell, da sie keine Zeit mehr dafür findet. „Das Mühldorfer Hart hat trotzdem eine krasse Bedeutung für mich, damit hat es angefangen und über diesen Ort habe ich mir meine Recherche-Skills angeeignet.“

Follower freuen sich mit ihr

Einige ihrer Follower sind bereits seit Anfang an dabei. Über ihre vielen Nachrichten und ehrliche Freude an der Auszeichnung freut sie sich ganz besonders. Den Award sieht sie vor allem als Chance, von noch mehr Menschen gesehen zu werden, die vielleicht keinen Zugang zu Tiktok haben.

Susanne Siegert hat ein ungewöhnliches Hobby. Sie betreibt auf TikTok und Instagram Aufklärungsarbeit über die NS-Zeit.

Sie betont, dass so ein Projekt auch Durchhaltevermögen brauche. Sie mache das in ihrer Freizeit neben ihrem eigentlichen Job in einer Online-Marketing-Agentur. Nicht selten sei sie für ein Video vier Stunden mit Recherche, Skript schreiben und Schneiden beschäftigt. „Das geht nicht von heute auf morgen.” Die ersten zwei Jahre hätten sich zudem nicht viele für ihre Inhalte interessiert.

„Echt überwältigendes“ Gefühl

Nun den Grimme Online Award erhalten zu haben, bestärke sie, aber an ihrer Arbeit werde das nicht viel ändern. Am Wochenende heißt es nun erstmal durchatmen und etwas zur Ruhe kommen. „Ich werde meinen Freundinnen davon erzählen, dann komme ich langsam an den Punkt, wo ich mich richtig darüber freuen und das realisieren kann”, sagt sie. Denn noch sind ihre Erinnerungen ein bisschen verschwommen und das Gefühl „echt überwältigend”.

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