„Lebenserfahrung ist ein Schatz“
Gstadterin lässt sich mit 58 Jahren zur Pflegerin umschulen - zur Freude ihres neuen Chefs
„Mich haut so schnell nichts aus den Socken”, erklärt Barbara Hochwarter aus Gstadt. Sie ist 62 Jahre alt und hat kurz vor ihrem 60. Geburtstag beruflich umgesattelt. Warum sich gerade für ältere Menschen in einigen Arbeitsbereichen tolle Chancen auftun.
Gstadt – Mitarbeiter ab 60 willkommen – mit dieser Botschaft werden ältere Arbeitssuchende nur selten überrascht. Eine Ausnahme findet sich im Bereich Betreuung und Pflege. Barbara Hochwarter aus Gstadt ist ein Beispiel dafür. Sie ist 62 Jahre alt und hat kurz vor ihrem 60. Geburtstag noch umgesattelt. Über diese Entscheidung ist sie glücklich, wie sie sagt. Auch ihr neuer Arbeitgeber weiß, was er in der Behindertenbetreuung an der älteren Mitarbeiterin und ihren weiteren neun Kolleginnen jenseits der 60 hat.
Schulung zur Pflegekraft gemacht
„Ich war vorher 30 Jahre lang in einem Kinderheim am Chiemsee beschäftigt. Nach mehreren Wechseln in der Leitung hat es für mich nicht mehr gepasst und ich habe eine neue Arbeit gesucht“, erzählt die Sozialpädagogin. Sie stieg in die Behindertenbetreuung beim Priener Dienstleister Mayr-Reif-Scheck Ambulante Pflege und Betreuung ein. „Damit ich die Bewohner in der Wohnanlage auch pflegen kann, habe ich in der Firma eine Schulung zur Pflegekraft gemacht“, so die Gstadterin. Pflege, das sei schon etwas anderes als ihre frühere Arbeit, ergänzt sie. Im Wesentlichen arbeite sie aber auch hier mit Menschen zusammen, und dabei sei ihr Alter kein Hindernis, sondern ein Vorteil.
Die Lebenserfahrung gleicht viel aus
„Mich haut so schnell nichts aus den Socken“, lächelt die 62-Jährige. Sie sehe ihr Alter auf jeden Fall als Vorteil. „Mit vielen Situationen kann ich wesentlich gelassener umgehen als Neueinsteiger oder junge Kollegen. Wird es schwierig, tue ich mir leicht, souverän zu reagieren“, beschreibt Barbara Hochwarter. Sicherlich werde die Lebensenergie weniger, doch die Lebenserfahrung gleiche viel aus. „Wo ich als junge Frau emotional stärker gefordert war, bleibe ich heute ruhiger und verbrauche daher auch weniger Energie“, so die Umsteigerin.
„Ältere Angestellte sind leicht zu integrieren“
„Die Lebenserfahrung ist ein Schatz“, bestätigt Hochwarters Chef Stefan Scheck. Ältere Angestellte hätten unheimlich viel Wissen, übernähmen Verantwortung und seien leicht zu integrieren. „Weil sie schon vorher in Teams gearbeitet haben, kennen sie Gruppendynamiken. Wenn eine Kollegin von der Assistentin zur Fachfrau wird, wissen sie, was das heißt und wie man sich verhält“, konkretisiert Scheck. Je älter jemand im Team sei, desto eher wisse sie oder er, „wie der Hase läuft“.
Von der Fleischtheke in die Betreuung
Gute Erfahrungen mache der Betreuungsdienstleister immer wieder mit Neueinsteigern jenseits der 50, die er anlernt. Zur Pflegekraft ließen sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen umschulen, so Schecks Erfahrung. Auch eine Fleischereifachverkäuferin habe so ihr „Platzerl“ gefunden. Warum im Bereich Betreuung und Pflege in Deutschland so schwer Mitarbeitende zu finden sind, sieht er im jahrelangen „Kaputtsparen des Systems“ begründet. Berufe im Sozialbereich wie Behindertenbetreuung haben seiner Ansicht nach außerdem den Ruf: Man muss sehr sozial sein, um in einem Sozialberuf zu arbeiten. Der Priener Geschäftsführer dagegen meint: „Man muss Talent haben.“
„Die Bewohner freuen sich, dass man da ist“
Barbara Hochwarter will ihr Talent noch viele Jahre in der Wohnanlage für beeinträchtigte Menschen einsetzen. Im Kinderheim sei sie von den vernachlässigten und traumatisierten Kindern oft in Frage gestellt worden. Es habe regelmäßig Aggressivität gegeben, was viel Kraft gekostet habe. Wenn sie heute den beeinträchtigten Hausbewohnern zwischen 18 und 58 bei der Körperpflege und alltäglichen Dingen hilft und sich mit ihnen beschäftigt, schätzt sie „die schöne Atmosphäre“. Was sie damit genau meint, bringt Hochwarter so auf den Punkt: „Sie freuen sich, dass man da ist und ihnen hilft.“