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Jede Nacht und jeden Morgen unterwegs

Helden der Nacht: So retten Anette, Claudia und Lukas Tausende Kröten im Achental

Anette Grimm, Claudia Riess und Lukas Hartmann
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Jedes Jahr retten ehrenamtliche Helfer tausende Amphibien. Ohne sie würden viele Tiere den Autoreifen zum Opfer fallen. Anette Grimm(l.), Claudia Riess und Lukas Hartmann sind für die Ortsgruppe Achental des Bund Naturschutz unterwegs.

Jeden Morgen und jede Nacht sind ehrenamtliche Helfer unterwegs und sammeln, was das Zeug hält. Die Chiemgau-Zeitung hat drei davon im Achental begleitet. Was sie motiviert und wie sie den schleimigen Gesellen helfen können, lesen und sehen Sie im Video.

Marquartstein – Anette Grimm fährt langsam mit dem Auto durch die Nacht. Obwohl der Abschnitt auf der Marquartsteiner Straße bereits zwischen 20 und sechs Uhr auf 70 Kilometer pro Stunde beschränkt ist, fährt Grimm keine 50. Wer noch die Faustformeln aus der Fahrschule rezitieren kann, weiß, dass der Anhalteweg bei der Maximalgeschwindigkeit etwa 70 Meter beträgt. Zu lang. Das hat Anette Grimm im Hinterkopf.

„Schleimschicht auf der Straße“

Das Landratsamt Traunstein rät bei Amphibien auf der Straße: Geschwindigkeit verringern, „da sich durch überfahrene Tiere und entsprechende Witterung eine rutschige Schleimschicht auf der Straße bilden kann“, sagt Pressesprecher Mathias Heinrichs. Durch eine reduzierte Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern pro Stunde schütze man auch die Amphibien, „da so kein größerer Unterdruck unter den Autos entsteht, der die Organe der Tiere schädigen kann.“ Das Landratsamt rät ab, selbst in der Dämmerung aktiv zu werden: „Lieber verständigt man nach Fahrtende die Straßenmeisterei oder beispielsweise die örtlichen Verbände, wie den Bund Naturschutz, dass auf dem Straßenteil eine größere Wanderung stattfindet.“

Geschwindigkeitsbeschränkungen an den Straßen. Allerdings sind 70 km/h meist noch zu schnell, um rechtzeitig zu reagieren.

Um 22 Uhr an einem Dienstagabend geht die Biologin Grimm mit anderen Helfern des Bunds Naturschutz (BN) der Ortsgruppe Achental ihrem Ehrenamt nach. Ein grüner Zaun, etwa 30 Zentimeter hoch, erstreckt sich über einige hundert Meter am Straßenrand. Grund hierfür ist ein kleiner Weiher abseits der Marquartsteiner Straße. „Zu ihm wandern jährlich etwa 2000 Kröten und Frösche“, meint Anette Grimm. Sie haben sich in dem Gewässer von der Kaulquappe entwickelt und kehren dorthin zurück, um zu laichen.

„Amphibien heuer so früh unterwegs wie noch nie“

Steigende Temperaturen und leichter Regen locken die Tiere aus ihren Winterquartieren. „Durch die bereits milden Temperaturen im Februar sind die Amphibien heuer so früh unterwegs wie noch nie in den vergangenen Jahrzehnten“, heißt es vonseiten des Bunds Naturschutz. „Auf ihrer Wanderung wird es für sie besonders gefährlich, wenn sie eine Straße überqueren müssen. Daher sind bereits seit Ende Februar bayernweit wieder viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterwegs“, erklärt Beate Rutkowski, stellvertretende BN-Landesvorsitzende und Kreisvorsitzende in Traunstein.

Die kleinen Männchen reisen gerne auf den Rücken der großen Weibchen.

An einer Parkbucht am Straßenrand angekommen, trifft Anette Grimm Claudia Riess und Lukas Hartmann. Alle drei sind mit Stirnlampen, Einmalhandschuhen, Eimern, Gummistiefeln und Warnwesten ausgestattet. Gemeinsam gehen sie den Zaun ab. Die Amphibien werden an der Barriere entlanggeleitet und fallen dann in eingegrabene Eimer. Aus diesen holen sie die Helfer und transportieren sie in ihren Eimern über die Straße.

