Neue Mobilitätskonzepte in Kolbermoor
„Versenken Millionen im Untergrund“: Wie e-Carsharing für günstigeren Wohnraum sorgen kann
E-Carsharing macht vieles möglich: Privatleute und Unternehmen sparen Geld, Wohnungen können preiswerter gebaut und Innenstädte lebenswerter gestaltet werden. Wie das funktioniert, präsentierten jetzt die Stadt Kolbermoor, die INNergie GmbH und Werndl&Partner GmbH.
Kolbermoor – Privatfahrzeuge abzuschaffen, ist eines der Ziele der INNergie GmbH. In Kolbermoor, sieben Gemeinden und im Landratsamt Rosenheim hat sie für ihr e-Carsharing-Modell schon Partner gefunden. Machen die guten Erfahrungen Schule, könnten noch mehr Privatleute, Unternehmen und Institutionen künftig nicht nur Geld sparen, sondern auch dazu beitragen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und die Innenstädte lebenswerter zu gestalten.
Dienstwagen abschaffen, Carsharing nutzen
„Das Landratsamt Rosenheim hat vier Dienstwagen abgeschafft. Wir haben vier e-Fahrzeuge bereitgestellt, die die Mitarbeiter während und die Bürger außerhalb der Dienstzeiten nutzen können“, erklärt Frank Quaas, Geschäftsführer der INNergie GmbH. „Wächst der Bedarf, stellen wir weitere e-Carsharing-Fahrzeuge bereit.“
Sechs neue Ladesäulen für Kolbermoor
Als gemeinsames Unternehmen der Stadt Kolbermoor, der Gemeinden Brannenburg, Flintsbach, Oberaudorf, Raubling, Rohrdorf, Schechen und Stephanskirchen sowie der Energie Südbayern und der Stadtwerke Rosenheim ist die INNergie nicht nur Erdgas-, Strom- und Nahwärmeversorger für 2400 Haushalte und 150 Geschäftskunden, sondern auch innovativer Vordenker erneuerbarer Energie-Modelle und Mobilitätsformen. In den „INNergie-Gemeinden“ baut das Unternehmen die Ladeinfrastruktur weiter aus. „Insgesamt schaffen wir in diesem Jahr 20 neue Ladepunkte“, informiert Quaas: „Davon allein sechs in Kolbermoor.“
Gegenwärtig hat die INNergie in ihren Gemeinden 16 eCars am Start – allesamt als All-inclusive-Pakete. Das bedeutet: „Wir kümmern uns um alles“, erklärt Quaas. „Zulassung und Überführung, Einbau der Cloud-Box für die App, Kfz-Haftpflicht und Versicherung, GEZ, Wartung, Reifeneinlagerung, Reinigung und Führerscheinvalidierung.“
Rundum-Service für ein besseres Klima
Ein Rundum-Service für ein besseres Klima also, den beispielsweise die Stadt Kolbermoor nutzt. Ein INNergie-BWMi3 ersetzt einen Dienstwagen und steht in zentraler Lage im Parkhaus am Rathaus. In den Geschäftszeiten fährt er für die Verwaltung. Abends, nachts und an den Wochenenden steht er jedermann zur Verfügung. Im Tagespreis von 59,90 Euro sind 200 Kilometer inklusive. Die Nacht ist mit 25,90 Euro und 100 Kilometern noch preiswerter. Für kurze Fahrten gibt es auch einen Stundenpreis von 4,90 Euro und 50 Kilometern inklusive. Die Abrechnung erfolgt Minuten- und Kilometergenau. Mehrkilometer kosten jeweils 0,29 Cent. Zwei „Kreditkarten“ im Handschuhfach ermöglichen überall das kostenlose Laden. Um den Service zu nutzen, muss man einfach nur die Moqo-App aufs Handy laden, den Führerschein validieren lassen und los geht‘s.
Alle freien Fahrzeuge auf einen Blick
In die Moqo-App sind auch andere Anbieter eingebunden. Der Nutzer kann sich also auch über freie Fahrzeuge am Tegernsee oder in Garmisch-Partenkirchen (E-Alois) sowie im Carsharing Bad Aibling informieren. In der Kurstadt gibt es derzeit fünf Fahrzeuge. Drei stehen an der Therme, zwei am Schmelmer-Hof. Weitere Standorte am Bahnhof (3) und im Bereich der Kurkliniken sollen hinzukommen. „Unser Ziel ist es, alle Anbieter in die App einzubinden, denn mit jedem zusätzlichen Fahrzeug wird das Modell interessanter“, so Quaas.
Ein Party-Kleinbus für die Jugend
Auch die Werndl&Partner GmbH nutzt das e-Carsharing, hat zwei Dienstwagen abgestoßen, dafür jetzt einen Tesla und einen Polestar an der Spinnereiinsel stehen, die jederzeit auch von den Kolbermoorern und den Firmen in der Spinnerei genutzt werden können. Die Luxuswagen sind zu ähnlichen Preisen buchbar wie der BMWi3, der Opel Mokka-e, der VW ID.3 oder der Mercedes e-Vito. „Der steht übrigens in Oberaudorf und ist unser meistgebuchtes Fahrzeug“, berichtet Quaas, denn in Oberaudorf sind es vor allem junge Erwachsene, die das Fahrzeug über Nacht für Gruppenfahrten zur Party buchen. Beliebt ist der e-Vito aber auch bei Touristen, die ihn für Tagesauflüge mit viel Gepäck (Ski oder Fahrräder) nutzen.
