Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haft
Frust über Abgeschiedenheit in Seegatterl: Urteil zu angezündetem Asylheim jetzt gefallen
Traunstein/Reit im Winkl – Er wollte nach Traunstein oder noch viel lieber nach Berlin - und zündete deshalb wohl „seine“ Flüchtlingsunterkunft in Seegatterl bei Reit im Winkl an: Nun ist das Urteil gegen einen 33-jährigen Asylbewerber am Landgericht gefallen.
Update, 16.06 Uhr – Urteil im Prozess gefallen
Volker Ziegler, der Vorsitzende Richter in dem Fall, hat das Urteil gesprochen: Der 33-jährige Afghane muss für elf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Fürs Gericht steht, auch wegen des Geständnisses, fest, dass er am 14. November 2023 das Asylbewerberheim in Seegatterl bei Reit im Winkl angezündet hat. Der ehemalige Bewohner der Unterkunft wurde wegen versuchten Mordes, besonders schwerer Brandstiftung und Körperverletzung schuldig gesprochen.
Das Motiv: Frust über die Abgeschiedenheit des Asylheims in Seegatterl, zwischen Reit im Winkl und Ruhpolding gelegen. „Er wollte nach Traunstein verlegt werden. Und das hat er rücksichtslos durchgesetzt“, so Richter Ziegler. Vier Mitbewohner befanden sich in dem ehemaligen Hotel nahe der Bergbahn. Einer verletzte sich beim Sprung vom Balkon schwer. Nur durch Zufall sei niemand zu Tode gekommen, so das Traunsteiner Landgericht.
Die Staatsanwaltschaft forderte im Plädoyer sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe und erkannte eine besondere Schwere der Schuld. Der 33-Jährige legte das Feuer im Eingangsbereich, an der ehemaligen Hotelrezeption. Doch die Flammen griffen so schnell um sich, dass sich ein Vollbrand entwickelte. Die Feuerwehr war beim Eintreffen chancenlos, konnte nur noch ein Übergreifen auf weitere Gebäudeteile verhindern.
2016 kam der Mann aus Afghanistan nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, aber er war geduldet. Früher arbeitete der 33-Jährige als Autolackierer und im Krankenhaus als „Bettenschieber“. In Seegatterl war er erst gut einen Monat untergebracht. Die Ruine in Seegatterl wurde noch immer nicht beseitigt. Der Eigentümer verstarb zwischenzeitlich, direkte Erben gibt es nicht. Das ehemalige Hotel ging daher in den Besitz des Freistaats Bayern über.
Update, 14.34 Uhr – Staatsanwalt fordert lebenslange Haft
Die Plädoyers sind gehalten – und Staatsanwalt Markus Andrä fordert für den 33-Jährigen nichts weniger als lebenslange Haft. Weil er eine besondere Schwere der Schuld erkennt, würde erst nach 15 Jahren geprüft, ob der Angeklagte auf Bewährung aus dem Gefängnis kommen könnte. Es sind also mindestens 15 Jahre, auf die Andrä plädiert.
Versuchten Mord, besonders schwere Brandstiftung und Körperverletzung sieht die Staatsanwaltschaft als erwiesen. „Ziel war es, das Gebäude zu zerstören. Der Angeklagte wollte seine Verlegung nach Traunstein erpressen“, so Staatsanwalt Markus Andrä. Auch wenn es nicht die Absicht des Afghanen gewesen sein mag, aber den Tod der vier Mitbewohner habe er billigend in Kauf genommen.
Weil die Gänge und das Treppenhaus voller Rauch waren, musste ein Mitbewohner aus dem ersten Stock springen und erlitt eine Wirbelfraktur. Der Angeklagte habe weder die Absicht gehabt, seine Mitbewohner zu verletzen, noch habe er damit rechnen können, meint dagegen Verteidiger Roland Netzer: „Er wollte die Bewohner nicht schädigen.“
Anwalt Netzer lenkt den Fokus auf das „marode“ Haus in Seegatterl: „Dieses alte Hotel gammelte vor sich hin. Jeder Brandschutzbeauftragte würde sowas zusperren.“ Die ganze Situation für die Asylbewerber in dem abgeschiedenen Reit im Winkler Ortsteil beschreibt Netzer als „elend“. Der Afghane auf der Anklagebank habe gedacht, er handle im Sinne von allen Bewohnern.
