Trauriges Jubiläum
Zwischen Angst und Sorge: Wie das Hochwasser einer Rosenheimerin fast alles genommen hat
Überspülte Deiche, vollgelaufene Keller und zerstörte Existenzen: Das Hochwasser im Juni 2013 hat Teile Rosenheims und Kolbermoor verwüstet. Auch zehn Jahre nach der Katastrophe kommen die Erinnerungen bei den Betroffen noch hoch, so wie bei Susanne Haidacher aus Oberwöhr. Uns erzählt sie, wie sie die Katastrophe überstanden hat.
Oberwöhr - Das Wasser kam an einem Sonntag. Daran kann sich Susanne Haidacher noch genau erinnern. Sie habe gerade auf dem Sofa gelegen und sich die Meisterfeier des FC Bayern München im Fernsehen angeschaut. Draußen regnete es. Und das schon seit Tagen. „Ich habe gar nicht so richtig wahrgenommen, was da auf uns zukommen könnte“, sagt Haidacher.
Doch nach und nach stieg auch bei ihr die Nervosität. Spätestens als Polizisten durch Oberwöhr fuhren und die Anwohner per Lautsprecher aufforderten, ihre Autos aus den Tiefgaragen zu holen. Kurze Zeit später fiel der Strom aus.
Trockner und Waschmaschine werden gerettet
Zu diesem Zeitpunkt war Susanne Haidachers Mann bereits auf dem Weg zum Bauhof, um die letzten übriggebliebenen Sandsäcke ins Auto zu laden. „Wir haben noch versucht, die wichtigsten Sachen aus dem Keller zu holen“, erinnert sich Haidacher. Trockner und Waschmaschine konnten sie gerade noch die Treppen hochschleppen, Sofa und Sessel hoben sie auf den Couchtisch.
Während ihr Mann noch versuchte, die Kellerfenster mit Panzerklebeband abzudichten, drückte das Wasser bereits von außen gegen die Scheiben. „Unser Keller ist ruckzuck vollgelaufen“, sagt Haidacher. Über den Boden eines Erkers suchte sich die braune Schmutzbrühe schließlich den Weg ins Wohnzimmer.
Susanne Haidacher sitzt in den Räumen des Bayerischen Roten Kreuzes an der Tegernseestraße, klickt sich durch die Bilder auf ihrem Computer. Kurz hält sie inne, zeigt auf Fotos, in denen das Wasser knietief im Wohnzimmer steht. Sie erzählt von dem eiskalten Wasser und den aufgeplatzten Fließen. Von dem Heizkessel, den es aus der Verankerung gerissen und quer durch den Keller gespült hat.
Verlust zahlreicher Erinnerungsstücke
„Es ist sehr viel kaputt gegangen“, sagt Haidacher. Rucksäcke und Bergjacken, Wintermäntel und Stiefel, Koffer und Sportzeug. Noch schlimmer sei der Verlust der Erinnerungsstücke gewesen. Das Brautkleid, alte Fotos, die Eisenbahn aus den Jugendtagen ihres Mannes, Christbaumschmuck und Osterdeko. All das schwamm in einer braunen Brühe – zwischen Lego-Bausteinen, Nudeln und Weinflaschen. Susanne Haidacher und ihre Familie saßen währenddessen im ersten Stock und verfolgten die Nachrichten über ein batteriebetriebenes Radio.
„Nach zwei Tagen war das Wasser verschwunden“, sagt Susanne Haidacher. Was blieb, waren immense Schäden – und jede Menge Arbeit. Der Keller musste leergepumpt, die durchnässten und verdreckten Habseligkeiten der Familie sortiert werden. Ein Teil konnte gerettet werden, der Rest landete auf dem Sperrmüll. Sie klickt weiter durch die Bilder, bleibt an einem hängen, auf dem sich Müllsäcke, Planen und Überreste von Möbeln in Haufen rund um das Haus stapelten.
„Noch schlimmer waren die Schäden am Haus“, erinnert sich Haidacher. Die Küche und das Parkett im Wohnzimmer mussten ersetzt, Türen und Fenster repariert werden. Es folgten Maler- und Putzarbeiten und die Installation einer neuen Heizungsanlage. „Wir haben drei bis vier Monate auf einer Baustelle gelebt“, sagt sie. Verschlimmert wurde die Situation durch die zahlreichen Bautrockner, die im Keller und im Erdgeschoss aufgestellt werden mussten. „Die Trockner haben nicht nur unheimlich viel Krach gemacht, es war auch wahnsinnig heiß“, sagt Haidacher.
Von der Versicherung abgelehnt
Gegessen hat die dreiköpfige Familie mehrere Wochen lang an einer Bierbankgarnitur, gekocht auf einem Plattenherd. „Trotzdem sind wir froh, dass nicht mehr passiert ist“, sagt sie. Denn, auch das betont sie während des Gesprächs, jammern will sie auf keinen Fall. Trotz des Schadens in sechsstelliger Höhe. Einen Teil davon bekamen sie über Spenden zurück, vieles musste die Familie aus eigener Tasche bezahlen. Denn von der Versicherung wurden sie damals aufgrund der Lage in einem Hochwassergebiet abgelehnt.
Zehn Jahre später erinnert wohl kaum noch etwas im Haus der Familie Haidacher an das Hochwasser. Aber die Erinnerungen bleiben. Und die Sorge kommt zurück, wenn es mehrere Tage hintereinander regnet. „Die Angst vor dem Wasser treibt die Leute um. Dass so etwas passieren könnte, hätte sich niemand vorstellen können.“ Bis das Wasser an einem Sonntag im Juni 2013 durch Türen und Fenster drückte und die Welt der Familie Haidacher auf den Kopf stellte.