Eine Chance, das Zweitauto einzusparen
„Das Modell ist nicht nur eine Alternative zum Dienst-, sondern auch zum privaten Zweitwagen“, betont Maximilian Werndl, Geschäftsführer der Werndl&Partner GmbH. Aus der Perspektive von Projektentwicklern und Bauträgern bietet das Modell neue Möglichkeiten für die Gestaltung der Innenstädte und für die Mieter.
Das Unternehmen realisiert gerade das Projekt „Lichtspielhaus und Wohnen am Mühlbach“ im engen Innenstadtbereich von Bad Aibling. Um den Stellplatzschlüssel einzuhalten, muss eine zweigeschossige Tiefgarage mit halbautomatischem Parksystem gebaut werden. „Ganz abgesehen vom ökologischen Fußabdruck von Tiefgaragen versenken wir gerade 20 Prozent der Baukosten, also etwa acht Millionen Euro im Untergrund“, macht Werndl klar und kritisiert: „Wir können Wohnungen nicht mehr zu einem Preis bauen, den sich der Großteil der Bevölkerung leisten kann.“
Nach seinen Berechnungen haben sich allein die Baukosten für einen Stellplatz in den vergangenen zehn Jahren von 15.000 auf 35.000 bis 50.000 Euro erhöht. „Inzwischen subventioniert das Wohnen das Parken“, beschreibt er die Preisentwicklung und macht eine Rechnung auf: „Beim Kauf einer Wohnung muss der Eigentümer also 70.000 bis 100.000 Euro nur für zwei Stellplätze zahlen.“
Private Kosten-Nutzen-Bilanz verbessert sich
Ein Blick auf die private Kosten-Nutzen-Bilanz: „Für einen Mittelklassewagen zahlt man für Leasing, Reparaturen, Kraftstoff oder Strom und Stellplatz mindestens 8000 Euro pro Jahr.“ Damit, so erläutert Werndl, würden also etwa 20 Prozent eines durchschnittlichen Jahreseinkommens nur für die Finanzierung eines Fahrzeuges gezahlt. Das e-Carsharing wiederum könne diese Kosten auf etwa 2000 Euro pro Jahr und damit etwa fünf Prozent des Jahreseinkommens reduzieren.
Hinzu komme: „Wenn wir Stellplätze sparen, können wir auch die Wohnungen günstiger bauen“, betont Werndl. Dieses Modell funktioniere aber nur, wenn alle diese Chance ergreifen, und auch die Kommunen ihre Stellplatz-Satzungen mit modernen Mobilitätskonzepten koppeln und die vorgeschriebenen Stellplätze pro Wohnung reduzieren. „Wir haben es selbst in der Hand, etwas gegen die volkswirtschaftlichen Urnengräber unter unseren Städten zu tun und müssen dabei weder auf die Politik noch auf das Ende der Krise warten“, betonte Maximilian Werndl.
Bad Aibling wartet noch ab
Bad Aibling ist noch nicht soweit: „Wir haben 2021 im Stadtrat über eine Integration von Mobilitätskonzepten in die Stellplatzsatzung diskutiert. Damals war die Idee noch nicht mehrheitsfähig“, informiert Bürgermeister Stephan Schlier. Die Stadt wolle das Modell zuerst am kommunalen Projekt Karl-Wagner-Straße testen. Erst Anfang dieses Jahres hatten Werndl & Partner beantragt, zumindest zwei bis drei der oberirdischen Besucherstellplätze für Lichtspielhaus und Wohnen am Mühlbach in ein Carsharing-Angebot umzuwandeln. Dem Antrag wurde zugestimmt. Wann Mobilitätskonzepte aber grundsätzlich in die Stellplatzsatzung der Stadt Bad Aibling aufgenommen werden, steht noch immer nicht fest.
Blechlawinen oder Wohnqualität?
Die Stadt Kolbermoor ist da schon ein ganzes Stück weiter. Hier besteht bereits die Möglichkeit, bei Projekten mit Mobilitätskonzept bis zu 20 Prozent der Stellplätze zu sparen. „Das ist nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein geometrisches Thema – nicht nur in den Siedlungen, sondern vor allem im innerstädtischen Bereich, denn wir haben den Platz einfach nicht mehr“, erklärt Bürgermeister Peter Kloo. Man müsse sich zudem die Frage stellen, ob Blechlawinen an den Straßenrändern wirklich Teil einer Wohn- und Lebensqualität seien. „Deshalb bin ich dankbar für Bauträger, Energieversorger und alle anderen Partner, die sich darüber Gedanken machen.“ Aktuellstes Beispiel sei ein Geschäftsneubau an der Stadlerstraße, verdeutlichte der Bürgermeister. „Für die erforderlichen 30 Stellplätze fehlt hier der Platz. Mit einem e-Carsharing-Modell sieht das ganz anders aus.“
Modell bietet sich auch auf dem Land an
Dass e-Carsharing auch ein Modell fürs Land ist, beweist die Gemeinde Tuntenhausen: In der neuen Ostermünchener Mitte werden mit einem Mobilitätskonzept, das e-Car- und e-Bike-Sharing inkludiert, die Stellplätze reduziert. In der Nachbargemeinde Schechen wird die INNergie jetzt einen Opel Mokka-e am Seniorenzentrum „stationieren“, damit die Senioren auch ohne eigenes Auto mobil bleiben. Zudem so betont Frank Quaas, „wollen wir zeigen, dass e-Carsharing auch ein Modell für Senioren ist, denn bisher wird das Angebot vor allem von jungen Leuten genutzt“.

