Mord-Prozess zu Unfall auf A94 bei Ampfing
„Möchte ihn erwürgen“: Frau verlor Familie bei Schleuser-Horror - Angeklagter spricht von „Schicksal“
Ampfing/Traunstein - 22 Menschen wurden bei einer Schleuserfahrt im Oktober vorigen Jahres in einen Kleinbus gequetscht - dann verursachte Samer O. einen Horror-Unfall mit sieben Toten. Im Prozess vor dem Landgericht haben heute Überlebende als Zeugen ausgesagt und es wurde sehr emotional.
Update, 14.30 Uhr - Zeugin verlor Mann und Kind
Am schwersten hat heute vor Gericht eine 32-jährige Türkin zu kämpfen. Sie verlor bei dem Unfall am 13. Oktober 2023 bei Ampfing ihren Mann und ihre sechsjährige Tochter. Ihre beiden anderen Kinder überlebten. „Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Jede Nacht kommt es mir in den Sinn“, sagt die Frau, die heute in Thüringen lebt, gleich zu Beginn. Immer wieder muss sie unterbrechen, bricht in Tränen aus.
Die Türkin ging zu Beginn der Fahrt in Niederösterreich davon aus, dass sie und ihre Familie die einzigen Geschleusten seien. So habe man es ihr gesagt. Doch dann sammelte Samer O. immer mehr Leute ein – bis im Neunsitzer 23 Menschen zusammengepfercht waren. „Wir konnten nicht mehr atmen“, berichtet sie von der stundenlangen Fahrt. Aber es hat ihm nichts ausgemacht“, deutet sie auf die Anklagebank hinüber.
Die Kinder wurden in den Fußraum gequetscht, niemand habe sich anhängen können, laute Musik und Zigarettenrauch vernebelte die ohnehin stickige Luft im Auto. So beschreibt die 32-Jährige die Fahrt. Vom Unfall selbst weiß sie nur noch, wie ihr Mann gegen die Scheibe flog – dann wurde sie bewusstlos. Laut Staatsanwaltschaft wurde ihre sechsjährige Tochter meterweit aus dem Auto geschleudert und verstarb an der Unfallstelle.
Dann der heute wohl emotionalste Moment im Gerichtssaal. Wie bei allen anderen Zeugen will sich Samer O. von der Anklagebank aus auch bei der Frau entschuldigen. Er habe das nicht gewollt, der Unfall sei „Schicksal“ gewesen, so der Angeklagte. Die 32-Jährige gerät außer sich: „Ich möchte ihn erwürgen, ich hasse ihn“, ruft sie. Der Angeklagte habe das Leben ihres Kindes auf dem Gewissen. „Es war kein Schicksal! Wenn er angehalten hätte, wäre nichts passiert.“ Schluchzend rennt die Türkin aus dem Gerichtssaal.
Ein ähnlich trauriges Bild gibt ein anderer Zeuge ab. Ein Syrer, gerade mal 28 Jahre alt, kommt mit einem klinischen Gehwagen in den Gerichtssaal. Bei der Schleusung saß er direkt hinter dem Angeklagten im Kleinbus und wurde schwer verletzt. Auf Nachfrage von Richter Volker Ziegler berichtet er: „Hüfte, Beine, Arm – überall hab‘ ich Platten drin.“ Demnächst stehe auch eine Schulteroperation an.
Er sagt selbst, er glaube nicht mehr daran, so gesund wie früher zu werden. Laut den Ärzten brauche er noch mindestens ein Jahr den Gehwagen. Auch er kann die Entschuldigung des Angeklagten nur schwer entgegennehmen – und sagt: „Ich bin aus Syrien geflüchtet, damit ich nicht sterbe. Aber Du hättest mich hier sterben lassen.“
Einen Überlebenden aus der Türkei erwischte es aber noch schlimmer: Er erlitt bei dem Unfall bei Ampfing so schwere Gehirnverletzungen, dass er nicht mehr ansprechbar ist. Laut Staatsanwalt Markus Andrä muss er noch immer intensivmedizinisch versorgt werden: „Es trat ein bleibender Hirnschaden ein, der ihm jegliche Form der Kommunikation und Fortbewegung unmöglich macht.“
Samer O., der 25-Jährige auf der Anklagebank, hat die Todesfahrt bereits am ersten Prozesstag gestanden. Die Verhandlung gegen ihn wird am Dienstag (15. Oktober) fortgesetzt.
Update, 11.30 Uhr - Zu sechst im Kofferraum: Zeugen berichten von Horror-Schleusung
Sieben Menschen, darunter ein sechsjähriges Kind, verloren beim verheerenden Schleuserunfall an der A94 im vergangenen Oktober ihr Leben – 16 überlebten, inklusive des Fahrers. Jene Überlebenden sind heute an der Reihe, um als Zeugen vor Gericht auszusagen. Man merkt: Alle werden noch heute von den Erinnerungen verfolgt, haben Schlafprobleme und Alpträume von jener Nacht.
