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Über Ärzte kam die 60-Jährige an den Stoff

„Völlig unbeherrschbares, gefährliches Zeug“: Rosenheimer Fentanyl-Dealerin verurteilt

Drogenkonsum (Symbolbild).
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Drogenkonsum (Symbolbild).

Traunstein/Stephanskirchen – Sie hat selbst konsumiert und das Fentanyl aus den Pflastern gelutscht oder ausgekocht und gespritzt. Einer ihrer mutmaßlichen Abnehmer starb an einer Überdosis. Jetzt wurde eine 60-jährige Frau vor dem Landgericht Traunstein verurteilt.

Update, 15.14 Uhr - Rosenheimer Fentanyl-Dealerin verurteilt

Es wird ihr vierter Besuch im Gefängnis. Eine 60-jährige Rosenheimerin wurde am Traunsteiner Landgericht am Dienstag (30. Juli) schuldig gesprochen. Vor allem geht es um gewerbsmäßigen Drogenhandel, aber auch um den Besitz und versuchten Erwerb des Rauschgifts. Für vier Jahre und drei Monate muss die einschlägig vorbestrafte Frau ins Gefängnis.

Ein „Ärzte-Hopping“ habe sie betrieben, wie es der Vorsitzende Richter Volker Ziegler ausdrückte. Bei sieben verschiedenen Ärzten in Gmund am Tegernsee, Marquartstein, Seeon-Seebruck und Berchtesgaden erzählte sie „kreative“ Geschichten über ihre Rückenschmerzen und kam so an rund 250 hoch dosierte Fentanyl-Pflaster.

„Sie war selber schwer abhängig“, so das Gericht: Manchmal kochte sich die Frau das starke Opioid aus und spritze es sich direkt. Meist habe sie die Pflaster aber gelutscht, um die Sucht zu befriedigen. Die andere Hälfte der Pflaster verkaufte sie dann bei Bekannten der Rosenheimer Rauschgiftszene, teils für 100 Euro pro Stück.

Richter Ziegler warnte mehrmals eindringlich vor Fentanyl: „Das ist ein völlig unbeherrschbares, gefährliches Zeug, das die Angeklagte da verbreitet hat.“ Es wirkt 50-mal stärker als Heroin und ist mitverantwortlich für die Opioid-Krise in den USA, die seit vielen Jahren grassiert. Fentanyl ist dort die häufigste Todesursache in der Altersgruppe von 18 bis 45 Jahren.

Auch unter den „Kunden“ der Rosenheimerin war ein Todesfall zu beklagen. Ende August 2023 setzte sich ein Mann vom Waginger See eine Überdosis mit verschiedensten Drogen, unter anderem Fentanyl. Kurz davor kaufte er von der Angeklagten mindestens drei Pflaster. Ganz allgemein sprach der Vorsitzende Richter von einem „abgestumpften und skrupellosen“ Verhalten im Drogenmilieu.

In der Bewertung waren sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit Rechtsanwalt Andreas Leicher relativ einig. Sie forderten viereinhalb bzw. vier Jahre Haft.

Das jüngste Urteil gegen die Rosenheimerin ist nicht lange her: Anfang 2018 wurde sie ebenfalls vor dem Landgericht schon einmal zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Fast 5000 Fentanyl-Pflaster waren es damals, die sie sich bei Ärzten erschlich. Das heutige Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Update, 13.40 - Hälfte der Pflaster für den Eigenkonsum

Nach der Staatsanwaltschaft eröffnete auch Verteidiger Andreas Leicher das Plädoyer. Er erläuterte, dass das Gericht zunächst davon ausging, dass ein Drittel des verschafften Fentanyls für den Eigenkonsum benötigt wurde. Die jahrelang Drogenabhängige gab jedoch an, dass sie die Fentanyl-Pflaster regelmäßig lutschte und sich nicht gespritzt hatte. Um durchs Lutschen eine Wirkung der Pflaster zu spüren, müsste eine größere Menge genommen werden. Dadurch muss die Hälfte der Pflaster für den Eigenkonsum gedacht gewesen sein. Das bestätigte auch der psychiatrische Gutachter.

