Alter Brauch in der Region
„Wilde Jagd“ und „Handgreiflichkeiten“ der Perchten: Warum die Raunächte immer populärer werden
Zwischen den Jahren entfalten die Raunächte ihren umstrittenen Zauber in der Region. Eine Expertin verrät, warum die alten Rituale in Bayern heute wieder so populär sind.
München – Eine merkwürdige Zeit ist das zwischen den Jahren. Als ob die Tage von Weihnachten bis Dreikönig nicht zählen, alles steht still. „Raunächte“ nennt man das gefühlte Loch im Kalender, und genau das ist es: „Zwischen dem kürzeren Mondkalender und unserem Sonnenkalender bestehen circa zwölf Tage Unterschied“, erklärt Daniela Sandner vom Landesverein für Heimatpflege. „Diese überzähligen Tage haben ihren Platz traditionell zwischen den Jahren gefunden, als Zeit, die vom Alltag losgelöst ist.“
Vieles ist rätselhaft an den Raunächten. Schon ihre Anzahl variiert je nach Region. In Oberbayern kann man sie noch am ehesten auf den 25. Dezember bis 6. Januar eingrenzen. Allerdings wird vielerorts auch die Nacht vom 20. auf den 21. Dezember hinzugezählt, die Wintersonnwende. Fest steht: Die gefährlichste und magischste aller Raunächte ist die Silvesternacht. Hier steht gemäß dem Volksaberglauben das Tor zur Welt der Geister und Dämonen besonders weit offen.
Alle Tore offen – das heißt, die „Wilde Jagd“ geht los! Ein Heer von Teufeln und untoten Seelen zieht über die Erde und bringt Unheil über die Menschen – so der alte Volksglaube. „Wer sie sieht, muss etwas tun, zum Beispiel einen Kräuterbuschen abbrennen, damit kein Unheil passiert“, erläutert Sandner den Brauch. Doch nicht nur Rauch hält die Dämonen in Schach, sondern vor allem auch die Perchten. „Diese Gruppen von Maskierten ziehen herum und machen Lärm, mit Trommeln, Stöcken und Schreien. So vertreiben sie den Winter, also das Unheil.“ Wer die Wilde Jagd aufhalten will, kann, wie die Perchten, fleißig mitklappern, johlen und toben.
„Auf Handgreiflichkeiten einstellen“
In Kirchseeon (Kreis Ebersberg) zum Beispiel ist der Brauch der Perchten sehr lebendig, sie laufen um die Jahreswende viele Male. Sie sehen garstig aus, verhalten sich ausgesprochen wild und „wer zu einem Lauf geht, sollte sich auf Handgreiflichkeiten einstellen. Wissenschaftlich ist nicht zu klären, ob Perchten gut oder böse sind“, sagt Sandner. Nach heutigem Selbstverständnis betrachteten Perchtenläufer sich selbst aber weitgehend als gute Geister. Bei so viel dämonischen Umtrieben ist es klug, zuhause zu bleiben.
Der Rückzug ins Heim, verbunden mit einer Art Arbeitsverbot, gehört deshalb ebenfalls zu den Raunacht-Bräuchen. „Vor allem Frauen und Kinder sollen im Dunkeln nicht vor die Tür gehen. Haus und Hof sollen vorher aufgeräumt sein“, erläutert Sandner, „denn viele Tätigkeiten soll man dem Aberglauben nach sein lassen.“ Dazu gehören Hausarbeiten wie Wäsche waschen (insbesondere weiße Laken, denn die werden von der Wilden Jagd gestohlen und als Leichentuch zurückgebracht!) oder Brot backen. Die genauen Regeln stehen im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ von 1927. „Das Buch hat sehr zur Verbreitung von Raunacht-Legenden beigetragen.“
Doch die Raunächte bieten auch eine Gelegenheit, um in die Zukunft zu schauen. Schließlich sind jetzt Tore offen, die sonst verschlossen sind. „Die Zukunftsschau ist das dritte Merkmal der Zeit zwischen den Jahren“, erläutert Sandner, „zum Beispiel heißt es, dass die Tiere jetzt sprechen können.“ Schade nur, dass der, dem etwa eine Kuh zur Geisterstunde Glück in der Liebe vorhersagt, gleich darauf tot umfallen soll – heißt es. Und dass unverheiratete Frauen, die um Mitternacht an einer Weggabelung warten, um ihren Zukünftigen zu schauen, dahin sind, falls sie ihm, von Liebe blind, folgen. Auch das Bleigießen geht auf solche Orakelsprüche zwischen den Jahren zurück.
Dass Perchtenläufe und Raunachtlegenden zum großen Teil verloren waren, in den letzten zehn Jahren aber wieder sehr populär geworden sind, wie Sandner weiß, erstaunt so manchen. Sie erklärt warum: „Zwischen den Jahren darf der Mensch irrational sein, in einer Welt, in der alles erklärbar ist. Der Wunsch, dass es mehr gibt als das, was sichtbar ist, verschafft sich Raum.“ Sie empfiehlt, die Zeit der Raunächte als bewusste Pause zu nehmen. „Man kann das alte Jahr abschließen und das neue in Ruhe beginnen. Das tut uns allen gut.“