Ein 31-jähriger Syrer, der heute im Landkreis Kelheim lebt, beschreibt, wie eng es in dem Mercedes Vito gewesen sein muss. Eigentlich ist das Auto nur für neun Personen ausgelegt. „Vorne saßen sie zu dritt, in der zweiten Reihe waren sieben Personen, in der dritten Reihe sieben. Und ich war mit fünf anderen im Kofferraum.“ Möglichkeiten zum Festhalten gab es nicht. Die Kinder hätten zum Teil am Boden zwischen den Beinen ihrer Eltern gekauert.
Die Fahrt habe in Traiskirchen in Niederösterreich begonnen. Ein weiterer Asylbewerber, ebenfalls Syrer, berichtet: Der Kleinbus sei von einem Scout-Fahrzeug, einem BMW, begleitet worden – Komplizen des Angeklagten Samer O. Sie spähten die Grenzübergänge aus, ob dort Polizeikontrollen stattfänden. „Als wir über die Grenze fuhren, gab es keine Probleme. Aber kurz danach war ein Zivilfahrzeug hinter uns.“ Das hätte auch der Scout-BMW bemerkt und sei abgehauen...
„Und dann hat der Fahrer die Nerven verloren.“ Spätestens als die Verfolgungsjagd mit 180 km/h auf der Autobahn begann, sei auch bei den 22 Mitfahrern im Mercedes Vito die Angst umgegangen. „Wir haben immer wieder zum Fahrer ‚Stop‘ gerufen – aber er hat nicht gestoppt. Wir wollten uns der Polizei ergeben, aber er ist immer schneller geworden.“ Der Angeklagte habe die anderen noch zurechtgewiesen, keiner solle sich einmischen. Und er drehte wohl die Musik so laut auf, dass sich niemand mehr unterhalten konnte.
Ein weiterer Syrer aus dem Auto berichtet: „Es war ihm egal, ob wir sterben oder nicht.“ Die drei Syrer wurden beim Unfall an der Milz bzw. am Kopf verletzt. Einer brach sich den Arm. Für den ganzen Weg von Syrien bis nach Deutschland zahlten sie den Schleusern jeweils zwischen 6000 und 7000 Euro. Auch wichtig für das Gericht: Die Zeugen erkennen Samer O. auf der Anklagebank wieder.
Vorbericht:
Samer O. hat die Tat am ersten Prozesstag bereits gestanden: Er sei es gewesen, der am 13. Oktober 2023 einen Kleinbus (Mercedes Vito) über die A94 in Richtung München steuerte. Der Neunsitzer völlig überfüllt, an Bord 22 Asylbewerber aus Syrien und der Türkei, ungesichert. Auf der Flucht vor der Polizei krachte er in hohem Tempo bei der Ausfahrt Ampfing über eine Leitplanke. Sieben Insassen, darunter ein sechsjähriger Bub, wurden aus dem Auto geschleudert und verstarben. Die Anklage lautet auf Mord.
Schleuser-Unfall auf A94 bei Ampfing: Prozess am Landgericht Traunstein
Am heutigen Donnerstag (10. Oktober) wird am Traunsteiner Landgericht der Prozess ab 9 Uhr fortgesetzt. Als Zeugen sollen Überlebende der Horror-Fahrt aussagen. Alle wurden bei dem Unfall verletzt, zum Teil schwer. „Ein Geschädigter ist aufgrund der Verletzung des Gehirns nicht ansprechbar und wird intensivmedizinisch versorgt“, so Staatsanwalt Markus Andrä am Prozessauftakt zum Verletzungsgrad eines der Insassen. Zur Tat äußerte sich der Angeklagte bisher noch nicht näher. Über seinen Verteidiger Hans-Jörg Schwarzer räumte er die Tat vom 13. Oktober 2023 aber ein.
Sieben Tote bei Horror-Unfall auf A94 im Kreis Mühldorf am Freitag (13. Oktober)
Samer O. ist 25 Jahre alt und lebte in Wien. 2014 kam er aus Syrien nach Österreich, arbeitete dort unter anderem als Paketfahrer für Amazon. Im Frühjahr 2023 kündigte er den Job - weil die Schleusungen lukrativer waren? Laut Staatsanwaltschaft erhielt der Angeklagte für jede erfolgreiche Fahrt von Österreich nach Bayern mindestens 6000 Euro. Zum Prozessauftakt sagten bereits die zwei Bundespolizisten aus, die den Angeklagten auf der Autobahn zuvor vergeblich anhalten wollten. Als Ersthelfer bot sich ihnen am Unfallort ein Bild des Grauens.
Die Anklage lautet auf Mord, Einschleusen von Ausländern, Einschleusen mit Todesfolge, versuchter Mord, Körperverletzung und Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge. Noch fünf Verhandlungstermine sind am Landgericht vorgesehen, der letzte am 5. November. innsalzach24.de wird aktuell vom Prozess berichten. (xe)
