Tag der Muttersprache
Gerhard Polt über die Kunst des bairischen Fluchens: „Beleidigen kann auch Spaß machen“
Fluchen gehört zur bairischen Sprache wie der süße Senf zur Weißwurst. Aber es will gelernt sein. Einer, dessen Bühnenfiguren einen hervorragenden Lehrmeister abgeben, ist Gerhard Polt. Das Interview mit ihm zum Internationalen Tag der Muttersprache (21. Februar).
München – Im Interview spricht der 80-Jährige über die Poesie des Fluchens, die Lust an der wohlformulierten Beleidigung und die Frage, welche Zukunft ein deftiger Fluch in einer digitalisierten Gesellschaft noch haben kann.
Herr Polt: Haben Sie heute schon geflucht?
Gerhard Polt: Nein (lacht). Ich hab keinen Anlass gehabt. Man braucht schon einen Anlass. Wenn der nicht da ist, tut man sich schwer mit dem Fluchen.
Warum flucht man denn überhaupt?
Polt: Es ist eine Erleichterung, ein Ventil. Vielleicht sogar auch noch mehr. Es könnte ja sein, dass man flucht, schon auch aus der Lust heraus, jemanden irgendwie zu beleidigen. Beleidigen ist ja nicht nur Notwehr, sondern kann auch Spaß machen. Dass man sagt, jetzt werd ich mich mal nicht mehr kontrollieren, sondern lass die Sau raus und sag ihm die Wahrheit. Dann eine Verbalattacke auf jemand loszulassen, kann ein Genuss sein: Jetztat hab i ‘s eam gsagt, dass er a Rindvieh ist, a saublöder Hund! Eine Barriere ist weg und, ja, man ist erleichtert. Das gilt auch, wenn man nicht über Menschen flucht, sondern über Beschwerden, über Allgemeines. Man kann über alles fluchen.
Man begegnet Flüchen und Kraftausdrücken meistens in der Mundart. Woher kommt das?
Polt: Weil die Mundart die körperlich und seelisch nähere Sprache ist. Jedenfalls für die, die sie haben. Es gibt auch wahnsinnig viele Ausdrücke des Lästerns oder des Kritisierens oder Nörgelns, wenn man einen Grant hat, die man wahrscheinlich hochdeutsch nie so wunderbar formulieren könnte. Wenn ich sag, bei dem fäits vom Boa weg: Die Übersetzung – bei dem fehlt es vom Bein weg – würde keiner verstehen.
Spielt auch eine Rolle, wie man es sagt?
Polt: Natürlich. Der Ton macht die Musik. Zum Beispiel: A Hund is a scho. Das ist ja dann sogar bewundernd. Die Tonalität des Fluchens spielt eine große Rolle. Es ist bei einer Schmähung ganz wesentlich, aus welchem Mund und vor allem wie sie daherkommt. Ich habe einmal geschrieben: Als wir Kinder waren, sind wir eben als Hundskrüppel bezeichnet worden. Als hinterfotzige Hundling, Hundskrüppel, varreckte. Das war wie Musik in unseren Ohren, weil es für uns toll war, dass die sich so aufgeregt haben. Die hätten die schlimmsten Ausdrücke sagen können, ich hätte sie immer als eine Belohnung gesehen. Als Bestätigung, dass wir wirklich varreckte Hund waren.
Hat sich das Fluchen über die Jahrzehnte verändert?
Polt: Ja, sehr. Schon weil es bestimmte Berufe nicht mehr gibt. Was ich als Kind noch erleben durfte: Da gab es die berühmten Rosskutscher, und die Redewendung „fluacha wia a Rosskutscher“. Die haben mit ihren Tieren in einem sehr rauen Ton geredet. Und, was ganz wichtig war: Wenn sie über jemanden geflucht haben, dann haben diese Menschen nicht nur gesagt, des is a Drecksau oder a hinterfotzige Drecksbagage oder irgend so was, sondern haben Situationen geschaffen, in die sie den anderen hineingewünscht haben. Also: Dem wünschat i – das ist jetzt dann das Fluchen –, der miaßat in a Odlgruam nei und miaßad stundenlang drin bleiben, bis eahm die Scheiße am Mei einilafft und bis er nachad dran varreckt. Also man wünscht sich einen Menschen bildhaft in unwürdigste, schlimme Situationen hinein. Das konnten nur Menschen machen, die einen anderen Lebensrhythmus hatten als die Leute heutzutage. Die digitale Welt würde sich diese Zeit gar nicht nehmen. Die Muße, um schöne Grauenhaftigkeiten zu kreieren, ist heute nicht mehr da. Dann sagt man halt nur noch so Allgemeines, ein paar Ausdrücke – Depp oder Trottel. Aber fluchen im Sinn, wirklich einen Fluch auszusprechen, Verwünschungen, die schon fast Literatur sind – da schaut’s eng aus bei uns.
Brauchen wir Fluchunterricht?
Polt: Das wäre gut. Ich kann nur sagen: Wenn Lehrerinnen oder Lehrer mit ihren Kindern durchnehmen würden, wie man schmähen lernt; wenn sie sie einführen würden in die Kultur auch des Beleidigens, wie sie war, wie sie sich ändert oder wie sie sein könnte, das wäre wunderbar.
Woher nehmen Sie die Inspiration für die Flüche Ihrer Bühnenfiguren?
Polt: Aus der Öffentlichkeit. Überall da, wo ich Leute treffe oder getroffen habe. Von daheim eher nicht. Wir haben daheim eine relativ fluchfreie Zone (lacht).
