Einzige Platzarbeiterin im Recyclingzentrum in Traunstein
Schrott ist ihr Metier – Karoline Widur allein unter Männern
Gestandene Kerle in Arbeitskleidung, Ärmel hochgekrempelt, Schweißperlen im Gesicht: Der Job als Platzarbeiter im Recyclingzentrum Schaumaier ist nichts für Warmduscher. Da wird mit Autowracks jongliert und tonnenweise Metall verladen. Es scheppert und dröhnt - mittendrin ist Karoline Widur, das einzige weibliche Wesen weit und breit. Gelebte Frauenpower auf dem Schrottplatz: Wie fühlt sich das an?
Traunstein – Papier, Verpackungen, Altglas. Der Weg zum Recyclinghof in Traunstein bleibt kaum jemandem erspart. Die Kreisstadt hat kein individuelles Trennsystem und so bringen die Einheimischen ihren Abfall zu einer der Mülltrennungsanlagen. Gut gelegen ist da der Schaumaier im Industriegebiet Nord. Die einen nehmen es sportlich, die anderen sind merklich gestresst. Da hilft auch die Radiomusik nichts, die auf Anschlag aus den Boxen dröhnt: „Oh girls just wanna have fun, just wanna have fun“.
Ein Gespräch unter Frauen: In der Kantine des Recyclinghofs
Zum Gespräch mit Karoline Widur dringen wir in Bereiche des Recyclinghofes vor, die den meisten Mülltrennern verborgen bleiben. Auf dem etwas weiter vorne gelegenen Schrottplatz liefern vornehmlich größere Handwerksbetriebe und Firmen ihr Trenngut an. Und hier ist auch die Kantine der Angestellten vom Schaumaier untergebracht. Im Charme der 50er Jahre, Eiche rustikal – und natürlich darf auch das Kalendergirl an der Wand nicht fehlen. Schließlich arbeiten hier richtige Kerle – und eine Frau.
Offen, quirlig und humorvoll: Karoline Widur, die einzige Frau im Team
„Platzarbeiter.“ Die Antwort auf unsere erste Frage im Interview, wie denn ihre genaue Berufsbezeichnung sei. Karoline Widur ergänzt: „Also eigentlich Platzarbeiterin, aber auf der Lohnabrechnung steht auch Platzarbeiter“. Wir lachen. Lachen werden wir viel in der nächsten Stunde, das bleibt bei Karoline Widur gar nicht aus: Offen, quirlig und humorvoll – sicherlich hat sie diese Attribute über sich schon öfter gehört.
In der leeren Kantine des Betriebes riecht es noch nach Leberkäsesemmeln und Kaffee, die Kollegen von Karoline sind aber schon wieder draußen und sortieren Wertstoffe. Der Lärm des Schrottplatzes dringt nur mäßig durch die Fenster und so können wir uns in Ruhe unterhalten. Also, ganz von vorne: Wie kommt man denn als 36-jährige Frau auf die Idee, auf einem Schrottplatz zu arbeiten?
Nach Burnout: Eine berufliche Umorientierung steht an
„Ja, das ist eine lange Geschichte. Also ich bin ja ursprünglich Mediengestalter und Medienfachwirt.“ Mit dieser Antwort haben wir gar nicht gerechnet. Da ist der Sprung zum Recyclinghof ja riesig. Karoline hatte aber damals gute Gründe, diesen Schritt in eine ganz andere Richtung zu gehen: „Also ich habe tatsächlich einmal selber eine Druckerei gehabt und habe dann da unglaublich Stress erlebt, weil du arbeitest unglaublich viel und bist halt nur im Büro.“
Die 36-Jährige hat schon einige berufliche Stationen in ihrem Leben hinter sich. Mit ihrer Tante zum Beispiel, so erzählt sie uns weiter, habe sie die Traunsteiner SoLaWi Chiemgau, solidarische Landwirtschaft, aufgebaut. Das war eine Phase in ihrem Leben, wo sie lieber mit Gemüse als Menschen zu tun hatte. Denn der Bürojob vorher hatte sie bis an die Belastungsgrenze gebracht: „Da habe ich dann so einen richtigen Burnout gehabt, sodass es mich komplett ausgehebelt hat. Und dann habe ich schon gemerkt, okay, ich brauche halt etwas draußen und habe dann zwei Jahre lang bloß Gemüse angebaut danach, so zum Wiedereinstieg.“
Körperliche und geistige Auslastung: Zwischen Manager-Coaching und Schrottplatz
Irgendetwas hat der jungen Frau damals aber dann doch auch hier wieder gefehlt: „Die Geschäftswelt ist mir wieder abgegangen, das hatte ich gar nicht gedacht.“ Nach einer psychologischen Ausbildung zum Coach sucht sie schließlich einen Kompromiss. Jetzt berät sie zum einen Geschäftsleute und Manager zu Themen wie Zeitplanung und zum andern steht sie auf dem Schrottplatz: „Ich dachte mir, ich brauche was, dass ich das ganze Jahr draußen machen kann und wo ich richtig körperlich gefordert bin. Wo du bei Wind und Wetter draußen bist. Und dann habe ich Claus, also den Geschäftsführer vom Schaumaier, geschrieben und gefragt, ob das möglich wäre, auf einem von seinen Höfen zu arbeiten.“
Bewerbung beim Schaumaier: „Total nett, dass er mich eingeladen hat“
