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Ultimativer Selbsttest in Siegsdorf und Bergen

Mitfahrbankerl: „Gute Idee, funktioniert aber nirgends“ – oder doch?

Bianca Ebert und auf einem Mitfahrbankerl in Bergen
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Der ultimative Mitfahrbankerl-Test: Wir starten in Bergen bei Sonnenschein und hoch motiviert. Bianca Ebert (rechts) begleitet mich freundlicherweise bei unserer Challenge.

Wir haben es eilig, denn: Das Wetterfenster am Freitag (5. Mai) ist eng, ein Gewitter ist angekündigt. Seit April gibt es nun auch in Bergen die sogenannten Mitfahrbankerl. In der Gemeinde Siegsdorf stehen sie schon länger. Wir wollen testen, ob uns jemand mitnimmt. Kritik an der Idee in den sozialen Netzwerken im Vorfeld verunsichern uns. Werden wir bei Gewitter stundenlang im Regen stehen gelassen? War die Installation der Bankerl wirklich nur Image-Pflege?

Bergen – So ist das natürlich eigentlich nicht gedacht: Wir reisen mit dem Auto an und parken vor dem Bergener Rathaus. Im Gepäck haben wir trotz Sonnenschein regenfeste Kleidung und gute Laune. Ein bisschen fühlt es sich an wie früher: Mit einer Freundin aufs Konzert oder in den Urlaub trampen. Das ist lange her und Tramper sehe ich heutzutage sehr selten. Per Anhalter zum Bahnhof oder in die Nachbargemeinde? Die verklärten Bilder eines witzigen Roadtrips verschwinden und realistische Erinnerungen werden wach. Man steht im Regen, es ist kalt, dutzende Autos fahren einfach an einem vorbei. Keine Chance, irgendwo pünktlich anzukommen.

Mitfahrbankerl sollen Mobilität verbessern

In Siegsdorf und Bergen haben die Gemeinden jetzt sogenannte Mitfahrbankerl aufgestellt. Auf der Facebook-Seite der Gemeinde Bergen stellen die Initiatoren die Idee hinter den Bankerln vor: „Die Bankerl in Bergen werden an Orten, die mit dem ÖPNV schlecht oder am Wochenende gar nicht erreichbar sind, aufgestellt. Die »Mitfahr-Bankerl« sind mit Schildern ausgestattet, um die gewünschten Zielorte oder Richtungen anzuzeigen, wenn mitfahrwillige Bürger auf den Bänken hoffentlich nicht gar zu lange auf mitnahmebereite Autofahrer warten.“

Kritische Stimmen zum Mitfahrbankerl aus dem Netz

Tolle Idee, möchte man meinen. Die Mitfahrbankerl ermöglichen Bürgern ohne Auto mehr Mobilität und durch die Fahrgemeinschaften wird auch noch was für die Umwelt getan. Und viele Kommentare zu den Mitfahrbankerl auf Facebook bestätigen auch, dass die Initiative ankommt: „Super Sache“ und „Vielen Dank“ ist da unter dem Post der Gemeinde zu lesen.

Viele positive Kommentare kann man unter dem Facebook-Post der Gemeinde Bergen zu den Mitfahrbankerl lesen.

Aber: Es gibt auch viele kritische Stimmen in den sozialen Netzwerken: „Eigentlich eine gute Idee. Funktioniert nur leider nirgends. Man sieht nie jemand dort einsteigen. Daher eher PR. Schade!“ schreibt eine Frau in einer lokalen Facebook-Gruppe. Eine andere gibt zu bedenken: „Wenn ich irgendwo hin will, dann soll das auch einigermaßen planbar sein. Die Zeit, ‘ne Stunde hier und da zu warten, ist nicht unbedingt drin.“ Und ein Mann bringt noch ein ganz anderes Thema auf: „Ich halte die Dinger für gefährlich. Wie oft musste man früher vor Trampern warnen und vor denen, die Tramper mitgenommen haben.“

Mitfahrbankerl: Der Selbsttest beginnt in Bergen am Rathaus

13.17 Uhr: Wir starten. Im Gepäck nun neben Regenjacke und guter Laune auch Zweifel und Fragen. Die Bank steht gegenüber des Bergener Rathauses und wir machen es uns gemütlich - rechnen nicht damit, dass wir sofort mitgenommen werden. Wir wollen es den Autofahrern einfach machen und wählen als erstes Ziel Vachendorf aus. Freitagnachmittag fahren sicher einige aus Bergen Richtung Traunstein nach der Arbeit. Hier können auch die Autos gut halten, da gleich hinter der Bank eine Parkplatzeinfahrt ist.

Der ultimative Mitfahrbankerl-Test: Wir starten in Bergen bei Sonnenschein und hoch motiviert. Bianca Ebert (rechts) begleitet mich freundlicherweise bei unserer Challenge.

