Leser-Kritik an Stil der Haushaltssitzungen
Wird im Stadtrat Wasserburg bald die Rote Karte gezeigt?
Eine Haushaltssitzung ohne Haushaltsdebatte? Warum ist das so im eigentlich recht streitlustigen Gremium in Wasserburg? Ist es noch zeitgemäß, stundenlang Stellungnahmen zum Zahlenwerk abzulesen? Das fragen sich Leser. Wir haben die Fraktionssprecher und den Bürgermeister um Antworten gebeten.
Wasserburg - Bürgermeister Michael Kölbl findet, in der Haushaltssitzung, in der der intensiv vorberatene Etat beschlossen wird, gehe es lediglich um den Vollzugsbeschluss. Und es sei gute Tradition in Wasserburg seit vielen Jahren, dass die Fraktionen die Sitzung nutzen würden, um ein politisches Grundsatz-Statement abzugeben. Einmal im Jahr sei die Chance zur klaren Positionierung da, der große Diskurs stehe nicht auf der Agenda. Kölbl findet, die Haushaltsreden waren heuer zwar gewohnt lang („doch das muss Demokratie aushalten“), jedoch durchaus pointiert, kurzweilig, interessant. „Ich persönlich fand es alles andere als langweilig“.
Maas: „Regeln gelten auch für selbsternannte Komödianten“
Die Redezeit von 20 Minuten habe allerdings Sepp Baumann, heuer Sprecher für die Fraktion von Bürgerform/Freie Wähler/ÖDP, nicht eingehalten. Gemeinsam mit Lorenz Huber, der für den Stadtwerkehaushalt Stellung nahm, brauchte die Fraktion 29 Minuten. Alle anderen hätten sich an die Vorgabe gehalten. Dass Kölbl Baumann einen „Amüsement-Zuschlag“ zubilligte, wurde von einigen als etwas unfaires Entgegenkommen bewertet. Schließlich war zuvor die Fraktion von SPD/Linke Liste, ermahnt worden, auf die Redezeit zu achten. Das traf auch auf die neue Stadtwerkereferentin Monika Rieger zu, die sichtlich gestresst durch ihre Stellungnahme jagte, um die Zeit noch einzuhalten. Wurde Baumann bevorteilt? Kölbl weist den Vorwurf zurück: Er habe beide Fraktionen gleichermaßen ermahnt, die Redezeit einzuhalten. Wenn dies nicht geschehe, habe er als Rathauschef und Sitzungsleiter keine Handhabe, könne das Rederecht auch nicht entziehen. Denn die vereinbarten 20 Minuten seien lediglich eine Übereinkommensempfehlung, kein Beschluss. Heike Maas, Fraktionsvorsitzende der CSU/Wasserburger Block, findet jedoch: „Vereinbarungen zur Redezeit müssen eingehalten werden. Regeln gelten für alle - auch für selbsternannte Komödianten.“
Kayser-Büker fordert die rote Karte
Ist es noch zeitgemäß, zehn Reden mit je 20 Minuten zum Stadt- und Stadtwerkehaushalt (zwei je Fraktion, außerdem je eine vom Bürgermeister und Stadtwerkechef) vorzutragen? Friederike Kayser-Büker, Fraktionsvorsitzende von SPD und Linker Liste, betont: „Es kann und sollte unserer Meinung nach die Redezeit der Fraktionen verkürzt werden. 10 Minuten reichen für mich als Fraktionssprecherin aus. Wer wirklich etwas zu sagen hat, schafft das auch in kürzerer Zeit.“ Und wenn sich der Stadtrat auf Verbindlichkeit hinsichtlich der Redezeit einigen könne, gehören ihrer Meinung Überschreitungen bei allen gleich durch den Bürgermeister mit der „roten Karte“ geahndet, „das bedeutet die Rede ist dann vorbei“.
Rednerpult aufstellen?
