Pflege-Report mit Daten über fünf Jahre
Folgen der Corona-Pandemie? Explosiver Anstieg psychischer Erkrankungen bei unseren Kindern
Home-Schooling, Kontaktverbote und ganz viel Einsamkeit: Die Folgen der Corona-Pandemie für Kinder werden wohl immer deutlicher. Und auch Depressionen bei Erwachsene nehmen zu. So sehen die alarmierenden Zahlen aus.
Nordrhein/Deutschland – Ein starker Anstieg der ambulanten Behandlungen in psychiatrischen Einrichtungen für junge Patienten zeichnete sich bereits vor knapp drei Jahren ab. Die Kinder- und Jugendlichentherapeuten hatten plötzlich alle Hände voll zu tun, hieß es einvernehmlich. Ein Report des Medizinischen Dienstes Nordrhein von 2019 bis 2023 zeigt jetzt weitere alarmierende Zahlen in Bezug auf Corona und psychischen Probleme in Nordrhein-Westfalen.
Deutlich mehr Kinder pflegebedürftig
Der Medizinische Dienst Nordrhein hat für seinen Bericht die Pflegebegutachtungen der Jahre 2019 bis 2023 ausgewertet, um herauszufinden, wie sich die Pflegebedürftigkeit verändert hat. Dieser Report geht den Fragen nach, wer die Pflegebedürftigen in Nordrhein eigentlich sind, ob sie allein oder in einer Gemeinschaft leben oder welche Krankheiten zu ihrer Beeinträchtigung geführt haben – und ob sich das im Laufe der Jahre verändert hat.
„Die Pflegebedürftigkeit hat auch bei Kindern innerhalb der vergangenen fünf Jahre erheblich zugenommen“, so der Gutachterdienst. Im Jahr 2019 ist es zu rund 9400 Gutachten zur Pflegebedürftigkeit gekommen, wobei es 2023 rund 21.800 – also mehr als doppelt so viele – waren. Wie sich zeigt, sind heute mehr Kinder pflegebedürftig als noch im Jahr 2019 und dass sich offenbar bestimmte Krankheitsbilder als Ursache für den Anstieg der Pflegebedürftigkeit herauskristallisiert haben.
Was in der Auswertung für 0- bis Dreijährige auffällt, ist der sprunghafte Anstieg der Entwicklungsstörungen seit der Corona-Pandemie. So sind die Fälle der Pflegebedürftigkeit aufgrund von Entwicklungsstörungen um 67 % auf 414 in Nordrhein-Westfalen angestiegen. „Etwa der frühkindliche Autismus hat dabei auffallend stark zugenommen“, wie es in dem Bericht weiter heißt.
Zudem stieg die Zahl von Kleinkindern, die aufgrund einer Frühgeburt pflegebedürftig sind, in den vergangenen Jahren an. Sie vervierfachte sich innerhalb von fünf Jahren – von 194 Fällen im Jahr 2019 auf 790 im Jahr 2023.
ADHS und Entwicklungsstörungen dominieren bei Kindern und Jugendlichen
Bei den Vier- bis Sechsjährigen sind es in den Jahren 2019 und 2020 jeweils rund 470 Kinder mit einer Entwicklungsstörung als pflegebegründende Diagnose. Im Jahr 2023 ist diese Zahl auf knapp 1100 angestiegen. Dies bedeutet für die „kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung“ eine Zunahme um 130 Prozent. Ähnliches gilt für die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen Autismus und Asperger-Syndrom, die sich in diesem Zeitraum verdoppelt haben.
„Bei den Kindergartenkindern zeigte sich bereits ein starker Anstieg von ADHS“, ist die alarmierende Auswertung des Medizinischen Dienstes Nordrhein. Von 400 pflegebedürftigen Kindern auf mehr als 1300. Alle Entwicklungsstörungen zusammengenommen stiegen nach der Coronapandemie massiv an – von 764 Fällen 2019 auf 1911 im Jahr 2023. Bei den Jugendlichen zwischen Elf und 17 war ein Anstieg von ADHS um das Dreifache zu vermelden. Laut AOK-Gesundheitsreport 2023 haben knapp fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen ab sechs Jahren eine ADHS-Diagnose. Die Dunkelziffer lässt über eine reale Prozentzahl nur mutmaßen.
Depressionen bei Erwachsenen
Auch bei den Erwachsenen ab 18 Jahren sind bestimmte Muster und Anstiege in vielen Krankheitsbildern zu erkennen. Wertet man die Daten des Reports in Bezug auf depressive Störungen geschlechterspezifisch aus, zeigt sich, dass allein in den vergangenen drei Jahren diese Diagnose bei Männern um rund 260 Prozent zugenommen hat, bei Frauen um rund 210 Prozent.
Auffällig ist die deutliche Zunahme depressiver Störungen, die zwar nur einen kleinen Teil der pflegebegründenden Diagnosen ausmachen. Zudem sind vor allem jüngere Menschen betroffen, die aufgrund einer Depression pflegebedürftig werden. In Zukunft werden daher entsprechende Therapieplätze benötigt, denn schon heute übersteigt die Nachfrage das Angebot.
Corona als Ursache?
Über alle Altersgruppen sei der Pflegebedarf in den letzten Jahren seit der Pandemie stark gestiegen, heißt es in dem Report. Die Zahl der Gutachten legte von 2019 bis 2023 um fast die Hälfte auf 395.000 zu – und das alleine in Nordrhein-Westfalen. Eindeutige Zahlen, die einen Zusammenhang mit den Maßnahmen durch die Corona-Pandemie nicht leugnen lassen und vermutlich für die gesamte Bundesrepublik als Richtwert stehen.
Durch die psychische Belastung durch Corona kommen viele Experten auf dieselben Ergebnisse, einer „starken Zunahme von psychischen Störungen“, wie es der ADHS Deutschland e.V. beschreibt. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits im November 2022 urteilte, waren die Ausgangsbeschränkungen zu Zeiten des Lockdowns in Deutschland verfassungswidrig. Kein Kontakt mit Freunden und Familie für Ältere, keine Möglichkeit für Kinder einfach Kind zu sein – mit augenscheinlich weitreichenden Folgen. (vs)