Bürgerinitiativen präsentieren neues Gutachten zum Brenner-Nordzulauf
Sieben Minuten schneller, 18 Züge mehr: „Dafür geben wir unsere Heimat nicht her“
Sieben Minuten schneller und 18 Züge mehr. Diesen Effekt würde der Brenner-Nordzulauf bringen, dafür aber zehn Milliarden Euro verschlingen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die den Bürgern von Tuntenhausen, Großkarolinenfeld und Schechen jetzt vorgestellt wurde.
Tuntenhausen/Großkarolinenfeld/Schechen – Mit einem so großen Interesse hatten die Bürgerinitiativen gegen den Brenner-Nordzulauf aus Tuntenhausen, Großkarolinenfeld und Schechen nicht gerechnet. Zur Informationsveranstaltung waren circa 150 Bürger gekommen. Die Plätze im Landgasthof „Der Bräu“ in Tattenhausen reichten nicht aus. Und alle erwarteten die fachmännische Antwort auf zwei entscheidende Fragen: Brauchen wir den Neubau einer Hochleistungsstrecke? Oder reicht eine ertüchtigte Bestandsstrecke aus? Genau dieser Frage war Verkehrsplaner Dr. Martin Vieregg von der Vieregg-Rössler GmbH im Auftrag des Brennerdialog im Rosenheimer Land nachgegangen.
Gemeinden unterstützen Gutachten
Dass dieses Gutachten erstellt werden konnte, unterstützten die Gemeinden Tuntenhausen, Großkarolinenfeld und Schechen mit einem Zuschuss von jeweils 1000 Euro. Die Bürgermeister Georg Weigl, Bernd Fessler und Stefan Adam waren auf der Infoveranstaltung ebenfalls zu Gast. Auch die Gemeinden Stephanskirchen und Rohrdorf beteiligten sich.
Grundlage sind offizielle Zahlen der Bahn
„Grundlage unserer neuen Studie ist die Güterverkehrsstudie der Brenner Corridor Plattform (BCP) von Oktober 2021“, erläuterte Margit Kraus, die Vorsitzende der Bürgerinitiative Tuntenhausen. Ein Dokument, das im Auftrag der deutschen, österreichischen und italienischen Verkehrsministerien, der drei Infrastrukturbetreiber und Eisenbahnverkehrsunternehmen erarbeitet wurde.
Dr. Martin Vieregg hatte die Zahlen aus dem Jahr 2021 auf ihre Plausibilität geprüft. Mit dem Ergebnis, dass die Prognose korrigiert werden müsse. Diese geht davon aus, dass auf der Strecke zwischen München und Kufstein künftig 428 statt der bisher 250 Personen- und Güterzüge verkehren. „Dabei werden aber Fakten ignoriert, die vor allem den Abschnitt zwischen München und Rosenheim betreffen“, erläuterte Margit Kraus.
„Neue Strecke wurde nicht berücksichtigt“
So sei beispielweise eine neue Bahnstrecke zwischen München, Mühldorf und Freilassing geplant, um den Abschnitt zwischen München und Rosenheim zu entlasten und den Güterverkehr abzuleiten. Diese im Bundesverkehrswegeplan verankerte Strecke „ABS 38“ soll bis 2030 fertiggestellt werden. „Doch ihre Kapazität für den Güterverkehr wurde in der BCP-Studie ignoriert“, zitierte Kraus aus dem Gutachten. Vieregg hingegen rechnete die Strecke ein. Mit dem Ergebnis: Das Aufkommen zwischen München und Rosenheim würde sich um 46 Züge reduzieren.
Kritik: „Umwegeverkehr außer Acht gelassen“
Auch der Umwegeverkehr sei in der BCP-Studie nicht berücksichtig worden, betonte Kraus. „Um Maut zu sparen, nehmen Lkw-Fahrer heute kilometerweite Umwege in Kauf, um über Deutschland und den Brenner nach Österreich und Italien zu gelangen“, erläuterte sie. Mit der Verlagerung der Güter auf die Schiene würden die Alpenübergänge über die Schweiz und die Tauern attraktiver, da sie kürzer und billiger seien. Die Vieregg-Prognose: Weitere 85 Züge weniger zwischen München und Kufstein.