Heute ist eine sternenklare Nacht und das Thermometer zeigt sechs Grad Celsius an. „Zu trocken und zu kalt für die Tiere“, so Grimm, „man sagt, bei über fünf Grad wandern sie, aber meistens noch ein bisschen mehr.“ In der Nacht zuvor hatte es geregnet. „Gestern waren es 231, davon sechs Frösche“, sagt die Biologin. An dem Übergang in Marquartstein kommen überwiegend Kröten zusammen. „Mir wäre es heute ehrlich gesagt auch zu kalt als Kröte“, lacht Grimm. Heute werden es nur neun Amphibien sein.

„Eine richtig sinnvolle Arbeit”

„Im Landkreis Traunstein organisiert der Bund Naturschutz schon seit den 90er Jahren Amphibienschutzzäune. „Landkreisweit gibt es derzeit neun betreute Querungsstellen“, berichtet Wolfgang Selbertinger, Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Traunstein. Anette Grimm hilft seit etwa fünf Jahren beim Sammeln der Frösche im Achental mit: „Das ist einfach eine richtig sinnvolle Arbeit. Nicht am Schreibtisch sitzen, sondern einfach mal was machen“, sagt die Biologin, während sie den Zaun abschreitet. Zwischen den Laubblättern des letzten Herbstes sprießt frischer Bärlauch, der durch den Kontakt zu Gummistiefeln würzig duftet.

Keine große Ausbeute, aber die Nacht war zu kalt und zu trocken für die Amphibien.

Im ersten Eimer am Zaun sitzt eine kleine Kröte. Wahrscheinlich ein Männchen: „Die Weibchen sind deutlich größer als die Männchen“, erklärt Grimm und sammelt das Tier ein. Einen Eimer weiter findet sie ein Pärchen. Ein Männchen hat sich auf dem Rücken des großen Weibchens festgeklammert. Zum Weiher ist es noch ein ganzes Stück, aber „die Männchen steigen auf, sobald sie eine Chance dazu bekommen“, sagt Grimm.

Die Biologin hebt das Paar behutsam in ihren Eimer. Der kleine Kröterich, der dort bereits auf seine Überfahrt zu den Laichgewässern wartet, wittert eine Chance und krabbelt auf das Zweiergespann. Das Männchen im Sattel akzeptiert allerdings keinen Nebenbuhler, stößt einen hochtonigen quietschenden Warnton aus und schiebt mit einem kräftigen Tritt seiner Hinterbeine den einsamen Junggesellen weg. „Es gibt viel mehr Männchen als Weibchen“, sagt Grimm.

„Zehn von 19 Arten gefährdet“

„Etwa 50 Prozent der 20 in Deutschland lebenden Amphibienarten stehen aktuell auf der ‚Roten Liste der gefährdeten Arten‘“, so der Bund Naturschutz. In Bayern seien zehn von 19 Arten gefährdet. Rund 6.000 freiwillige Helfer sind laut BN jedes Frühjahr in Bayern für Frosch & Co. im Einsatz und retten eine halbe Million Amphibien. Nach Anette Grimm werden an dem Übergang in Marquartstein jährlich gut 2000 Amphibien gesammelt. Dieses Jahr waren es schon über 1700. Der Großteil der Wanderung könnte demnach bald beendet sein. Die ersten Kröten seien auch bereits auf der Heimreise. Der Rückweg passiere allerdings nicht in so konzertierten Wellen.

Sobald die Kröten am Gewässer angekommen sind, wird ausgiebig gebadet.

Klimatische Veränderungen und eine intensivere Landwirtschaft schränken allerdings den Lebensraum der Amphibien in Bayern ein und sorgen für ein verändertes Wanderverhalten der Tiere. BN-Landesvorsitzende Beate Rutkowski fordert daher ein fest installiertes Amphibienleitsystem, „da die Wanderperioden immer länger werden und auch die Rückwanderer und Jungtiere im Sommer geschützt werden müssen.“

Nachdem die drei Ehrenamtlichen im Achental den Zaun an beiden Seiten abgegangen sind, bringen sie die Tiere in ihren Eimern zum Weiher. Heute ausnahmsweise den ganzen Weg, da auf dem Feld zwischen Straße und Gewässer Mist ausgebracht wurde. Damit ist ihre Schicht für heute beendet. In den Morgenstunden werden andere Helfer kommen und den Übergang wieder kontrollieren.

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