Künstliche Intelligenz: Auftritt in Wasserburg
„KI wird nicht die Weltherrschaft an sich reißen“? Experte Rudolf Seising über Chancen und Gefahren
Künstliche Intelligenz: Ist sie Fluch oder Segen? Darüber scheiden sich die Geister. Dr. Rudolf Seising ist Experte auf diesem Gebiet. Worauf sich die Menschen einstellen müssen – und was nur „Science Fiction“ ist.
Wasserburg – Sie ist in allen Bereichen des Lebens anzutreffen und mittlerweile kaum mehr wegzudenken: die Künstliche Intelligenz (KI). Der renommierte Technik-Historiker Dr. Rudolf Seising vom Deutschen Museum in München forscht seit vielen Jahrzehnten darüber. Am Dienstag (1. Oktober) wird Seising zum Thema „Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure – die Geschichte der KI in Deutschland“ einen Vortrag an der Vhs in Wasserburg halten.
Der Experte arbeitet seit über vier Jahren an dem Projekt „IGGI“, das die Anfänge der KI in Deutschland untersucht. In der Bundesrepublik habe man in den 1970er-Jahren begonnen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Die Forschenden seien in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen tätig gewesen und hätten sich für die in den USA florierende AI („artificial intelligence“) interessiert – ein zusammengesetztes Wort, das der Mathematiker John McCarthy 1955 am amerikanischen Dartmouth College benutzt habe, so Seising.
„In den 60er Jahren haben sich verschiedene Personen mit der KI beschäftigt, jeder einzelne hatte völlig unterschiedliche Vorstellungen davon“, erklärt der Experte im Gespräch mit der Redaktion. „Will man die Nervenbahnen eines Menschen nachahmen oder intelligente Maschinen bauen? Viele Fragen standen im Raum“. Seit „ChatGPT“ – eine sprachbasierte Anwendung – sei das System in der Gesellschaft angekommen. Jeder habe nun Zugriff darauf.
Doch auch schon vorher hätten die Menschen eine Vorstellung davon gehabt. „Es gibt genügend Science-Fiction-Filme, beispielsweise Terminator mit Arnold Schwarzenegger, die thematisieren, wie ein Leben mit KI aussehen könnte. Diese Fantastereien haben aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun“, sagt er. Grundsätzlich sei auch erst einmal zu klären, was man überhaupt unter KI verstehe. „Was bedeutet Intelligenz, was bedeutet Denken? Die KI kann nicht verstehen wie ein Mensch. Sie kann nicht nachdenken oder sinnieren, wie wir das tun“, erklärt er.
Ist die KI also Gefahr oder große Hilfe? „Bei neuen Technologien gibt es immer zwei Seiten“, erläutert Seising. „Sie ist hilfreich, zum Beispiel bei bildgebenden Verfahren in der Medizin. In jedem Lebensbereich gibt es KI-Systeme, aber sie werden nicht die Weltherrschaft an sich reißen“, sagt er schmunzelnd. „Aber: Dort, wo das System ausgenutzt wird, gibt es definitiv Gefahrenpotenzial. In China werden durch diese Technologie Daten gesammelt und gespeichert. Wenn Bürger beispielsweise ihren Müll nicht richtig trennen, wird das vermerkt und es gibt Minuspunkte in einem Ranking. Die Leute werden dann bestraft, indem sie nicht mehr an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen dürfen“.
„Das ist für mich nach wie vor Science Fiction“
Auch die These, dass die neue Technologie ganze Berufe ersetzen könne, sehe er „sehr skeptisch“. „Bestimmte Aufgabenbereiche, ja. Es gibt Maschinen, die kräftiger sind als der Mensch. Sie heben Lasten oder ähnliches – aber unseren Platz einnehmen können sie nicht“, verdeutlicht er. „Das ist für mich nach wie vor Science-Fiction. Das sieht man ja schon an dem Beispiel, wie schwierig es ist, den menschlichen Körper nachzuahmen. Wir sind meilenweit davon entfernt, dass sich der Roboter alleine bewegen kann“, sagt der Experte.
Trotzdem müsse sich die Bevölkerung auf ein Leben mit KI einstellen. „Dieser Zug ist abgefahren, das System bleibt. Wir müssen damit umgehen und das Beste draus machen“, meint Seising. „Man kann nicht sagen, was die Zukunft bringt, sie ist offen. Dennoch ist die KI nur eine – vom Mensch entwickelte – Technologie. Hier müssen wir die Wirklichkeit von der Fantasie trennen“, betont er.
Deutschland ist laut Seising auf einem guten Weg. In Kaiserslautern sei 1988 ein großes Forschungszentrum dafür eröffnet worden, das heute als weltweit führend auf diesem Gebiet gelte, auch wenn sich in den 60er Jahren anfänglich gerade die IT-Professoren dagegen gesträubt hätten, so der Experte. Persönlich ist der Blick des Technik-Historikers aber weniger in die Zukunft gerichtet. „Ich schaue mir lieber die Vergangenheit an“, sagt er.
Vortrag „Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure – die Geschichte der KI in Deutschland“ in Wasserburg
Das in den vergangenen vier Jahren durchgeführte wissenschaftshistorische Projekt „IGGI“ untersuchte die Anfänge der Künstlichen Intelligenz (KI) in Deutschland. Einblicke in die Arbeit und die Ergebnisse dieses faszinierenden Forschungsgebiets bietet am Dienstag, 1. Oktober, der Vortrag „Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure – die Geschichte der KI in Deutschland“. Die Vhs Wasserburg hat dazu den renommierten Technik-Historiker Dr. PD Rudolf Seising vom Deutschen Museum München in die Salzburger Str. 19 eingeladen. Die Veranstaltuang ist der Semesterauftakt der Vhs mit insgesamt 20 Vorträgen. Beginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt kostet 13 Euro (mit Vhs-Vortragskarte kostenfrei). Informationen und Anmeldung unter Tel. 08071/4873 und www.vhs-wasserburg.de.

