Am 5. April wird eine Straße nach ihm benannt
„Papa konnte einfach alles“: Erinnerung an Wasserburgs Altbürgermeister Dr. Martin Geiger
Er hat Wasserburg 30 Jahre als Bürgermeister geprägt und verhindert, dass die Stadt 1972 nach der Auflösung des Altlandkreises in die Bedeutungslosigkeit versank. Deshalb wird Dr. Martin Geiger am 5. April eine Straße gewidmet. Doch wie war er privat? Seine Kinder erinnern sich.
Wasserburg - „Er absolvierte oft eine 70-Stunden-Woche, doch für uns hat er sich immer Zeit genommen“, sagt Tochter Katharina Dietel (57) lächelnd. Sie sah ihren Vater, der viele berufliche Verpflichtungen - auch abends - hatte, trotzdem jeden Morgen beim gemeinsamen Frühstück. Und wenn es sein Terminplan erlaubte, kam Dr. Martin Geiger auch zum Mittagessen heim. „Wir waren ihm wichtig“, sagt Sohn Johannes Geiger (53).
Der Vater schaute nach den Hausaufgaben der Kinder, fragte Vokabeln ab und interessierte sich vor allem für ihren Unterrichtsstoff in Geschichte. „Wenn wir ihn dazu was gefragt haben, sprudelte er über vor Wissen - fing auch schon mal bei Adam und Eva an“, erinnert sich Johannes Geiger lachend. Der Papa - in Wasserburg als Rathauschef 30 Jahre lang eine Institution, weil er alles wusste und sich stets akribisch in Themen einarbeitete - war auch privat eine Schatzkammer an Informationen.
Wobei seine beiden Kinder auch sein handwerkliches Geschick betonen. „Der Papa konnte einfach alles“, sagt Johannes Geiger und räumt ein, dass es ihm als Sohn anfangs schwerfiel, bei gemeinsamen Reparaturen in Haus und Garten zu zeigen, dass er mehr drauf hat, als nur das Werkzeug anzureichen.
Kartoffeln aus dem eigenen Acker geerntet
Der 2016 verstorbene Alt-Bürgermeister, der aus einer Landwirtschaftsfamilie stammte und Jura studierte, bewirtschaftete zu Amtszeiten an seinem Haus sogar einen Acker, berichtet die Tochter. Hier erntete er Kartoffeln. „Der Papa brauchte immer etwas zum Werkeln“, sagt Katharina Dietel. Dr. Martin Geiger packte auch bei städtischen Angelegenheiten mit an.
Seine Kindern erzählen lachend, wie er einmal sogar hinter das Steuer eines Lkw kletterte, weil sich der Fahrer beim Transport von Werkstücken für die neue Kläranlage festgefahren hatte. „Papa hat so lange rangiert, bis es wieder ging.“ Apropos Kläranlage: Obwohl der damalige Bürgermeister daheim seine Familie nicht mit Geschichten aus dem Rathaus nervte, seine Frau meistens zuerst aus der Wasserburger Zeitung erfuhr, was politisch anstand, erinnern sich seine Kinder noch sehr gut an die Aktenberge, die er wälzte - unter anderem als es um die Verlegung von Abwasserleitungen durch den Inndyker, ein Unterwasserkanal, ging. Auch in diese komplexe Materie habe sich der Vater hineingefuchst. Technisch konnte ihm kaum ein Ingenieur das Wasser reichen.
Es gab diesbezüglich viel zu tun in den Jahren ab 1972, als Dr. Martin Geiger das Bürgermeisteramt angedient wurde. Er ließ sich nach anfänglicher Skepsis überzeugen und sprang ins kalte Wasser - eine Entscheidung, der die Stadt Wasserburg viel zu verdanken hat. Unter anderem die Tatsache, dass sie trotz Verlustes der Kreisbehörden sowie überörtlicher Einrichtungen ihre Bedeutung für den nördlichen Landkreis nicht verlor. „Mittelzentrum“: Das war das am häufigsten gefallene Wort in der Familie Geiger. „Als Kind wusste ich nicht, was das heißt. Nur: Es ist wichtig“, berichtet Katharina Dietel. Dr. Martin Geiger sorgte dafür, dass Wasserburg dieser Rolle gerecht wurde: mit dem Familienbad Badria, den Schulen, dem städtischen Museum, der Kläranlage, dem Stadtbus und dem Stadtarchiv.
„Er hat immer getan, was er konnte - und das war halt viel“, sagt seine Tochter. Doch die Gründung des Stadtarchivs, „das war etwas, darauf war er wirklich stolz“. Sie erinnert sich noch daran, wie ihr Vater sie einmal mitnahm in die Räumlichkeiten, vor der Gründung noch hinter einer feuerfesten Tür im Rathaus untergebracht. Staunend stand sie damals an den hohen Regalen voller alter Urkunden, mit deren Katalogisierung ihr Vater begonnen hatte.