„20 Minuten je Fraktion zu Stadthaushalt und Wirtschaftsplan der Stadtwerke sind nicht viel, da nur hier die Fraktionen ihre Stellungnahmen zum Haushalt abgeben können und diese letztlich den politischen Willen abbilden. Die 20 Minuten wurden unterschiedlich gefüllt: Die einen konzentrieren sich auf wenige wesentliche Punkte, die anderen versuchen alles mit hohem Lesetempo unterzubringen. Es sind ernste Themen und es gibt keinen Kabarettpreis zu gewinnen, sondern es geht um die nachhaltige, positive Zukunft unserer Stadt“, sagt Maas. Sie schlägt vor, die Wirksamkeit der Vorträge durch ein Rednerpult zu fördern.
Stadler hätte seine Rede auch vorgesungen
„Selbstverständlich könnte ich die Rede, anstatt sie vorzulesen, auch vorsingen. Sie dürfen mir aber glauben, dass das für die Zuhörerschaft erst recht kein Genuss ist“, reagiert Christian Stadler, Fraktionsvorsitzender der Grünen, gewohnt sarkastisch auf die Anfrage der Wasserburger Zeitung. Die groß angelegte Haushaltssitzung sei lediglich ein öffentliches Scheingefecht. „Das eigentliche Feilschen und Diskutieren findet natürlich in den Vorberatungen statt, die aus gutem Grund nichtöffentlich sind.“ Es sei wichtig, dann zu diskutieren, wenn es darauf ankomme und nicht, „wenn die Leute eine gute Show beziehungsweise ein Hauen und Stechen erwarten“, findet er.
Auseinandersetzungen nicht gescheut?
„Der überwiegende Teil des Stadtrats kann gut debattieren, die wenigsten scheuen hier die Auseinandersetzung und nicht selten kommt es gerade bei Diskussionen auch zu trefflichen Erkenntnissen“, sagt Kayser-Büker zur Frage, warum im Anschluss an den dreistündigen Redeblock keine Debatten über das Zahlenwerk mehr stattfanden. „Grundsätzlich kann man auch darüber nachdenken, ob es angebracht ist, in der vorausgehenden Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses öffentlich zu tagen“, schlägt sie vor.
Buortesch und Baumann wollen weiterhin in Ruhe diskutieren können
„Wir Stadträte sind sehr dankbar darüber, dass die so komplexe Materie eines Stadthaushaltes in aller Ruhe und Ausführlichkeit im Voraus diskutiert werden kann und wir unsere Wünsche einbringen können. Um die Ergebnisse dieser langen, in der Tat nichtöffentlichen Sitzungen, zusammenzufassen, sind die Haushaltsreden der Fraktionen gedacht, die natürlich deshalb auch ausführlich sind und die Zielvorgaben sprengen können. Die Verabschiedung des Haushalts beinhaltet aber auch viele Beschlüsse, die im Laufe der Jahre vorbereitet und öffentlich ausgiebig diskutiert wurden“, erklärt die Fraktion Bürgerforum/Freie Wähler/ÖDP.
Seit im Stadtrat vier Fraktionen seien, die ihre Stellungnahmen vortragen würden, „ist die Haushaltssitzung im Januar für Zuschauer und Zuschauerinnen sicherlich sehr anstrengend“, räumen für die Fraktion Sepp Baumann und Norbert Buortesch ein. Und versprechen, sich Gedanken über Änderungen zu machen. „Unser Ziel bleibt es, eine so wichtige Sache wie den Haushalt vor seiner Verabschiedung weiterhin in Ruhe diskutieren zu können. Wir werden jedoch versuchen, dem Interesse der Öffentlichkeit an guter Information und einer leichter zu verfolgenden Sitzung entgegenzukommen.“
Auch Stadler findet, dass die Haushaltssitzungen in der derzeitigen Form „eine ziemliche Zumutung für alle Beteiligten“ darstellen würden. „Wir haben bereits nach der letzten Haushaltssitzung (also 2022) sowie auch im Rahmen der Vorberatungen heuer Vorschläge gemacht, dies künftig anders zu organisieren, konnten uns damit aber nicht durchsetzen.“ Maas schlägt außerdem vor, den Stadthaushalt und den Wirtschaftsplan der Stadtwerke in Zukunft nicht in einer, sondern in zwei Sitzungen zu präsentieren.