Nur sieben Minuten: Isabell, eine junge Mutter, nimmt uns mit

13.25 Uhr: Unglaublich. Wir hätten es uns nicht gemütlich machen müssen. Nur schlanke sieben Minuten saßen wir auf dem Mitfahrbankerl und schon hält ein Auto an. Es ist Isabell, eine junge Frau. Sie muss noch kurz die Kindersachen von der Rückbank räumen, damit wir Platz im Auto haben. Wir sind begeistert. Sie kommt gerade von der Arbeit und holt ihre Tochter im Kindergarten in Vachendorf ab. Wir dürfen mitfahren und kommen ins Gespräch.

Von Bergen nach Vachendorf mit Isabell. Weil es in Vachendorf kein Mitfahrbankerl gab, hat uns (links im Bild Bianca Ebert) die junge Mutter (im Auto) freundlicherweise dann gleich wieder mit zurück nach Bergen genommen.

„Ich habe jetzt schon mehrmals Leute mitgenommen vom Bankerl: Einmal ein älteres Ehepaar und einmal eine Frau, die mit Einkäufen unterwegs war, da dachte ich mir, die Arme, und hab sie mitgenommen.“ Isabell fragt, wo wir rauswollen. Eigentlich am Mitfahrbankerl in Vachendorf: „In Vachendorf gibt es, glaube ich, kein Mitfahrbankerl“, überlegt Isabell. Kurzerhand nimmt sie uns, nachdem sie ihre Tochter eingesammelt hat, wieder mit zurück nach Bergen. Es gibt also nicht an allen Zielorten, die man in Bergen mit dem entsprechenden Schild hochhalten kann, auch Mitfahrbankerl.

Bianca (links) und ich werden mutiger: Diesmal soll es nach Siegsdorf gehen. Da gibt es auch auf jeden Fall wieder ein Bankerl, um zurückzukommen.

Neues Ziel: Von Bergen nach Siegsdorf mit Beate

13.45 Uhr: Nach nur 20 Minuten auf der Bank hält Beate Mayer (Name von der Redaktion geändert) an. Sie fährt die Strecke Bergen - Siegsdorf oft. Und für sie ist es ganz selbstverständlich, Anhalter mitzunehmen: „Ich nehme zum Beispiel prinzipiell, wenn ich sehe, da geht einer vom Dorf in Bergen zum Bahnhof in Bernhaupten und der trägt schwer oder so, dann frag’ ich immer, ob er mitfahren will. Ich weiß, dass da die Verbindung nicht so günstig ist.“

Vom Mitfahrbankerl hätte sie noch nie jemand mitgenommen. Das läge schlicht daran, dass da nie jemand saß, wenn sie vorbeikam. Beate äußert auch Bedenken bezüglich der Versicherung: „Ich finde die Idee ganz gut, wobei ich nicht weiß, wie das dann mit der Versicherung ist. Weil, mal angenommen ich verursache jetzt einen Unfall, und einem von euch passiert was, wer ist dann verantwortlich?“ Sie wird auch in Zukunft trotz Bedenken Anhalter mitnehmen.

Zurück nach Bergen geht es schnell: Mit dem Geschäftsmann Gunther Geisenfelder

14.39 Uhr: Wir machen eine kurze Pause und kehren in der Eisdiele am Kreisverkehr bei Siegsdorf ein. Auch das Bankerl in Fahrtrichtung Bergen steht direkt am Kreisverkehr. Wir zweifeln wieder: Für Autos bedeutet hier anzuhalten, dass der nachkommende Verkehr warten muss. Und dennoch: Diesmal dauert es nur zwei Minuten. Wir schaffen gerade noch, das Foto zu knipsen und da hält schon wieder jemand an: Gunther Geisenfelder. Auch für ihn ist die Mitnahme vom Mitfahrbankerl Premiere.

Beim Kreisverkehr in Siegsdorf ist es für die Autofahrer nicht leicht anzuhalten. Wir warten dennoch nur zwei Minuten.

„Jetzt mit den Mitfahrbankerl, wo man genau sieht, wo die Leute hinwollen, finde ich, das ist eine gute Lösung.“ Früher hätte er auch öfter mal Tramper mitgenommen, das sei aber schon länger her. Gunther Geisenfelder kommt gerade von einem Geschäftstreffen aus Oslo – trotz der langen Reise nimmt er uns mit zurück nach Bergen.

Unser Fazit: Drei Orte und drei Menschen in eineinhalb Stunden

14.47 Uhr: Wir sind zurück in Bergen und haben unseren Ausgangspunkt erreicht. Wir sind in eineinhalb Stunden gut rumgekommen: Bergen-Vachendorf-Bergen-Siegsdorf-Bergen. Unser Fazit: An diesem Freitagnachmittag hat das mit den Mitfahrbankerl wirklich sehr gut funktioniert. Wir wurden von insgesamt drei Autos mitgenommen. Es waren ganz unterschiedliche Menschen. Eine junge Mutter, eine couragierte Bergnerin und ein einheimischer Geschäftsmann.

Offene Fragen: Weitere Bankerl, Versicherung, Sicherheit?