Durch ihren circa 40-jährigen Drogenkonsum gilt seine Mandantin als „stark drogenabhängig“, was auch das ebenso psychiatrische Gutachten bestätigen konnte. Die Verteidigung plädiert für eine vierjährige Haftstrafe, statt der viereinhalb Jahre, die die Staatsanwaltschaft forderte. Denn ihre Abnehmer hatten selbst schon jahrelange Erfahrung mit Fentanyl und waren ebenfalls massiv drogenabhängig.  

Der Angeklagten ist ebenfalls positiv anzurechnen, dass sie sich reuig und geständig zeigte. So konnte eine Verlängerung des Prozesses verhindert werden, da verschiedene Zeugen aus der Drogenszene nicht auftauchten. Deshalb habe das Geständnis einen hohen Wert, so Leicher.

Andreas Leicher zieht ebenso Ärzte und Krankenkasse in die Verantwortung. Die leichtfertige Verschreibung der Rezepte für Fentanyl-Pflaster habe ihr die Beschaffung äußerst leicht gemacht. Dass die Krankenkasse ebenfalls nicht aufmerksam wurde, ist auch „mindestens fraglich“. Der Verteidiger plädiert zudem für eine verminderte Schuldfähigkeit für seine Mandantin, aufgrund ihrer starken und jahrzehntelangen Drogenabhängigkeit.

Update, 12.40 Uhr – Handel in mindestens 18 Fällen

Seit Jahren schwerst abhängig“, so beschreibt die Staatsanwältin die 60 Jahre alte Frau auf der Anklagebank – etwa die Hälfte der 260 Fentanyl-Pflaster, die sie sich zwischen August 2022 und Februar 2023 bei Ärzten der Region besorgt hatte, habe sie selbst konsumiert. Die andere Hälfte sei „fleißig verteilt“ worden, so die Staatsanwältin.

Über einige Jahre sei der Pflasterverkauf für die Rosenheimerin eine stabile Einnahmequelle gewesen, meint die Staatsanwaltschaft. Eine Erwerbsarbeit hatte die Frau nicht. Die Staatsanwaltschaft spricht deshalb von einem gewerbsmäßigen Handel in mindestens 18 Fällen. Die Kunden: allesamt Bekannte der Frau aus der Rosenheimer Rauschgiftszene.

Aber es sei nicht nur ums Geld gegangen: Auch Schlafplätze oder Fahrdienste zu den Ärzten hätte sie bekommen. Eine „Anlaufstelle für Fentanyl-Pflaster in Rosenheim“ sei die Angeklagte gewesen. Einer ihrer Bekannten sagte als Zeuge, nach der Verhaftung der Frau sei man geschockt gewesen und hätte sich „umorientieren“ müssen. Die 60-Jährige ist vielfach einschlägig vorbestraft und saß schon dreimal im Gefängnis.

„Fentanyl ist die vielleicht gefährlichste Droge überhaupt“, so die Staatsanwältin – wesentlich stärker als Heroin und mit unkalkulierbaren Risiken behaftet. Vom Elend und Todesfällen in ihrem Umfeld habe sich die Angeklagte nicht beeindrucken lassen. Nach rund 40 Jahren Sucht schätzt die Staatsanwaltschaft die Erfolgsaussichten einer Therapie als „sehr bescheiden“ ein. Gefordert werden vier Jahre und sechs Monate Haft

Update, 11 Uhr – Plädoyers und Urteil erwartet

Eine bislang ungeklärte Frage löst sich jetzt nach und nach: Hat die Angeklagte mit ihren Fentanyl-Pflastern auch gedealt? Die Polizei hörte Telefonate der 60-Jährigen ab, die Richter Volker Ziegler jetzt verliest – und da ergibt sich ein deutliches Bild. Mit etlichen Bekannten stand sie in Kontakt, um Pflaster zu verkaufen. „Wenn die Angeklagte anruft, braucht man keinen Arzt mehr“, bemerkt Ziegler süffisant.

