Überleben mit der Tafel
Wie 20 Kolbermoorer ehrenamtlich 400 Menschen mit Lebensmitteln versorgen
Ohne das Ehrenamt gäbe es die Kolbermoorer Tafel wohl nicht mehr. Derzeit versorgen 20 Ehrenamtler etwa 400 Menschen mit Lebensmitteln. Welche Hilfe sie dringend brauchen, damit der Aufnahmestopp aufgehoben werden kann.
Kolbermoor – Am 1. Januar haben sich die Wege von Bürgerhaus „Mangfalltreff“ und Kolbermoorer Tafel getrennt. Die Stadt hat das Quartiersmanagement 2023 neu ausgeschrieben und mit dem neuen Jahr an die Arbeiterwohlfahrt übertragen. Die Kolbermoorer Tafel ist bei der Diakonie geblieben. Betrieben wird sie nun von 20 Frauen und Männern, die – überwiegend in ihrem Ruhestand – ehrenamtlich die Armut lindern und etwa 400 bedürftige Menschen mit Lebensmitteln versorgen.
Andreas Bobbert ist der neue Tafelleiter
Die Führung des ehrenamtlichen Teams hat Andreas Bobbert (65) übernommen. Der Familienvater und studierte Betriebswirt leitete über drei Jahrzehnte den Bereich Einkauf und Materialwirtschaft eines großen Rosenheimer Unternehmens. Mit dem Ruhestand suchte er nach einem Ehrenamt im sozialen Bereich. „Das ist mein Dank ans Leben“, sagt er. „Ich hatte privat, gesundheitlich und beruflich Glück. Jetzt habe ich mehr Zeit als bisher und möchte mich für Menschen engagieren, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.“ Bei der Diakonie in Rosenheim fand er das Ehrenamt, das perfekt zu ihm passt: „Eine kaufmännische, organisatorische und menschenzugewandte Aufgabe mit der Herausforderung, neue Erfahrungen zu sammeln.“
„Ein super motiviertes Team“
Ein Glück für Kolbermoor, denn so konnte die bisherige hauptamtliche Bürgerhaus- und Tafelleiterin Daniela Dobner ihren ehrenamtlichen Nachfolger einarbeiten. Seit Oktober ist Andreas Bobbert jeden Mittwoch vor Ort und begeistert vom ehrenamtlichen Engagement der Tafelmitarbeiter: „Hier ist ein enorm engagiertes, super motiviertes und sehr professionell agierendes Team am Werke.“
Alle verbindet die eine Leidenschaft: „Ich möchte für andere Menschen da sein“, beschreibt Manuela Adam ihre Motivation. Früher war sie bei BRK und Rettungshundestaffel aktiv. Seit vier Wochen ist sie bei der Tafel. An der Seite der erfahrenen Kollegen packt sie liebevoll die Kisten für zehn Menschen, die nicht mehr mobil sind und selbst zur Tafel kommen können. Sie werden beliefert, heute beispielsweise mit Obst und Gemüse, Putenschnitzeln, Wiener Würstchen, Milch, Weißbrot und einer süßen Überraschung.
So sieht ein Tag im Ehrenamt aus
„Bereits am frühen Morgen schwärmen unsere Fahrer zu ihren fünf Touren aus und holen die Lebensmittel mit unserem Kühlfahrzeug ab“, erläutert Bobbert den Ablauf eines jeden Mittwochs. Die Vormittagsschicht kontrolliert die Waren auf ihren Zustand und das Mindesthaltbarkeitsdatum. Dann übernimmt die Nachmittagsschicht, sortiert weiter und gibt unter anderem Backwaren, Milchprodukte, Zucker, Teigwaren, Reis, Getreideerzeugnisse, Tee, alkoholfreie Getränke, Obst, Gemüse, Wurst, Fleisch oder Konserven von 14.30 bis 17.30 Uhr an die bedürftigen Menschen aus.
Brigitte List ist schon seit 18 Jahren dabei. Auch mit 76 Jahren steht sie an jedem Mittwoch etwa sechs Stunden in der Tafel. Für kleine Verschnaufpausen ist in den beengten Räumen kein Platz. Und auch wenn sie am Abend eine große Erschöpfung spürt und die Füße brennen, erfüllt sie ihr Ehrenamt mit Freude. „Wir haben das Privileg, unsere freie Zeit zu verschenken und die gespendeten Lebensmittel an bedürftige Menschen weiterzugeben. Ein Dank und ein Lächeln sind dafür der schönste Lohn“, beschreibt sie ihre Motivation.
Die Tafel aus zwei Perspektiven
Etwa 400 Menschen versorgt die Kolbermoorer Tafel mit Lebensmitteln. „Ungefähr ein Viertel sind Senioren, knapp die Hälfte Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund und ein Viertel junge Familien, darunter viele Alleinerziehende“, umreißt Bobbert den Kundenstamm. Circa ein Viertel aller Bedürftigen sind Kinder und Jugendliche.
Wie schwer es ist, als alleinerziehende Mutter zu überleben, weiß auch Viktoria Zarikewitsch. Sie kam vor 22 Jahren mit ihren drei Kindern aus Kasachstan nach Kolbermoor. „Ich weiß nicht, wie ich es ohne die Hilfe der Tafel geschafft hätte“, erinnert sie sich. „Dafür bin ich bis heute dankbar. Die Tafel hat mir in meinem Leben sehr geholfen.“ Heute gehört Viktoria zum ehrenamtlichen Team. Der Perspektivwechsel hilft ihr bei der Beratung der Bedürftigen. Mit ihrer russischen Muttersprache baut sie Brücken zu den ukrainischen Flüchtlingen.
