Was Migranten im Orientierungskurs in Prien lernen
„Bayern war auch für mich eine andere Welt” – Was eine Lehrerin Geflüchteten beibringt
Wie verhält man sich in Deutschland und was muss man über Recht, Politik und Geschichte wissen? Die Leiterin eines verpflichtenden VHS-Orientierungskurses musste sich einst selbst in Bayern einleben. Heute hilft sie Geflüchteten bei dieser Aufgabe.
Chiemsee/Prien – Wenn sich Neuzuwanderer nicht hinreichend auf Deutsch verständigen können, müssen sie einen Integrationskurs absolvieren. In der Hochfellnstraße 16 mitten in Prien pauken jeden Monat dutzende Zuwanderer dessen Inhalte. Fünf von sechs Modulen sind dem Erwerb der deutschen Sprache gewidmet. Im sechsten lernen die Frauen und Männer aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, wie man in ihrer neuen Heimat lebt sowie Basiswissen über die Geschichte und geltende Rechtsordnung.
Hanna Bugaj-Holzmayer musste den Kurs einst selbst absolvieren. Heute lebt sie mit ihrem Mann auf der Fraueninsel und leitet Modul 6 des Integrationskurses, den sogenannten Orientierungskurs. Die gebürtige Polin schildert im Interview, was sich in dem Kurs abspielt und warum es auch für sie herausfordernd war, in Bayern richtig anzukommen.
Frau Bugaj-Holzmayer, wie kamen Sie dazu, Orientierungskurse zu leiten?
Hanna Bugaj-Holzmayer: Ich stamme aus Polen und habe dort als Deutsch- und Russischlehrerin gearbeitet. Seit 2007 lebe ich in Deutschland. Damals wusste ich, dass ich hier keine Arbeit an einer öffentlichen Schule finden kann. Meine Idee war daher, meine Deutschlehrerkenntnisse an der Volkshochschule anzubieten. Seit 2008 bin ich an der VHS in Prien für die Orientierungskurse verantwortlich.
Wie schwer fiel es Ihnen, in Bayern Fuß zu fassen?
Bugaj-Holzmayer: Es ist schon eine andere Welt – obwohl Deutschland und Polen Nachbarländer sind. In Bayern lernte ich viele neue Traditionen kennen. Mich hier einzuleben, war am Anfang gar nicht so leicht. Ich musste viel lernen. Vielleicht kann ich Ausländerinnen und Ausländer deshalb besonders gut verstehen – egal, ob es um Sprachprobleme oder Lebensprobleme geht. Hoffentlich mache ich meinen Unterricht gut. Ich bin sehr glücklich, dass ich mit Ausländern arbeite und dadurch dem deutschen Staat etwas geben kann.
Warum ist nach fünf Deutsch-Modulen überhaupt ein Modul „Orientierung“ notwendig?
Bugaj-Holzmayer: Echte Integration endet nicht am Spracherwerb. Die Teilnehmenden lernen in 100 Stunden Basiswissen über Rechtsordnung, Geschichte, Kultur und Alltag in Deutschland. Diese Themen haben große Bedeutung. Die Teilnehmenden aus verschiedensten Ländern lernen dadurch, wie man sich hier verhalten und leben soll und wie man sich hilft.
Aus welchen Ländern kommen die Teilnehmenden?
Bugaj-Holzmayer: Im laufenden Kurs lernen 19 Personen aus 15 Ländern. Das ist ein Vorteil! Sie können untereinander nicht ihre Sprache sprechen. Die Frauen und Männer kommen aus der Ukraine, Ägypten, China, Thailand, Afghanistan, Syrien, Jemen, Kroatien, Bulgarien, Indien, Bosnien, Tadschikistan und Nigeria.
Wie schwer fällt den Neuzuwanderern der Orientierungskurs?
Bugaj-Holzmayer: Der Politik-Teil ist für sehr viele nicht leicht: Parteien, Demokratie, Politiker. Ich merke aber, sie sind wirklich interessiert und liefern etwas dazu, wenn wir Projektarbeiten machen. Oft vergleichen wir, wie etwas hier in Deutschland ist und wie bei ihnen zu Hause. Zu wissen, wie die Menschen und die Gesellschaft ticken, das brauchen sie für ihre Existenz in Deutschland.
Schaffen Sie die 100 Seiten des Kursbuches in den 100 vorgesehenen Stunden?
Bugaj-Holzmayer: Das wäre eine Illusion! Aber der Kurs liefert auf jeden Fall eine gute Grundlage für das Leben in Deutschland.
Haben Sie schon erlebt, dass Teilnehmende bestimmte Inhalte nicht akzeptiert haben?
Bugaj-Holzmayer: Wie sie es zu Hause machen, weiß ich nicht. Im Unterricht ist es für Leute aus arabischen Ländern manchmal nicht einfach, Gleichberechtigung zu verstehen. Aber alle in der Gruppe merken: Es ist wichtig. Wir diskutieren in der Gruppe zum Beispiel „Was macht ihr, wenn eure Tochter einen Mann heiraten will, den ihr nicht akzeptiert?“ Ich hoffe, sie erlauben ihren Kindern so zu leben, wie Kinder in Deutschland leben. In den Kursen sehe ich auch, wie sich Frauen entwickeln wollen. Manche waren zu Hause nur Hausfrau und träumen jetzt von einer konkreten Ausbildung, die sie hier machen wollen und mit welcher Arbeit sie Geld verdienen können.
Wie viele Teilnehmende schaffen den Abschlusstest „Leben in Deutschland“?
Bugaj-Holzmayer: Mehr als 90 Prozent. Ich musste den Test auch machen, um einen deutschen Pass zu bekommen. Ich freue mich mit meinen Teilnehmenden, wenn sie den Test schaffen. Am 27. Januar ist es wieder so weit.