Bahn-Prognose nach unten korrigiert
Im Ergebnis prognostiziert die Vieregg-Studie 297 Züge, die im Jahr 2040 zwischen München und Kufstein unterwegs sein könnten. Die Kapazität der Bestandsstrecke liege bei 472 Zügen, ihre „betriebstaugliche Vollauslastung“ bei 354 Zügen. „Die Bestandsstrecke reicht also aus“, fasste Margit Kraus zusammen. Damit bestätige diese Studie die Forderung der Bürgerinitiativen Tuntenhausen, Großkarolinenfeld und Schechen, die schon immer argumentierten, dass der Neubau einer Hochleistungsstrecke nicht erforderlich sei.
Sie bekräftigen ihre Forderung, die Bestandsstrecke zu ertüchtigen und die Anwohner durch modernen Lärmschutz zu entlasten. „Die Güter müssen auf die Schiene und zwar sofort“, rief Kraus den Bürgern zu und machte zugleich klar, dass die Politik in der Pflicht sei, Verladekapazitäten zu schaffen, damit der Schienenverkehr für die Spediteure attraktiv werde.
Nadelöhr bremst einen gewaltigen Bau
Der Planungsabschnitt zwischen Ostermünchen und Innleiten ist etwa 14 Kilometer lang. Er beginnt bei Ostermünchen, wo unter anderem eine Verknüpfungsstelle entstehen, der Bahnhof verlegt sowie sechs Gleise zwischen Brettschleipfen und Aubenhausen in Richtung Mintsberg führen sollen. „Von hier aus ist eine riesige Vorlandbrücke bis nach Leonhardspfunzen geplant“, informierte Jakob Wallner, der Vorsitzende der Bürgerinitiative Großkarolinenfeld, über den aktuellen Planungsstand.
Den Effekt der neuen Trasse, die nach aktuellen Hochrechnungen etwa zehn Milliarden Euro kosten würde, für den Schienenverkehr beziffert Dr. Martin Vieregg in seiner Studie wie folgt: Ein Plus von 18 Zügen gegenüber der Bestandsstrecke und eine Zeitersparnis von sieben Minuten. „Grund dafür ist das Nadelöhr zwischen Trudering und Kirchseeon, das auch in Zukunft zweispurig bleiben wird“, erläuterte Kraus und fasste zusammen: „Zehn Milliarden Euro für 18 Züge und sieben Minuten. “
Forderung: Kein unwirtschaftlicher Neubau
Jakob Wallner sprach aus, was 150 Menschen im Raum mit ihrem Beifall unterstützen: „Es gibt keinen Flecken Erde, der schöner ist als unsere Heimat. Sie dafür herzugeben, ist es nicht wert.“ Die Bügerinitiativen im Brennerdialog fordern deshalb, dass der Bedarf für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von 230 Kilometern pro Stunde zurückgenommen wird und ohne eine nachweisliche Wirtschaftlichkeit kein Trassenneubau erfolgt.
„Brenner-Nordzulauf setzt mehr CO2 frei, als er einsparen hilft“
Auf Grundlage einer Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung stellen die Bürgerinitiativen auch die Klimabilanz des Brenner-Nordzulauf infrage: „Beim Tunnelbau werden pro Kilometer 27.000 Tonnen CO2 ausgestoßen“, rechnete Margit Kraus vor. Demnach würden beim Bau von zwei 32,4 Kilometer langen Tunnelröhren zwischen Inn und Kiefersfelden 1,75 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. „Dafür könnten 60 Millionen Lkw mit Verbrennungsmotoren 30 Jahre lang über den Brenner fahren“, betonte Kraus. Bei einer Untertunnelung von Ostermünchen bis Kiefersfelden, die in der Diskussion um die Neubaustrecke oft gefordert wurde, wären es ihren Berechnungen zufolge 3,24 Millionen Tonnen CO2, was 111 Millionen Lkw-Fahrten und 60 Jahren entspräche. Kraus: „Der Klimaschaden des Brenner-Nordzulauf amortisiert sich niemals. Er setzt mehr CO2 frei, als er einsparen hilft.“
Um seinen Forderungen mehr Gehör zu verschaffen, plant der Brennerdialog weitere Informationsveranstaltungen und Protestaktionen. Schon am Donnerstag, 27. April, stellt Gerhard Müller, Bahndirektor a. D., Alternativen zur Neubaustrecke vor. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr im Gasthof „Bräu“ in Tattenhausen. Gleichzeitig, so betonte Kraus, sei es wichtig, eine noch „stärkere Basis als schlagkräftiges Argument“ gegen den Brenner-Nordzulauf zu formieren und rief dazu auf, der Bürgerinitiative beizutreten und sich im Helferkreis zu engagieren.
