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Macht und Angst im Religionsunterricht

K.O.-Tropfen für Ministranten? Weiterer Betroffener äußert sich zu Missbrauch in Garching

Das Dunkelfeld ist groß: Viele Betroffene wollen oder können über ihren sexuellen Missbrauch nicht sprechen.
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Das Dunkelfeld ist groß: Viele Betroffene wollen oder können über ihren sexuellen Missbrauch nicht sprechen.

Ein weiterer Missbrauchs-Betroffener aus Garching hat sich gemeldet. Er spricht über die perfiden Machtstrukturen des ehemaligen Pfarrers H. und hofft, zur Aufklärung des Falls beitragen zu können.

Garching a. d. AlzDiffuse Erinnerungen und beunruhigende Bilder: das war es, was bei „Paul“ durch das Lesen von Artikeln über den ehemaligen Garchinger Pfarrer Peter H. und dessen zahlreiche Missbrauchsopfer ausgelöst wurde. „Paul“, der hier lieber anonym bleiben möchte, erkannte später, dass wohl auch er zu den Betroffenen gehört. Er wandte sich an die Garchinger Initiative „Sauerteig“, die sich für Aufklärung und Prävention von sexuellem Missbrauchs starkmacht, und dann an das Ordinariat der Erzdiözese München-Freising. Dort wurde sein Missbrauchsfall inzwischen anerkannt.

Hölle und Fegefeuer

„Paul“, der in den 90er Jahren einer der vielen Ministranten unter Peter H. war, erkennt heute, welche perfiden Machtstrukturen der Ex-Pfarrer aufbaute, um sich Zugang zu auserwählten Buben zu verschaffen. Explizit erinnert sich Paul an die Zeit vor seiner Erstkommunion, wo der Gottesmann den Kindern Angst einbläute und mit der Hölle drohte. Peter H., war aber schon 1986 – also vor seinem Einsatz in Garching – vom Amtsgericht Ebersberg wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden. Im Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München-Freising, das seinen zahlreichen Fällen einen Sonderband widmete, wird ein Schreiben vom Generalvikar Gerhard Gruber zitiert:

„Vorgestern war die Verhandlung vor dem Amtsgericht [...]. Unter den gegebenen Umständen ging alles gut aus. [...] Für die Berufsausübung wurde keine Auflage gegeben, [Priester X. ] hat aber von sich aus erklärt, dass er keine Aufgaben in Schule und Jugendseelsorge übernehmen wird; er möchte auch ganz von sich aus dieses gefährliche Metier meiden. [...]“

Aus: Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München und Freising, Sonderband: Der Fall X.

Machstrukturen und Druck

Nur kurze Zeit nach seiner Verurteilung wurde H. dem Pfarrverband Garching-Engelsberg zugewiesen und entgegen seiner eigenen Aussagen widmete er sich dort erneut der Kinder- und Jugendarbeit. Ohne Aufsicht konnte er auch Religionsunterricht erteilen und soll dort laut Paul christliche Motive für sein perfides Angst- und Belohnungssystem missbraucht haben. Reihenweise wurden die Jungen zu Ministranten, und Paul erinnert sich, dass Peter H. auch deren Einteilung vornahm und dafür häufig bei den Eltern anrief. Rosi Mittermeier von der Initiative Sauerteig, die selbst im Pfarrverband aktiv war, und Peter H. über 20 Jahre miterlebte, weiß von den Machtstrukturen, derer sich H. bediente. Sie sagt, der Pfarrer habe ausgenutzt, wenn eine Mutter spirituell interessiert oder beispielsweise aus Trauer hilfsbedürftig war, um an ihren Sohn heranzukommen.

K.O.-Tropfen für Ministranten?

Außerdem habe H. auch Einfluss auf die Freundschaften seiner „Auserwählten“ ausgeübt, und versucht diese zu (zer)stören, indem er die Kinder voneinander trennte oder sie gegeneinander ausspielte. Wie ein Raubtier scheint der Pfarrer seine Beute umgarnt und beobachtet zu haben, um sie schließlich von der Herde zu trennen. „Paul“ erinnert sich an einen Vorfall als Ministrant, wo er vom Messbecher trank und ihm schwindelig wurde. Kurz darauf wurde er in die Sakristei gebracht und angeblich seine Eltern angerufen. Damals gab es aber noch keine Handys, und laut ortskundiger Personen war auch kein Telefon in der Sakristei vorhanden. Paul glaubt heute, K.O.-Tropfen von H. bekommen zu haben und vermutet, dass er in dessen Wohnung gebracht wurde, welche sich in direkter Nähe der Kirche befand. Dann weiß Paul nur noch, wie er im Dunkeln allein mit dem Fahrrad heimfahren musste: „Es war unheimlich“, sagt Paul.

Quälende Ungewissheit

Auch nach seiner Meldung an das Ordinariat kamen bei Paul Erinnerungen hoch. Er erinnert sich inzwischen an verschiedene Räume. Einer davon befindet sich über der Herz-Jesu-Kirche in Garching: Es handelt sich um eine Art Dachboden und Paul hatte sich dort mit dem Pfarrer aufgehalten. Pauls Erinnerungen sind so frisch, dass er selbst zweifelt, ob er ihnen trauen kann. „Wo waren diese Erinnerungen all die Jahre? Warum tauchen diese jetzt erst auf? Könnten es auch Einbildungen sein?“, das sind Gedanken, die Paul belasteten. Ihn quälte, dass sich seine Beschreibung konkreter Räume eventuell nicht bestätigen lassen und seine Glaubwürdigkeit dadurch leiden könnte. Hilfe fand Paul bei der Initiative Sauerteig, wo die Existenz des Raumes über der Herz-Jesu Kirche bestätigt werden konnte. Paul betont, wie wertvoll die Arbeit der Initiative für ihn war und ist: „Es ist so wichtig, Vertrauen in die eigenen Erinnerungen zu gewinnen und das hilft letztendlich auch bei der Bewältigung.“

„Das Beste ist, darüber zu reden“

Seit seinem Gespräch mit der Initiative arbeitet Paul an einer Nachmeldung an das Ordinariat arbeitet. Er möchte weitere Details beschreiben, die bei der Aufklärung des Falles H. helfen könnten. „Missbrauch kann jeden erwischen“, sagt er und hofft, dass sich noch weitere Personen erinnern und trauen, darüber zu sprechen. Paul möchte ihnen Mut machen: „Man sucht ewig allein herum und versucht seine Erinnerungen zu verstehen, aber das Beste ist einfach darüber zu reden.“ Er selbst habe lange gewartet. „Hätte ich ein paar Jahre früher reagiert, wäre mein Fall vielleicht noch nicht verjährt gewesen. Dann hätte sich Herr H. vor Gericht verantworten müssen.“ Paul hofft, dass dieser Tag noch kommt.

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