Der Verteidiger stellt keinen konkreten Antrag ans Gericht. Schuldig sieht er seinen Mandanten aber „nur“ wegen besonders schwerer Brandstiftung und fahrlässiger Körperverletzung. Einen Mordversuch erkennt Netzer nicht. Das Urteil wird noch am heutigen Nachmittag gesprochen.
Brand von Asylbewerberheim in Seegatterl (Reit im Winkl) - Altes Hotel wird zur Ruine




Update, 10.40 Uhr – „Er erlebte die Unterkunft in Seegatterl wie ein Gefängnis“
Nun ist der psychiatrische Gutachter am Zug. Er hat im Vorfeld des Prozesses ausführlich mit dem Angeklagten gesprochen – auch zum Motiv. „Der Angeklagte wollte aus Reit im Winkl wegkommen, sein Ziel war Traunstein“, so der Sachverständige. Die Unterkunft in Seegatterl habe er „erlebt, wie ein Gefängnis“, ein „furchtbarer Ort“ sei es für den Angeklagten gewesen.
Die Brandstiftung habe der Mann deshalb zum Teil auch als „gute Tat“ gesehen. Denn auch seine Mitbewohner seien in der abgelegenen Unterkunft, die zwischen Reit im Winkl und Ruhpolding liegt, unzufrieden gewesen. „Er sagte mir, es war ihm wichtig, das Feuer dort zu legen, wo sich niemand aufhält, damit niemand zu Schaden kommt“, so der Sachverständige.
Auch ein Beamter der Kriminalpolizei sagt als Zeuge aus: „Als ich am Gebäude angekommen bin, war nicht mehr viel zu holen. Es hat schon heftigst gebrannt.“ Drei Tage später kehrte man zurück und fand eine „halb abgebrannte Ruine“ vor. Ein roter Plastikdeckel eines Benzinkanisters fiel dem Polizisten schnell auf. Und: Brandmittelhund „Pit“ erschnüffelte überall im Eingangsbereich Benzinreste.
Im Prozess gegen den 33-Jährigen dürfte am heutigen Dienstag auch noch ein Urteil fallen.
Vorbericht
Die Schuldfrage klärte sich im Prozess gegen einen 33 Jahre alten Mann aus Afghanistan sehr schnell: Am ersten Verhandlungstag vorige Woche war er gleich voll geständig. Am 14. November 2023 verschüttete und entzündete er in der Flüchtlingsunterkunft in Seegatterl Benzin. Das Feuer griff schnell um sich. Einer der vier Mitbewohner, die sich gerade im Haus aufhielten, sprang aus dem ersten Stock und verletzte sich schwer. Als die Feuerwehr an Ort und Stelle eintraf, stand das ehemalige Hotel bereits in Vollbrand. Der Sachschaden lag bei rund 700.000 Euro.
„Ich habe meinen Mitbewohnern gesagt, sie sollen froh sein wegen des Brandes. Jetzt kommen wir nach Traunstein“, lieferte der Angeklagte auch gleich eine Erklärung mit: „Ich wollte dort weg.“ Das Asylbewerberheim läge an einem der abgelegensten Orte im ganzen Landkreis. Gut zwei Monate lebte der 33-Jährige zur Tatzeit in Seegatterl. Schon öfters habe er es auf offiziellem Weg vergeblich probiert, verlegt zu werden. Der Wunschort des Angeklagten wäre Berlin gewesen.
Am heutigen Dienstag (25. Juni) wird der Prozess am Traunsteiner Landgericht ab 9 Uhr fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann nicht nur versuchten Mord, sondern auch Körperverletzung und besonders schwere Brandstiftung vor.
chiemgau24.de wird aktuell vom Prozess berichten.
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