„Er ging allem stets konzentriert auf den Grund“
Später verfasste Dr. Martin Geiger historische Abhandlungen, Aufsätze und schrieb Bücher - unter anderem für den Heimatverein. Akribisch analysierte er die Geschichte seiner Heimatstadt, hatte Daten und Fakten immer parat. „Unser Vater hatte ein exzellentes Gedächtnis“, sagen die Kinder, „er ging allem stets konzentriert auf den Grund“. Dafür war Dr. Martin Geiger sogar etwas gefürchtet - im Kreistag beispielsweise. Auch hier legte er oft den Finger in die Wunde, hakte unbeirrt nach. Der Vater hatte eine klare Meinung, mit der er nicht hinter dem Berg hielt.
Doch wenn er feststellte, dass es Fachleute gab, die es besser wussten, hörte er auf sie, berichten die Kinder. „Er hat auch gelobt, wenn jemand etwas richtig gut gemacht hat.“ Was der Vater nicht ausstehen konnte: „Wenn Menschen die Schuld immer bei anderen sahen und sich nicht angestrengt haben.“ Nassauer seien ihm ein Greul gewesen. Auch politische Ränkespiele habe der Vater, als Bürgermeisterkandidat 1972vom Wasserburger Block nominiert, gehasst. „Es ging ihm stets um die Sache, parteipolitisches Kalkül war ihm fremd“.
Auf Leute, die versuchten, ihm zu schmeicheln, um etwas zu erreichen, reagierte Dr. Martin Geiger ungehalten. Er machte kein Aufhebens um seine Person. Seine Kinder erzogen er und seine Frau zu gutem Benehmen, „uns wurde aber nie gesagt, als Bürgermeister-Sohn oder Bürgermeister-Tochter müssten wir immer besonders brav sein“, erinnern sich die Kinder. Sie profitierten zwar vom bekannten Papa - etwas wenn er die Tochter mitnahm ins Rathauskonzert. „Da hatten wir natürlich immer die besten Plätze“, sagt Katharina Dietel. „Aber unser Vater hat seinen Eintritt immer selber bezahlt.“ Klüngelei habe er gehasst.
„Zeichen der Wertschätzung“
Auf seine Ernennung zum Ehrenbürger bei seiner Verabschiedung habe der Vater im ersten Moment sogar eher genervt als erfreut reagiert. Er sah sich wie der römische Konsul Lucius Cincinnatus, der der Sage nach den Pflug beiseite legte, um seiner Heimat zu helfen, als man ihn rief, und danach wieder auf den Acker ging, um seine Arbeit auf dem Feld fortzusetzen. Die Straßenbenennung am Mittwoch, 5.. April, wäre ihm wohl einen „Tick zu viel gewesen“, sagt deshalb Katharina Dietel.
Doch sie und ihr Bruder Johannes Geiger freuen sich sehr. „Es ist eine wahnsinnige Ehre, ein Zeichen dafür, welche Wertschätzung ihm diese Stadt nach wie vor entgegen bringt. Es ist eine Erinnerung an unseren Vater und Zeichen dafür, dass er viel geleistet hat für Wasserburg,“ Wenn die Kinder durch die Stadt gehen, spüren sie an vielen Ecken eine Verbindung mit ihrem Vater - etwa am Theater Belacqua, für das er sich stark machte, in der Altstadt, wo er den Denkmalschutz voranbrachte, in den Gewerbegebieten, die er förderte, am Badria, das ihm als Einrichtung sehr am Herzen lag.
Katharina Dietel ist dem Vater übrigens in die Kommunalpolitik gefolgt: Sie ist grüne Stadträtin in Bad Aibling. Ihr Bruder Johannes ist politisch interessiert, aber nicht aktiv. Und wenn er als Kind gefragt wurde - „was möchtest du mal werden?“ - hat er immer gesagt: „Nicht Bürgermeister.“ Das sei schon hängen geblieben bei den Kindern: Dass die Aufgabe eine schwere ist, verbunden mit einer Verantwortung, die an die Grenzen der Belastbarkeit führt. Dr. Martin Geiger schuf emotionalen Abstand, indem er in die Höhe stieg: bei vielen Bergtouren. Auch der Familienurlaub fand stets auf der Alm statt - ohne Telefonanschluss. In den geliebten Bergen, am Wendelstein, verunglückte Wasserburgs Ehrenbürger 2016 tödlich - im Alter von 79 Jahren.