Direkt ein bisschen überrascht war Karoline, als ihr der Geschäftsführer antwortet. Sie hatte bei der Bewerbung schon überlegt, wie sie zeigen kann, dass sie der Arbeit auf dem Recyclinghof gewachsen wäre. Schließlich passte ihr bisheriger Lebenslauf nicht unbedingt wie die Faust aufs Auge: „Dann fand ich es aber total nett, dass er mich eingeladen hat, weil das ist tatsächlich eine Chance, die man ganz oft nicht kriegt, weil die meisten dann einfach denken, ja, was soll man denn mit der? Oder die spinnt irgendwie oder die kann wahrscheinlich gar nicht richtig arbeiten.“
Der Wechsel vom Hausmüll zum Schrottplatz: „Ist das gruselig da oben.“
Der Chef ließ sich darauf ein. Eine Weile arbeitet Karoline vorne im Bereich der Haushalts-Mülltrennung. Hier hat sie noch eine weitere weibliche Kollegin. Dann auf einmal die Ansage von der Geschäftsleitung, Karoline solle künftig beim Schrottplatz arbeiten. In diesem Bereich hatte bis dahin noch nie eine Frau gearbeitet. Jetzt wird Karoline nervös. Sie war vorher nur ab und zu in diesem Bereich:
„Einmal zum Beispiel, da hatte es so 37 Grad, das war eine Bruthitze, und ich sah da diese ganzen Männer, voller Dreck. Und dann saßen da welche mit Bunsenbrenner mittendrin und haben riesige Metallteile auseinander gebrannt und einer hat ein Auto über uns gehoben. Und ich habe mir gedacht, oh mein Gott, ist das gruselig da oben.“ Als sie dann selbst bei „den Männer da oben“ arbeiten sollte, war sie weit entfernt von der inneren Überzeugung, hier ihre Frau stehen zu können:
„Ich könnte jetzt sagen, also kein Thema als Frau in einem männerdominierten Beruf, total tough und juckt mich nicht. Aber es war unglaublich stressig und unglaublich anstrengend am Anfang, dass man in gemeinsame Arbeitsabläufe findet. Und ich glaube, es war für jeden ein bisschen irritierend.“ Die Eindrücke der ersten Arbeitstage im neuen Bereich sind in Karolines Erinnerung noch sehr lebendig.
Aller Anfang ist schwer: Schweigen in der Kantine und ein gebrochener Finger
Am ersten Arbeitstag sei, so Karoline, beim Betreten der Kantine, in der wir jetzt auch zum Gespräch sitzen, plötzlich alles still geworden - eine Frau, ohje. Und um auch gleich noch das Klischee der verletzlichen Frau bei den neuen Kollegen zu bestätigen, gleich zu Beginn ein Unfall: „Dann kommst du da rein, musst lauter neue Sachen machen, das ist ja alles auch gefährlich. Ich habe ja gleich die erste Woche einen Finger gebrochen. Und dann hockst du da.“ Sie sei, so Karoline weiter, trotzdem jeden Tag zur Arbeit gekommen. Da könne man dann ja nicht bringen, gleich wegen eines gebrochenen Fingers zu fehlen. Karoline setzt sich durch und bleibt ihrer freundlichen und wie selber sagt „lauten und quirligen Art“ treu. Kommt das bei den Kollegen an?
„So viel Wertschätzung und Unterstützung.“ Mittlerweile ist Karoline begeistert
„Also das muss ich ja sagen, ich habe noch nie irgendwo gearbeitet, wo ich so viel, obwohl ich so Angst gehabt habe, wo ich so viel Wertschätzung und Unterstützung erfahren habe. Sie sind halt alle so geerdet und so ehrlich und wenn ihnen was nicht passt, dann sagen sie dir das halt.“ Und wenn sie mal was verbockt, erklärt Karoline, dann sind gleich alle zur Stelle, um zu helfen und sie aufzubauen. Wie neulich, als sie mit dem Lader angefahren ist. Da sei den Kollegen auch schon passiert. Und überhaupt, da habe ja auch einer schlecht geparkt.“
Zweite Frau im Team erwünscht? Kommt darauf an
Wir fragen gegen Ende unseres Gespräches bei Karoline Widur nach: Wünscht sie sich eine Kollegin? „Tatsächlich habe ich da drüber nachgedacht und, also ich finde es so, wie es ist, gerade im Moment, unglaublich schön.“ Sie würde natürlich nicht ausschließen, dass eine weitere Frau im Betrieb von Vorteil sei. Schließlich habe sie selbst gemerkt, dass ihre kommunikative Art bei den Kunden am Schrottplatz gut ankommt. Zumal ihre männlichen Kollegen oft nicht so gern viel reden würden. Aber es müsste hald eine sein, die hineinpasst in diesen Job und ins Team. So wie ihre Kollegin Sigi damals im Bereich der Hausmüllentsorgung. Dann könnte sie sich das gut vorstellen.
Ein ganzer Tag auf der Couch? Eher nicht
Gibt es auch mal Tage, wo eine Karoline Widur einfach auf der Couch liegt? „Eher selten“, antwortet sie. Einen halben Tag schafft sie das mittlerweile manchmal. Neben ihren zwei Jobs ist die 36-Jährige auch noch aktive Kletterin, Bergsteigerin und Kitesurferin, macht mehrere Fortbildungen, gibt Ernährungskurse und macht Musik - die Liste ist lang. Wo sie sich in zehn Jahren sieht, kann Karoline nicht genau beantworten, aber: „Hauptsache, du bist glücklich und ich gehe da jeden Tag glücklich raus. Manchmal ziemlich fertig, aber immer glücklich, weil es, auch wenn es anstrengend ist, einfach vom kollegialen Umkreis her so nett ist.“ Sie kann sich gut vorstellen, noch eine Weile auf dem Schrottplatz zu bleiben, der erste gruselige Tag in der Kantine ist schon längst nur noch eine schöne Anekdote.


