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Rosenheimer Experte über ein Tabuthema des Todes

„Wachsleichen gibt es häufiger, als man denkt“: Wie Böden der Region die Verwesung beeinflussen

Blick auf einen Friedhof (links). Michael Hartl (rechts).
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Die Bodenqualität ist nicht nur für eine üppige Grabbepflanzung wichtig. Michael Hartl vom Rosenheimer Friedhofs-Kompetenz-Zentrum erklärt, welche Rolle der Boden für die Dauer der Grabruhe spielt.

Mit dem Fund einer Wachsleiche in Inzell ist ein trauerbeladenes Tabuthema an die Oberfläche gekommen: Es gibt Fälle, in denen Körper nicht verwesen. Und die sind nicht selten. Bestatter kennen das Problem.

Rosenheim – „Viele Friedhöfe in unserer Region haben keine guten Bodenverhältnisse, sodass der Verwesungsprozess zögerlich bis gar nicht voranschreiten kann“, erklärt Michael Hartl, Geschäftsführer des Rosenheimer Friedhofs-Kompetenz-Zentrums. Es sind stark lehm- und tonhaltige Böden, die zur Mumifikation eines Körpers führen können: „Wachsleichen gibt es häufiger, als man denkt.“

Lehmböden dichten Särge förmlich ab

Normalerweise solle der Sarg den Körper vor dem Erddruck schützen, erklärt Hartl ein Thema, das makaber anmutet, aber zum Sterben dazugehört. In Deutschland gilt die Sargpflicht. Der Sarg soll vor allem die Würde eines Menschen im Tode wahren. Er hat aber auch eine andere Funktion: „Der im Sarg vorhandener Sauerstoff schafft optimale Bedingungen für die Verwesung“, erklärt Hartl.

Doch von Lehmböden wird diese eingeschränkt: „Deren Beschaffenheit sorgt dafür, dass Sarg und Körper kaum mit Sauerstoff in Kontakt kommen. Sie sind förmlich abgedichtet“, erläutert Hartl. Die Verwesungsprozesse geraten ins Stocken. Die Folgen beschreibt der Bundesverband Deutscher Bestatter so: „Körperfette verwandeln sich in eine wachsartige Schicht, die sich im Gewebe und auf der Haut des Körpers ablagert – deshalb auch die Bezeichnung Wachsleiche.“

Gebeine bleiben in der Erde

Dass Schädel, große Becken- oder Oberschenkelknochen auch nach Jahrzehnten noch in aufgelassenen Grabstellen gefunden werden, ist normal. Früher wurden sie in sogenannten Beinhäusern aufbewahrt. Heute ist das nicht mehr üblich, bleiben die Gebeine in der Erde. Anders verhält es sich bei kompletten, nicht verwesten Körpern. Sollte nach der Auflösung eines Grabes wie jetzt auf dem Inzeller Friedhof eine Wachsleiche gefunden werden, muss diese exhumiert werden. „Sie wird entnommen und unter die Grabsohle der neuen Bestattung gebettet“, so Hartl. Das heißt konkret: „Die Erdlöcher für Gräber werden im Normalfall bis zu einer Tiefe von etwa zwei Metern ausgehoben. In solch einem Fall müsste die Grube dann auf etwa 2,40 Meter vertieft werden, damit der Leichnam dort wieder bestattet werden kann“, so Hartl. Erst danach dürfe in den darüberliegenden Schichten eine andere Beisetzung erfolgen.

Zum Schutz der Menschenwürde

Ein besonders sensibles Thema beim Fund einer Wachsleiche ist ihre postmortale Menschenwürde. Um diese zu wahren, gelten auf Friedhöfen Ruhezeiten. Nach dem Bayerischen Bestattungsgesetz muss die „Ruhezeit für Leichen ... unter Berücksichtigung der Verwesungsdauer“ festgesetzt werden. „Bei Kies- oder Sandböden beispielsweise reicht eine Ruhezeit von zehn Jahren, weil unter solchen Verhältnissen der vollständige Verwesungsprozess deutlich schneller vonstattengeht“, veranschaulicht Michael Hartl. Bei Lehmböden könne es aber passieren, dass selbst eine Ruhezeit von 20 bis 30 Jahren nicht ausreiche. „Trotzdem ist es ein Trugschluss, dass die Erhöhung der Ruhezeiten eine Lösung sein könnte“, macht Hartl klar.

Bodenkundliche Untersuchungen

Vor jeder Friedhofseröffnung müssen Boden- und Wasserverhältnisse geprüft werden. „Auf Basis dieser bodenkundlichen Untersuchungen wird die Ruhezeit festgelegt“, erläutert Hartl. „Lange Ruhefristen deuten darauf hin, dass die Bodenverhältnisse nicht optimal sind.“ Das Erdreich sollte sauerstoff- und wasserdurchlässig sein, doch zu viel Wasser ist auch nicht gut. Oberflächenwasser muss versickern können, darf sich in der Grabstelle nicht stauen. „Aus diesem Grund wurde beispielsweise ein Teil des Aisinger Friedhofes für Erdbestattungen gesperrt.“

Beisetzungen im Grundwasserspiegel sind generell verboten. „Friedhöfe müssen so angelegt werden, dass keine Berührung und Verschmutzung des Grundwassers möglich ist“, betont Hartl. Die über viele Jahrzehnte gelebte Praxis sehe leider oftmals anders aus.

Nur noch 25 Prozent Erdbestattungen

Der Anteil der Feuerbestattungen liegt in der Region bei 75 Prozent. Nur ein Viertel aller Verstorbenen wird noch erdbestattet. Damit ihre postmortale Menschenwürde auch bei schlechten Bodenverhältnissen gewahrt bleibt, müssen Lösungen gefunden werden. Die Bodenstruktur zu verändern, wäre möglich, aber viel zu teuer: „Im Bereich von Lehmböden müsste dafür ein großflächiger Erdaustausch erfolgen. Eine bessere Alternative sind Grabkammersysteme, bei denen Oberflächenwasser und Sauerstoff kontrolliert in die Grabkammer geführt werden“, so die Erfahrung von Bestatter Hartl.

Neu: Grabkammern für Erdbestattungen

In der historischen Bestattungskultur ist die Grabkammer oder Gruft als eine gemauerte Räumlichkeit zur Bestattung bekannt. Ähnlich kann man sich eine unterirdische Grabkammer vorstellen. Die Hersteller beschreiben es so: „Bei diesem System ruht der Sarg auf einer Erdsohle und ist von Betonwänden anstelle von Erdreich umgeben. Regnet es oder wird von den Angehörigen der Pflanzbereich gegossen, regelt die speziell konstruierte Abdeckung den kontrollierten Zutritt des Oberflächenwassers in die Grabkammer. Die dabei entstehende hohe Luftfeuchtigkeit ist wesentlich für die Zersetzung von Leichnam und Sargholz. Ein Drainagerohr in Höhe der Grabsohle leitet überschüssiges Wasser ab.“

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