In welchen Lebenslagen fluchen wir gern und oft?
Polt: Zum Beispiel im Straßenverkehr. Wenn jemand im Auto sitzt, in seiner Kabine, und über den anderen schimpft, dann hört der das ja nicht. Dann kann man ihn höchstens mit Gesten noch erreichen. Also kann man vor sich hin fluchen, ohne gleich ertappt zu werden. Man ist durch diesen faradayschen Käfig geschützt (lacht). Oder in einem Amt, wo Menschen warten mussten. Da war ein Grieche, der hatte eine Wartenummer gezogen, die wurde dann nicht aufgerufen. Ich werde nie vergessen, wie der geflucht hat. Der war wirklich in Ekstase. Der hat sich nimmer beruhigen können und hat dann auch nicht mehr Deutsch geredet, sondern seine Muttersprache benutzt. Ich hab kein Wort verstanden, aber dass er geflucht hat, war klar.
Der Fluch kann Sprachgrenzen überwinden?
Polt: Durchaus. Ich glaube, ein guter Fluch wird vom Wesen her überall verstanden. Vielleicht mit einzelnen Ausnahmen. Wir haben ja den berühmten „Münchner im Himmel“…
… die von Adolf Gondrell genial vertonte Satire von Ludwig Thoma über den verstorbenen Dienstmann Alois Hingerl, der auf seiner Wolke zum Frohlocken verdonnert wird und sogar ein „Hallelujah“ zum Fluch werden lässt…
Polt: Ja genau. Alle verstehen es, nur der hochgeistige Engel, der vorbeischwebt, kann gar nicht begreifen, was da vor sich geht. Ich glaube, Fluchen ist auch ein Zeichen von Vitalität. Wer flucht, ist lebendig. Der wehrt sich, der resigniert nicht, sondern verteidigt sich. Angriff ist die beste Verteidigung, sagt man ja. Fluchen hat mit Leidenschaft zu tun. Eine Gesellschaft, deren Ziel es ist, cool zu sein, bringt einen Aloisius nicht hervor.
Im Bairischen nutzen viele Flüche kirchliches Vokabular. Ist das der Aufstand des kleinen Mannes gegen die mächtige Kirche?
Polt: Ich glaube, wo Tabus sind, gibt es auch die Lust, das Tabu zu brechen. Ob man das Tabu dann vollkommen kippt, oder ob man nur wie der Hund hinbieselt, ist dann die Frage. Aber ein Tabu ist immer provokant.
Haben Sie einen Lieblingsfluch?
Polt: Eigentlich nicht, weil es mir spontan kommt. Ich versuche, intuitiv den Umständen entsprechend die richtigen Worte zu finden. Es gibt aber manchmal Verwechslungen, wenn einer ned so genau hinhört. Ich hab einmal kruzinäsn gesagt, und dann hat einer gemeint, ich hätte Bolognese gesagt.
Es wird oft beklagt, dass der Dialekt ausstirbt. Werden wir irgendwann das Fluchen ganz verlernen?
Polt: Na ja, ich glaube, dass ja sogar die Hochsprache in manchen Regionen in der Defensive ist, nicht nur der Dialekt. In einer Zeit, in der so viel digital abläuft, wo die ganze Kommunikationskultur sich ändert, verändern sich wahrscheinlich sowohl die Wortwahl als auch der Wortschatz. In meiner Jugend wurde in Trambahnen und Zugabteilen noch eifrig diskutiert. Das waren Kommunikationsräume. Wenn man heute U-Bahn oder Trambahn fährt, ist das fast schon steril. Auch die klassische Gastwirtschaft ist nicht mehr das, was sie einmal war, sondern sie ist gekippt zum Restaurant.
Der Fluchkultur wird der Nährboden entzogen?
Polt: Früher, wenn einer begonnen hat zu fluchen, haben ihn die anderen wieder beruhigt: Kimm, jetzt gib a Ruah, und so weiter. Es könnte sein, ich weiß es ja nicht, aber wenn du nicht fluchen kannst, wenn du dieses Ventil halt nicht hast, bist du vielleicht eher geneigt, die Faust einzusetzen. Vielleicht schützt dieses Fluchen auch dich selber.
Bedauern Sie, dass heute weniger geflucht wird?
Polt: Ja, weil es eben Teil unserer Sprache ist. Und es kommt ja immer darauf an, wie geflucht wird, die Tonalität spielt eine große Rolle. Es gibt Leute, die wirklich hässlich fluchen und gemein, direkt vulgär. Es gibt aber auch ein Fluchen, das irgendwie fast schon wie der Blitz aus heiterem Himmel etwas aufreißt. Ein Beispiel: Du bist im Lift und der bleibt stecken. Und da sind jetzt fünf, sechs Leut drin, und es rührt sich nix. Und dann würde einer sagen: „Ja Herrgottzeiten, was is denn des für a Scheißverein!“ Aaah! (Polt breitet die Arme aus und lächelt.) Ein Fluch kann ja auch dieses Gefühl der Gemeinsamkeit auslösen. Natürlich kann man dumm und saudumm daherfluchen. Aber man kann halt auch intelligent fluchen oder zumindest lustig. Und diese Abstufungen sollte man nicht vergessen, die sind schon sehr wichtig.
Direkt eine Kunst…
Polt: Ja, das meine ich schon. Es ist wichtig, dass man die Tastatur der Flüche beherrscht.
Thema für ein Seminar oder einen Bühnensketch?
Polt: Ich bin überzeugt, dass sich da was draus machen ließe. Es gibt was her.