Es bleiben einige Fragen offen: Warum gibt es keine Mitfahrbankerl an allen Zielorten? Wer zahlt, wenn während der Fahrt ein Unfall geschieht? Und dann noch die Frage der Sicherheit? Uns haben von drei Autos, zweimal Frauen mitgenommen. Die beiden haben wir auch gefragt, ob sie Männer mitnehmen würden. Sowohl Isabell als auch Beate machen das spontan über Sympathie, würden es aber nicht ausschließen.

Antwort auf Kritik: „Wichtig, dass man einfach mal anfängt.“

Mit unserem, sehr positiven Ergebnis, aber auch den offenen Fragen, haben wir den Leiter des Tourismusverbundes Bergen-Siegsdorf, Wolfgang Helldobler und den Bergener Bürgermeister Stefan Schneider (Grüne) konfrontiert. Beide haben sich zunächst über unseren Selbsttest gefreut. Wie reagieren sie auf die, in den sozialen Medien geäußerte Kritik?: „Wir diskutieren sehr viel, wir machen alles gut, oder schlecht, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man einfach mal anfängt und was macht.“ Er hofft, dass man unter anderem mit den Mitfahrbankerln in der Gesellschaft zum Umdenken beitragen kann: „Wir brauchen ja nicht immer noch mehr Autos und immer noch mehr Individualverkehr.“

Der Bergener Bürgermeister Stefan Schneider (Grüne) freut sich über unser Feedback zu den Mitfahrbankerl. Er will dazu beitragen, die Mobilität in der Region zu verbessern und den Individualverkehr zu senken.

Wird es auch in anderen Orten weitere Mitfahrbankerl geben?

Auf die Frage, warum es denn weder in Vachendorf, noch in Traunstein Mitfahrbankerl gibt und man dann ja nicht wieder zurückkommt, antwortet Wolfgang Helldobler vom Tourismusverbund: „In Vachendorf, die sind bei uns in der Verwaltungsgemeinschaft mit drin, da könnte ich mir das vorstellen, dass man da zumindest ein Bankerl aufstellt, da werden wir nachfragen.“ Im Fokus wäre jetzt erst mal gestanden, Siegsdorf und Bergen besser zu vernetzten, da es „keine ÖPNV-Verbindung von Siegsdorf nach Bergen gibt.

Wolfgang Helldobler, der Leiter des Tourismusverbundes Bergen - Siegsdorf möchte die Mitfahrbankerl noch mehr publik machen. Demnächst erscheint ein Flyer mit allen Standorten der Bankerl und weitere Aktionen seien geplant.

Kfz-Versicherung greift auch beim Mitfahrer

Gut zu wissen ist auch: Beate Mayer muss sich künftig keine Gedanken mehr machen, was die Versicherung angeht. Bei einem Unfall mit Personenschaden würde die ganz normale Kfz-Haftpflicht des Autofahrers auch für den Mitfahrer greifen. Auch das, so Helldobler, habe man im Vorfeld bedacht: „Da passiert überhaupt nichts, das haben wir auch durch einen Rechtsanwalt prüfen lassen, das ist kein Problem.“ Er verweist in diesem Zuge auch nochmal darauf, dass demnächst noch eine Infobroschüre veröffentlicht wird: Darin sind dann alle Mitfahrbankerl auf einer Karte übersichtlich dargestellt. Und auch das mit der Versicherung wird darin nochmal erklärt.

„Hundertprozentige Sicherheit kann keiner geben“

Was ist mit der Sicherheit? Gerade als Frau allein ist das doch schon gefährlich?: „Was soll ich dazu sagen, es ist auch gefährlich, wenn ich als Frau allein nachts durch den Stadtpark laufe. Es ist ja keiner gezwungen, das zu machen. Eine hundertprozentige Sicherheit kann da keiner geben.“ Helldobler hatte auch darüber nachgedacht, ein Registriersystem zu etablieren: „Wir haben überlegt, so eine Art Vignetten-Pickerl zu machen, dass die Leute sich mit Autonummer und Namen registrieren. Auf dem Aufkleber steht dann sowas wie Ich-bin-Mitfahrbankerl-Fahrer.“ Die Befürchtung war, dass das den Leuten aber zu kompliziert sei: „Die Frage ist, wer macht das? Wenn ich das schon wieder so verkompliziere, drückt das nur die Nutzung nach unten.“ Bei Touristen zum Beispiel, die gar nicht aus der Region sind, würde das keinen Sinn machen.

Wir von chiemgau24.de können nach unserem Selbsttest nicht umhin: Das Mitfahrbankerl-Prinzip hat bei uns super funktioniert. Wer sich traut, sollte unbedingt bei der nächsten Autofahrt mal auf die gelben Bankerl schauen. Vielleicht sitzt da jemand, der sich sehr darüber freut, mitgenommen zu werden. Und auch für die Leute ohne Auto: Das Mitfahrbankerl klappt besser als sein Ruf das vermuten lässt.

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