„Häuslichkeitsideologie“
„Ich hasse die Mutterschaft“ – Frauen bereuen bei TikTok, dass sie Kinder bekommen haben
„Ich liebe mein Kind, aber das heißt nicht, dass ich die Mutterschaft lieben muss!“ – Eine Expertin erklärt, was hinter dem Phänomen „Regretting Motherhood“ steckt.
„Wenn ich mich heute wieder entscheiden könnte, würde ich mich ganz klar nicht mehr für ein Kind entscheiden“, sagt Kübra. Sie ist auf TikTok als @maifiziert unterwegs und spricht offen darüber, ihre Mutterschaft zu bereuen. Unter dem Stichwort „Regretting Motherhood“ sprechen viele Frauen auf Social Media darüber, ihr altes Ich vor der Geburt der Kinder zu vermissen.
„Ich liebe mein Kind über alles und würde sie gegen nichts eintauschen. Aber nur, weil ich sie über alles liebe, heißt das nicht, dass ich die Mutterschaft lieben muss!“, sagt Kübra im TikTok-Video. Sie habe lange darauf gewartet, dass endlich dieses Gefühl von Erfüllung als Mutter komme. Doch das sei nicht passiert. „Ich hasse die Mutterschaft. Ich hasse die Fremdbestimmung“, sagt sie. „Dinge, die man eigentlich gar nicht sagen darf. Aber seitdem ich mir das eingestanden habe, fühlt sich alles leichter an.“
@mamifiziert Ein riesen Tabu-Thema, aber ja ich HASSE die Mutterschaft und LIEBE TROTZDEM MEIN BABY BEDINGUNGSLOS. Und würde sie TROTZDEM gegen nichts eintauschen! #regrettingmotherhood #newmom #mutterschaft #babymama #schreibaby #highneedbaby #mamastruggles #mamaalltagmitbaby #momtobe ♬ Originalton - Kübra | Momlife
Regretting Motherhood: „Soziokulturelle Unterschiede von Mütterlichkeit“
Über 600.0000 Menschen haben Kübras Video seit April 2024 angesehen. Über 3000 Personen haben es kommentiert, den meisten davon geht es ähnlich. „Ich fühle das so sehr. Ich liebe mein Kind, aber ich vermisse auch mein altes Ich“, schreibt eine Mutter. „Regretting Motherhood hat oft mit gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen zu tun, die leider immer zur Überforderung und Benachteiligung von Müttern führen“, findet eine andere Person.
Ingrid Jungwirth ist Professorin für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Diversität und Inklusion an der Hochschule Rhein-Waal und forscht zur Vorstellung von Mutterschaft in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. „Es gibt soziokulturelle Unterschiede in den Auffassungen von Mütterlichkeit“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Ihre Forschung zu eingewanderten Frauen aus post-sozialistischen Staaten wie den Nachfolgeländern der ehemaligen Sowjetunion zeigten dies: „Für diese Frauen ist es selbstverständlich, als Mütter erwerbstätig zu sein“, sagt Jungwirth. Auch andere Studien aus England über Mütter mit afrokaribischen Wurzeln zeigten das unterschiedliche Verständnis von Mutterschaft.
„Für diese Frauen ist es moralisch richtig, dem Kind vor allem finanzielle Sicherheit zu geben. Für weiße Mütter aus der Mittelschicht hingegen fühlt es sich moralisch richtig an, zu Hause zu bleiben und nur Mutter zu sein.“ Nicht für alle Frauen eine erfüllende Vorstellung. Deshalb seien ihrer Meinung nach externe Sorgeeinrichtungen so wichtig. In vielen nicht-westlichen Ländern sei Erziehung die Aufgabe eines ganzen Dorfes und nicht hauptsächlich auf die Mutter beschränkt.
Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschland.
Deutschland ist noch beim „Vereinbarkeitsmodell der männlichen Fürsorge“
Während sich in anderen europäischen Ländern wie Finnland, Dänemark, Schweden und Frankreich ein „Doppelversorger-Modell“ etabliert habe, seien wir in Deutschland, insbesondere in den westlichen Bundesländern, noch beim „Vereinbarkeitsmodell der männlichen Fürsorge“. Bei diesem Modell, das auch in Großbritannien, Norwegen und den Niederlanden vorherrsche, tragen zwar beide Elternteile zum finanziellen Einkommen bei, der Mann jedoch deutlich mehr, während die Frau sehr viel mehr Sorgearbeit übernimmt.
Jungwirth spricht von einer sogenannten „Häuslichkeitsideologie“, der auch heute wieder junge Frauen als Trad-Wives auf TikTok nachgeben. „Durchaus etwas sehr Bürgerliches“, sagt sie. So legten mehrere Studien nahe, dass es in Arbeitermilieus eine stärkere egalitäre Arbeitsteilung zwischen Mutter und Vater gebe als in der gehobenen Mittelschicht. „Ressourcen spielen eine entscheidende Rolle, vielen Frauen stellt sich gar nicht die Frage, ausschließlich Mutter zu sein.“
Warum „Regretting Motherhood“ ein „Erfolg für die Frauenbewegung“ ist
„Regretting Motherhood ist insofern ein westliches Phänomen, als dass die hier vorherrschende ideologisch aufgeladene Mutterrolle ablehnt wird“, sagt Jungwirth. „Ich finde es überhaupt nicht beunruhigend, was ich da sehe“, sagt sie über das TikTok-Video von Kübra. „Diese Frau schildert die Entbehrungen als Mutter, weil ein kleines Wesen so abhängig von ihr ist. Sie nimmt die drohende Abqualifizierung als Rabenmutter in Kauf. Das ist eine positive Entwicklung“, sagt die Soziologin.
Warum? Weil die Rolle der berufstätigen, unabhängigen Mutter in Deutschland nicht so selbstverständlich sei wie in anderen Kulturen und Gesellschaften. Und weil die „Häuslichkeitsideologie“, die Trad-Wives auf Social Media wiederaufleben lassen, eben nicht für alle Frauen eine Lösung sei. „Dass Frauen dieses Modell von Mütterlichkeit infrage stellen, ist ein Erfolg für die Frauenbewegung.“
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