Neue Bevölkerungszahlen
„Beträchtliches Wachstum“: Boom-Region Mühldorf – diese Risiken warten
Der Landkreis Mühldorf ist rasant gewachsen und wächst rasant weiter. Das birgt Chancen, aber auch Risiken für den Charakter der Region. Diese Herausforderungen stehen bevor.
Mühldorf – „Wir sind eine Aufsteigerregion. Wer erfolgreich sein will, der muss in den Landkreis Mühldorf kommen oder hier bleiben.“ So bewertet Mühldorfs Landrat Max Heimerl seinen Landkreis auf Basis der neuesten Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung. Diese wurden in der Zensus-Befragung zusammengetragen, umgangssprachlich Volkszählung genannt (siehe Kasten).
Zwischen der letzten Zählung 2011 und der jüngsten 2022 wuchs der Landkreis um zwölf Prozent auf knapp 120.000 Einwohner. Das sind 13.000 Neubürger oder so viele Einwohner wie Neumarkt-St. Veit und Ampfing zusammen haben.
Zuzug in der Größe von Ampfing und Neumarkt-St. Veit zusammen
Dieses Wachstum wird nach neuesten Prognosen weiter anhalten. Auch in den kommenden zehn Jahren soll der Landkreis um weitere sechs bis elf Prozent zulegen, so Thomas Starka, der im Landratsamt das Datenmanagement-Team leitet. Das wäre ein weiterer Zuzug zwischen 7.000 (das entspricht Ampfing) und 13.000 Einwohnern.
„Das ist ein beträchtliches Wachstum“, sagt Heimerl. Ein Wachstum, das Chancen und Herausforderungen beinhaltet. Ein Wachstum, auf das sich der Landkreis und die Kommunen bereits jetzt gemeinsam vorbereiten müssen.
So lief der Zensus 2022
2022 gab es wieder einen Zensus, umgangssprachlich Volkszählung. Dabei wird ermittelt, wie viele Menschen in Deutschland leben, wie sie wohnen und arbeiten. Dazu wurden Daten aus Verwaltungsregistern sowie Fragebögen an zehn Millionen Bürger genutzt. Mit dem Zensus 2022 nahm Deutschland an einer EU-weiten Zensusrunde teil, die seit 2011 alle zehn Jahre stattfinden soll. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Zensus von 2021 in das Jahr 2022 verschoben.
Wohnraum ist die größte Herausforderung
Die größte Herausforderung aus Sicht von Heimerl: „Wir müssen entsprechenden Wohnraum schaffen.“ Ansonsten würden die Preise für Eigentum und Miete, die in den vergangenen Jahren schon deutlich zugelegt haben, „weiter explodieren“.
Die Kaltmiete ohne Nebenkosten liegt im Landkreis laut Zensus-Daten im Schnitt noch bei 6,80 Euro je Quadratmeter; steigt aber an, je näher die Wohnung an München liegt. In der Landeshauptstadt ist die Durchschnittsmiete fast doppelt so hoch: 12,90 Euro. In Altötting liegt sie bei 6,40 Euro und im Landkreis Rottal-Inn bei 5,80 Euro.
71 Prozent aller Wohngebäude sind Einfamilienhäuser
Aktuell gibt es im Landkreis gut 52.000 Haushalte und damit ein Fünftel (21 Prozent) mehr als im Jahr 2011. Vier von zehn Haushalten (43 Prozent) befinden sich in Einfamilienhäusern, die 71 Prozent aller Wohngebäude ausmachen. Gut die Hälfte der Wohnungen (53 Prozent) bewohnen die Eigentümer selbst, 42 Prozent sind vermietet und vier Prozent stehen leer.
Die zweite große Herausforderung, die sich für Heimerl aus dem Wachstum ergibt: Arbeitsplätze. „Ich möchte nicht, dass die Menschen bei uns nur wohnen, die Infrastruktur in Anspruch nehmen und zum Arbeiten nach München fahren“, betont er.
Nur fünf Prozent arbeiten in der Landwirtschaft
Seit dem Zensus 2011 wuchs die Zahl der Erwerbstätigen um 14 Prozent auf knapp 64.000. Sechs von zehn arbeiten im Dienstleistungsbereich, jeder Dritte (35 Prozent) im produzierenden Gewerbe und nur noch fünf von hundert in der Land- und Forstwirtschaft. Über die Hälfte (56 Prozent) der Erwerbstätigen haben eine Lehre oder eine Ausbildung im dualen System abgeschlossen; einer von zehn hat einen Fachschulabschluss, 16 Prozent den Abschluss einer Hochschule und 17 Prozent haben keinen beruflichen Abschluss.
Um hier weiter Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, setzt Heimerl auf die Innovationsachse und den Wachstumsraum A 94. Entlang der Autobahn könnten erneuerbare Energien sowie Gewerbegebiete entstehen, die Unternehmen anziehen.
Es braucht mehr Kitas, Schulen, Sport- und Freizeiteinrichtungen
Die dritte Aufgabe, die sich aus den neuesten Zensus-Zahlen für die Kommunen ergibt, so Heimerl: die Infrastruktur. Mehr Landkreisbürger bräuchten mehr Kindertagesstätten, mehr Schulen, mehr Freizeit- und Sporteinrichtungen, stellten auch die Vereine vor Herausforderungen. In 37 Prozent der Haushalte leben Kinder, jeder dritte Haushalt (36 Prozent) ist ein Singlehaushalt.
Ein Viertel der Landkreisbürger hat Einwanderungsgeschichte
Alles Entwicklungen, die auch die Struktur des ländlich geprägten Landkreises ein Stück weit verändern könnten. So zogen seit dem Zensus 2011 gut 10.000 ausländische Bürger neu in den Landkreis und damit deutlich mehr als deutsche (plus 3.000). 14 Prozent der Landkreisbewohner haben keinen deutschen Pass. Vier von fünf Ausländern im Landkreis (81 Prozent) kommen aus der EU und dem restlichen Europa. Die größte ausländische Bevölkerungsgruppe stellen die Rumänen (2.633), gefolgt von den Ungarn (1.509) und Türken (1.438). Jeder vierte Landkreisbürger (27 Prozent) hat eine Einwanderungsgeschichte, ist also nach 1950 eingewandert.
Diese und noch viel mehr Zahlen bietet der Zensus 2022. Zahlen, die es auch für jede Gemeinde gebe und ihr zur Verfügung gestellt wurde, so Landrat Heimerl. Zahlen, auf deren Basis Entscheidungen gefällt werden müssen, „um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Wir wollen uns organisch und homogen entwickeln, wollen weiter gemeinsam leben.“
Schluss mit dem Kirchturmdenken
Nach seinen Worten ist Heimerl dazu im Austausch mit den Bürgermeistern. „Wir müssen uns als Region betrachten und das Kirchturmdenken ein Stück weit auflösen.“ Und sie müssten die Aufgaben angehen. Denn: „Wenn wir jetzt nichts machen, wird es die Entwicklung trotzdem geben. Die Möglichkeiten, die wir haben, müssen wir nutzen. Insgesamt sehe ich deutlich mehr Chancen als Risiken. Ich weiß, es ist extrem schwierig, aber trotzdem notwendig.“