Flut an Bedürftigen wird immer größer
Trotz der engagierten ehrenamtlichen Helfer kann auch die Kolbermoorer Tafel die Flut an bedürftigen Menschen nicht mehr bewältigen. Seit Monaten gibt es einen Aufnahmestopp. Mehr als 80 Menschen können nicht versorgt werden, stehen auf der Warteliste. Menschen in Not abzuweisen, ist für niemanden leicht. Deshalb hat die Suche nach einem neuen Domizil oberste Priorität für den neuen Tafelleiter: „Erst wenn wir größere Räume haben, können wir den Aufnahmestopp endlich aufheben.“
Die beiden historischen Gebäude in der Werkssiedlung, die die Stadt für Ausgabe und Lager der Tafel zur Verfügung stellt, sind klein und denkmalgeschützt. Sie dürfen nicht umgebaut werden. In der Konsequenz fehlen nicht nur Lager- und Kühlkapazitäten, sondern auch effiziente Ausgabemöglichkeiten. Es gibt auch keine geschützten Wartezonen. Die Kunden stehen bei Wind und Wetter vor der Tür. Und auch die Arbeitsbedingungen für die Helfer, von denen die meisten im Rentenalter sind, sollten sich verbessern.
Größere Räume werden dringend gebraucht
„Wir bräuchten Platz für Regale, damit die körperlich anstrengende Arbeit zumindest etwas rückenfreundlicher wird und unsere ehrenamtlichen Senioren sich nicht ständig bücken und schwere Kisten heben müssen. Auch eine kleine Sitzecke zum Verschnaufen oder für eine Teambesprechung wäre wichtig“, betont Bobbert. Stadtverwaltung und Diakonie suchen seit langem nach alternativen Räumen. „Sie sollten zentrumsnah oder gut mit dem Bus erreichbar sein“, macht Bobbert deutlich und appelliert an Privatvermieter und Unternehmen, ihre räumlichen Ressourcen zu prüfen, die Tafel und damit fast 500 von Armut betroffene Menschen in Kolbermoor zu unterstützen. Wer helfen kann, melde sich bitte unter der 08031/30 09 80 14 bei Andreas Bobbert oder unter der 08031/29 68 142 bei Elisabeth Kalenberg, der Geschäftsleiterin der Stadtverwaltung Kolbermoor.
Tafeln ermöglichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Seit 30 Jahren lindern die Tafeln die Armut in Deutschland, retten genießbare, aber vom Verfall bedrohte Lebensmittel und sorgen dafür, dass diese nicht im Müll landen, sondern an bedürftige Menschen verteilt werden. „Wir können keine Grundversorgung übernehmen, die liegt in der Verantwortung des Staates. Aber mit unseren Lebensmittel- und zweckgebundenen Geldspenden ermöglichen wir es den Betroffenen, ein wenig Geld für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zurückzulegen“, betont Bobbert.
Doch inzwischen stoßen die Tafeln deutschlandweit an ihre Grenzen. Die Nachfrage hat sich fast überall verdoppelt. Waren es einst knapp 200 Menschen, die sich einmal pro Woche eine Lebensmittelspende in der Kolbermoorer Tafel abholten, sind es inzwischen ungefähr 400. Deutschlandweit kommen mittlerweile zwei Millionen Menschen zu den Tafeln, weil ihr Geld nicht mehr zum Leben reicht.
Lebensmittelspenden gehen zurück
Gleichzeitig gehen die Lebensmittelspenden zurück. Jede dritte der 960 Tafeln in Deutschland musste bereits einen Aufnahmestopp einführen, da die Lebensmittel nicht mehr reichen, um die Nachfrage zu erfüllen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Tafeln die hohen Preise bei Energie und Sprit schmerzlich zu spüren bekommen, aber kaum sparen können, denn die Fahrten zu Spendern, der Strom für Beleuchtung, Gefrier- und Kühlschränke sind für den Tafel-Betrieb zwingend nötig.
Spenden retten die Tafel
„Ohne die erfreulich hohe Spendenbereitschaft der Kolbermoorer Bürger, Vereine und Unternehmen würde die Tafel wohl nicht mehr so funktionieren“, betont Bobbert. „Die umliegenden Geschäfte versorgen uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten so gut es geht“, ist er äußerst dankbar. Doch da diese Lebensmittelspenden zurückgegangen sind, muss zweckgebunden zugekauft werden, damit es für alle Bedürftigen reicht.
„Wir sind froh, dass wir engagierte Spender haben und sind sehr dankbar für jede Lebensmittel- oder zweckgebundene Geldspende“, motiviert Bobbert zum gemeinsamen Durchhalten in Krisenzeiten. Denn eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht. Maßnahmen wie die Bürgergelderhöhung auf 563 Euro oder die geplante Kindergrundsicherung reichen nicht, um der Armut zu begegnen. Vielmehr werden die anhaltenden Verteuerungen in allen Lebensbereichen – etwa die Anhebung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und für Gas oder die höheren Kosten für Strom, Heizung, Kraftstoff und Transporte aufgrund des gestiegenen CO2-Preises sowie höhere Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung – das Heer der von Armut betroffenen Menschen weiter vergrößern.
Kontakt zur Kolbermoorer Tafel
Carl-Jordan-Straße 4b, 83059 Kolbermoor
08031 / 3009 8014
tafel-kolbermoor@sd-obb.de
Menschen jeden Alters, die sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Kolbermoorer Tafel interessieren, können sich jederzeit telefonisch oder per E-Mail bei Andreas Bobbert melden.
Tafelleitung
Andreas Bobbert
Lebensmittelausgabe
Jeden Mittwoch von 14.30 bis 17.30 Uhr