Zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl
Kröten „sperren“ die Bundesstraße 305 – sorgt das bei den Menschen für „Aufruhr“?
Die Kröten, Frösche und Molche „regieren“ im Dreiseengebiet: Die Bundesstraße B 305 ist derzeit zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl nachts gesperrt. Wie nervig finden das Pendler und Touristen, die große Umwege fahren müssen? Wir haben nachgefragt.
Ruhpolding/Reit im Winkl – Matthias Schlechter ist es auch schon passiert. Reit im Winkls Bürgermeister hatte vergessen, dass in seiner Heimat die Kröten zu bestimmten Zeiten sogar auf der Bundesstraße 305 zwischen seiner Gemeinde und Ruhpolding regieren. „Dann musste ich wieder umdrehen. Das ist wahrscheinlich jedem bei uns irgendwann mal passiert“, erzählt der Ortschef dem OVB: „Natürlich ist das in dem Moment nervig, aber es gehört in unserer Region halt zum Jahreslauf dazu.“
Schranken zu für die Kröten
In jedem Frühjahr geht im Dreiseengebiet ein einzigartiges Natur-Spektakel über die Bühne. Etwa 30.000 Kröten, Frösche und Molche werden in den nächsten Wochen zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl die Bundesstraße 305 überqueren. Sie wollen zu ihren Laichgebieten im Weitsee, Mittersee und Lödensee. Damit möglichst viele Bayerns bedeutendste Amphibien-Wanderung überleben, wird die wichtige Straßen-Verbindung in der Touristen-Region nachts (von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens in der Sommerzeit) für den Verkehr gesperrt. Es gibt Schranken bei Seegatterl und Seehaus.
Es ist eine einzigartige Maßnahme für eine Bundesstraße und sie sorgt in der Region für Verkehrsbehinderungen. Die Umleitungen sind weiträumig über die Kreisstraße TS 5 von Siegsdorf nach Staudach/Grassau sowie über die Bundesautobahn A 8 ausgeschildert. „Die Sperrung betrifft vor allem Pendler, die vor 6 Uhr zur Arbeit fahren. Sie müssen außenrum – natürlich nervt das. Aber das ist seit mindestens 30 Jahren in dieser Jahreszeit so. Und sorgt weder für schlechte Stimmung noch größeren Aufruhr.“
Touristen-Ansturm hält sich in Grenzen
Das bestätigt auch sein Bürgermeister-Kollege Justus Pfeifer aus Ruhpolding im OVB-Gespräch. „Es gehört für die Menschen dazu. Und es ist schließlich ein Naturschutzgebiet, von dem wir auch touristisch das ganze Jahr über profitieren.“ In dieser Jahreszeit hält sich in Ruhpolding genau wie in Reit im Winkl der Touristen-Ansturm jedoch in Grenzen.
Viele Nachfragen von Gästen, warum sie nachts nicht durch das Dreiseengebiet kommen, gibt es deshalb nicht. Und wer neugierig auf die Amphien-Wanderung ist, ist im Dreiseengebiet ohnehin besser zu Fuß unterwegs. „Etwa 50 Prozent der 20 in Deutschland lebenden Amphibienarten stehen aktuell auf der ‚Roten Liste der gefährdeten Arten‘“, so der Bund Naturschutz. In Bayern seien zehn von 19 Arten gefährdet.
Bei den Einheimischen ist das Verständnis für die außergewöhnliche Straßen-Sperrung noch einmal durch die im vergangenen Jahr im Bayerischen Rundfunk gesendete TV-Dokumentation „Jede Kröte zählt“ gewachsen. „Spätestens da hat jeder verstanden, dass den kleinen, armen Kröten sogar schon durch zu schnelles Vorbeifahren die Lungen zerfetzt werden können“, erzählt Pfeifer. In der ganzen Region gibt es deshalb vielerorts Geschwindigkeits-Beschränkungen und Kröten-Zäune an Straßenrändern, an denen viele ehrenamtliche Helfer die Tiere in Eimern einsammeln und über die Straße tragen. Im Landkreis Traunstein gibt es insgesamt neun offizielle Querungs-Stellen. Rund 6.000 freiwillige Helfer sind laut Bund Naturschutz jedes Frühjahr in Bayern für Frosch & Co. im Einsatz und retten eine halbe Million Amphibien.
Im Dreiseengebiet wäre der menschliche „Shuttle-Service“ wegen der gigantischen Menge der Amphibien schlichtweg nicht zu bewältigen – und die Folgen könnten dramatisch sein. „In den 1990er-Jahren, als es die Maßnahme noch nicht gab, sah es auf der Straße wie auf dem Schlachtfeld aus“, erinnert sich Matthias Schlechter.
Vorfahrt für die Kröten
Deshalb haben die Kröten in den kommenden Wochen Vorfahrt: Da die Amphibienwanderungen stark witterungsabhängig sind, kann die Sperrung der B 305 teilweise sehr kurzfristig erfolgen. Sofern die Wanderungen durch sinkende Temperaturen unterbrochen werden, wird auf eine Sperrung der Bundesstraße verzichtet. Dann regieren auch auf der Bundesstraße wieder Matthias Schlechter und Co statt Tausender Kröten.