In einem Fall sagte die Frau zu einem „Kunden“, dass sie erst morgen einen Termin bei ihrem Berchtesgadener Arzt habe und ihn erst dann versorgen könne. „Die ist normal echt zuverlässig“, habe ein Bekannter geschrieben, der der Rosenheimerin regelmäßig Fentanyl-Pflaster abkaufte. Richter Ziegler schätzt, dass sie ungefähr die Hälfte der Pflaster weiterverkaufte.

Außerdem liegt dem Gericht die „Buchführung“ der Frau vor: Private Notizen, in denen sie die Umsätze und Restschulden ihrer „Kunden“ festhielt. Auch Fotos aus der Rosenheimer Wohnung werden gezeigt, nachdem die 60-Jährige dort am 13. Februar festgenommen wurde. Die Polizei kam unangemeldet, die Tür wurde gewaltsam geöffnet.

Drogen, Spritzbesteck, Löffel sieht man wild auf dem Tisch verteilt. Man erwischte die Angeklagte mit einigen Bekannten in flagranti. Spritzen waren bereits aufgezogen, die Runde mitten im Konsum. Heute werden auch noch Plädoyers und Urteil erwartet.

Erstmeldung:

Das Urteil am heutigen Dienstag (30. Juli) gegen eine 60-Jährige wird nicht das erste am Landgericht sein: Schon 2018 setzte es ein Urteil gegen die gebürtige Stephanskirchenerin, weil sie sich bei verschiedensten Ärzten tausende Fentanyl-Pflaster ergaunerte. Jetzt wirft ihr die Staatsanwaltschaft wieder dieselben Taten vor: Über Ärzte in Gmund am Tegernsee, Marquartstein, Seeon-Seebruck und Berchtesgaden soll sie an 260 Pflaster des hochdosierten Schmerzmittels gekommen sein.

Die Frau mit einer langen Drogenvorgeschichte konsumierte das Fentanyl selbst, indem sie die Pflaster lutschte oder auskochte und sich das Mittel dann spritzte. Es gilt als 50-mal stärker als Heroin und ist in den USA seit Jahren für die dortige Opiod-Krise mitverantwortlich. Laut Staatsanwaltschaft hat sie aber im Rosenheimer Raum aber auch einen „schwunghaften Handel“ mit den Pflastern in der Drogenszene betrieben. 100 Euro pro Stück habe sie verlangt. Einer ihrer Kunden bezeichnete die 60-Jährige als „größte Fentanyl-Dealerin im Raum Rosenheim“, so ein Kripo-Mann.

Polizist: Drogen waren ihr „gesamter Lebensinhalt“

Bisher war die Frau teils geständig. Den Betrug bei den Ärzten und den Konsum räumte sie ein. Auch, dass an ihre Postadresse Amphetamin („Speed“) und Ecstasy-Tabletten geschickt wurden. Doch welche Rolle spielte der Handel? Die Beweisaufnahme konnte am Montag abgeschlossen werden. Am Dienstag wird der Prozess ab 9 Uhr fortgesetzt, am Traunsteiner Landgericht wird ein Urteil gesprochen. Vor ihrer Festnahme heuer im Februar überwachte die Polizei über Monate ihr Telefon. In „unzähligen“ Gesprächen sei es „fast immer“ um Drogen gegangen, so ein Polizist: „Das war der gesamte Lebensinhalt.“

Erschwerend kommt hinzu: Ein mutmaßlicher Kunde der 60-Jährigen starb im August vorigen Jahres an einer Überdosis. In der Spritze des Mannes vom Waginger See wurde auch Fentanyl festgestellt. Laut Staatsanwaltschaft kaufte er von der Angeklagten zuvor drei Fentanyl-Pflaster. rosenheim24.de wird aktuell vom Prozess berichten. (xe)

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