Proteste in Mühldorf und Waldkraiburg
„Irrsinn in Berlin beenden“: Spontane Bauerndemos in der Region - auch zu Weihnachten?
Am Montagvormittag (18. Dezember) gehen die Bauern in Berlin auf die Straße, am Abend setzen sie in Mühldorf und Waldkraiburg ein Zeichen: Rund 120 Schlepper ziehen durch die zwei Städte, legen den Verkehr lahm und demonstrieren gegen den „Irrsinn in Berlin“. Die Eindrücke und was jetzt folgt.
Mühldorf/Waldkraiburg – Tanja Neustedt staunte nicht schlecht, als sie am Montagabend (18. Dezember) gegen 20 Uhr mit ihrem Hund in Mühldorf Gassi ging und vom Stadtplatz her lautes Hupen hörte. „Wir haben den Hund heimgebracht und dann zum Stadtplatz geschaut“, erzählt sie. Ihr und ihrem Freund bot sich ein imposantes Bild: Unter der Weihnachtsbeleuchtung reihte sich auf dem Stadtplatz mit blinkenden Warnlichtern Schlepper an Schlepper, Bulldog an Bulldog, Traktor an Traktor. Der Schlepper-Korso reichte, so die Mühldorfer Polizei, vom Altöttinger Tor bis zum Nagelschmiedturm. Nur langsam bewegte er sich vorwärts. Die Bauern demonstrierten.
„Es war eine spontane Aktion“, erzählt Tobias Grundner, Landwirt aus Taufkirchen. Er ist Beirat im Bayerischen Bauernverband „Land schafft Verbindung“ (LSV) und hat über WhatsApp den Aufruf zu dieser Protestaktion geteilt. Denn Wut und Enttäuschung der Bauern sind groß.
Konvois ziehen durch Mühldorf und Waldkraiburg
Das konnte sich die Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) am Montagvormittag bereits persönlich von den Landwirten anhören, das war zeitgleich in Berlin vor dem Brandenburger Tor zu sehen – und es war dann am Abend in Mühldorf und Waldkraiburg hautnah zu erleben: Jeweils 60 bis 70 Schlepper mit jeweils rund 150 Teilnehmern fanden sich um 19 Uhr auf den Volksfestplätzen ein, schätzt Grundner. „Wir haben dann eine Spontan-Demo angemeldet“, erzählt er, eine kleine Kundgebung abgehalten, ehe die Bauern – begleitet von der Polizei – im Konvoi friedlich durch die Städte zogen.
Die Polizei Waldkraiburg sprach von einer „spontanen Versammlung der Landwirte aus der Umgebung“ mit etwa 150 Personen mit rund 50 Traktoren. „Das friedlich verlaufende Treffen endete gegen 20.30 Uhr.“
Polizeihauptkommissar Uwe Schindler von der Polizeiinspektion Mühldorf kann für die Kreisstadt 70 gemeldete Bulldogs und rund 100 Teilnehmer bestätigen. Um 19.35 Uhr begann die nicht angemeldete Eil-Versammlung am Volksfestplatz. Anschließend zog der Korso über die Innbrücke, den Katharinenplatz und den Stadtplatz wieder zum Volksfestplatz, wo die Versammlung um 21.29 Uhr beendet war. „Es war ein friedlicher, vernünftiger Verlauf“, fasst Einsatzleiter Schindler zusammen.
Protestaktionen über WhatsApp-Gruppen
Der LSV ist, laut Wikipedia, eine deutschlandweite Gruppierung von Landwirten, die sich am 1. Oktober 2019 gegründet hat. Sie hat auf Facebook über 40.000 Follower und organisiert mittels WhatsApp-Gruppen immer wieder Protestaktionen.
Der Taufkirchner Grundner ist einer der Administratoren der WhatsApp-Gruppen: Die spontane Abend-Aktion sollte die Demo in Berlin ergänzen. Damit wollten auch die Bauern ein Zeichen setzen, „die keine Zeit hatten, um nach Berlin zu fahren. Ich war überrascht, dass so viele dem Aufruf gefolgt sind.“ Darunter seien auch viele Frauen, Kinder und Jugendliche gewesen.
„Jede Unterstützung ist willkommen“
Ulrich Niederschweiberer, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) in Mühldorf, konnte an der Aktion nicht teilnehmen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Rückweg von der Demo in Berlin: „Ich finde es gut. Jede Unterstützung ist willkommen. Der Schulterschluss ist sehr lobenswert.“ Der sei schon in Berlin erfolgt und inzwischen hätten sich, so Niederschweiberer, auch die Metzger dem Bauern-Protest angeschlossen.
Die Bauern kämpfen gegen die Abschaffung des Agrar-Diesels und für den Erhalt der Befreiung von der Kfz-Steuer für ihre Landmaschinen. Überhaupt fürchten sie um ihre Existenz angesichts sinkender Einnahmen, steigender Ausgaben und Auflagen sowie internationaler Wettbewerbsverzerrungen.
Bei den Protesten entlädt sich jetzt eine Wut, die sich bereits über Jahre aufgestaut habe, so Niederschweiberer: „Ganz klar. Sonst könnten wir nicht so mobilisieren. Die jungen Leute rühren sich selber.“
„Es geht nicht um mehr Lohn“
Aus Sicht von Landwirt Grundner sei es ungerecht, dass von dem Sparpaket über 17 Milliarden Euro die Bauern eine Milliarde tragen sollen. Sie würden gerade mal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, 80 Stunden in der Woche arbeiten und die Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgen. „Es geht nicht um mehr Lohn“, betont Grundner. Es gehe darum, ihre Existenz zu sichern. Ihre Kinder wollen die Höfe, die sie von den Eltern und Großeltern übernommen hätten, „weiter führen können“.
Bei ihm würden die geplanten Maßnahmen mit gut 10.000 Euro im Jahr zu Buche schlagen, erzählt Grundner. Auch die anderen Marktteilnehmer hätten Mehrkosten, unter anderem durch den steigenden CO₂-Preis. „Das wird an die Verbraucher weitergegeben“, ist er überzeugt, führe also zu Preissteigerungen. Daher gibt es für ihn und seine Kollegen nur eines: „Den Irrsinn in Berlin beenden.“
„Jetzt ist erst einmal Weihnachtsruhe“
Zuschauerin Tanja Neustedt findet die Aktion gut und kann sie verstehen. „Es war nur schade, dass es so spät war.“ Zu einer anderen Uhrzeit „hätten es mehr Leute mitbekommen“. Sie zückte jedenfalls ihr Handy und teilte die Eindrücke auf Facebook.
Damit wird es vorerst aber vorbei sein, so Ulrich Niederschweiberer: „Jetzt ist erst einmal Weihnachtsruhe.“ Was danach folgt, ist noch offen; er hatte schon am Montagmittag angekündigt: „Wenn sich nichts ändert, dann geht es nach dem 8. Januar weiter.“

