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Upcyclerin Gudrun Weber

„Wir haben von allem zu viel“: Wie eine Söchtenauerin der Fast-Fashion den Kampf ansagt

Fertigt Neues aus der Überschuss-Produktion: die Upcyclerin Gudrun Weber.
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Fertigt Neues aus der Überschuss-Produktion: die Upcyclerin Gudrun Weber.

Gudrun Weber (58) aus Söchtenau hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Modewelt nachhaltiger zu gestalten. In ihrer Manufaktur in einer Villa aus dem 19. Jahrhundert veredelt sie alte Stoffe zu einzigartigen Kleidungsstücken - und veranstaltet regelmäßig Workshops.

Von: Martina Poll

Söchtenau – Gudrun Weber hat sich ganz dem Upcycling verschrieben. Das fängt schon bei dem Haus in Söchtenau an, in dem sich ihre kleine Manufaktur befindet. Die Villa aus dem 19. Jahrhundert sollte eigentlich abgerissen werden und Platz machen für ein neues Projekt.

„Der Bürgermeister hat mir versprochen, dass das nicht passieren wird,“ freut sich die 58-jährige Mode-Designerin, die auch im Gemeinderat sitzt. Das alte Haus mit seiner besonderen Atmosphäre inspiriert nicht nur sie. „Hier finden regelmäßig Näh-Workshops statt, man kann etwas Neues machen oder etwas Altes umnähen, es kommt immer etwas Besonderes dabei heraus,“ so Gudrun Weber.

Aus Geldmangel angefangen

Ihre Leidenschaft fürs Nähen und Reparieren entdeckte sie schon früh: Aus einer kinderreichen Familie stammend konnte sie sich nicht immer leisten, was ihr gerade so gefiel und so fing sie früh mit dem Nähen an. „Mein erstes Projekt, eine Hose aus zwei Röhren, ging gründlich schief.“

Aber sie lernte dazu und verdiente sich Kost und Logis bei einem Auslandsaufenthalt in Neuseeland mit dem Reparieren von Kleidung. „Das war quasi eine moderne Form des Tauschhandels“, erzählt sie lachend. „Davon sollte man heutzutage öfter Gebrauch machen. Verborgene Talente schlummern in jedem!“

Nach ihrem Abschluss an der Modefachschule Sigmaringen landete sie zunächst in einem kleineren Unternehmen und von dort aus bei einem Hersteller von Casual Wear. Hier lernte sie die Modewelt mit all ihren Facetten kennen von der Beschaffung über die Entwicklung bis zur Prototypennäherei.

Produktionsstätten in Asien

Sie kam in Produktionsstätten in Asien, sah die Geschäftsmodelle der großen Modeketten und wurde damit konfrontiert, wie die sogenannten Fast Fashioner die Menschen ausbeuten. „Wenn ein T-Shirt 5 Euro kostet, aber um die ganze Welt reist, muss irgendjemand leiden.“

Meistens, so Gudrun Weber, sind es die Frauen, die für wenige Cent pro Stunde in riesigen Hallen nähen, wo man am Eingang das andere Ende nicht sieht. „Von Fair-Trade kann hier keine Rede sein, auch das Wort Unfair trifft die Situation nicht, Ausbeutung oder Sklaverei ist treffender.“ Bezahlung von Mindestlöhnen: Fehlanzeige. Die Regierungen verhindern genau das, damit die Mode-Firmen im Land bleiben.

Blick auf Katastrophe

Vor zehn Jahren mussten in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh über 1000 Menschen dafür mit dem Leben bezahlen: Am 24. April 2013 starben bei dem bisher größten Unfall in der internationalen Textilindustrie mehr als tausend Menschen. Schon am Tag vor dem Unglück wurden Risse in dem Gebäude entdeckt, viele Menschen wurden jedoch gezwungen, ihre Arbeit fortzusetzen. Sie hatten hauptsächlich Kleidung für den Export an große Modeketten produziert, wo jeder schon einmal eingekauft hat. Vielleicht ein T-Shirt für 5 Euro, eine Jeans für 9,90.

Und weil‘s so billig ist, noch die Bluse für 14,90? An diesen Stücken klebt vielleicht kein Blut, aber jemand hat sie wahrscheinlich unter für uns unvorstellbaren Bedingungen hergestellt. War das vielleicht einer der Gründe, warum sich Gudrun Weber vor neun Jahren selbständig machte? Sie gründete einen Handwerksbetrieb in Söchtenau, um von nun an qualitativ hochwertige Mode anzufertigen. „Als ich mit meiner Upcycling-Idee hierherkam, wusste noch keiner, wie man das überhaupt schreibt.“

Vorhandenes veredeln

Grundidee war von Anfang an, Vorhandenes zu veredeln. Das können Restposten aus Produktionen sein, Stoffüberschüsse oder auch „Sammelware“ nach Aufrufen. „Ich bin mit vielen verschiedenen Formen konfrontiert und es ist schon eine Herausforderung, aus Stoffen etwas zu machen, die eigentlich nicht dafür gemacht sind.“

„Circular“ nennt sie ihre Kollektion, die sie hauptsächlich aus neuen Herrenhemden aus der Überschuss-Produktion fertigt. Da werden die Krägen abgetrennt und Rüschen eingesetzt, die Ärmel verkürzt oder in eine andere Form gebracht, vielleicht noch ein kleines Bändchen irgendwo angenäht, fertig ist die „Mary-Poppins-Bluse“.

Einzigartig und sehr persönlich

Auf dem Etikett steht: „Was war ich - Jetzt bin ich - Nun gehöre ich.“ Wer sich für ein solches aus hochwertigen Stoffen gefertigtes Teil entscheidet, erhält etwas Einzigartiges und sehr Persönliches.

Die Alternative dazu schaut düster aus. Die Qualität der Textilien nimmt immer mehr ab, Recycling wird zunehmend schwieriger. Altkleider aus Kunststoffasern können nicht einmal mehr als Grundlage für Putzlumpen eingesetzt werden. Von den etwa 20 Kilogramm Altkleidern, die wir alljährlich brav zur Sammelstelle tragen, kann nur ein Bruchteil verwertet werden.

Dazu kommt das, was am Ende der Saison nicht einmal nach drastischer Preisreduzierung in den Läden an den Mann oder die Frau gebracht werden konnte. Millionen Tonnen von Textilien werden verbrannt! Die Fast-Fashion-Mentalität fördert die Wegwerf-Mentalität: Durch ständig wechselnde Modetrends, werden Kleidungsstücke oft nur wenige Male getragen und dann entsorgt. Die Textil- und Modebranche hinterlässt einen großen Fußabdruck. Allein das Herstellen und das Färben braucht enorme Mengen an Wasser. Die Textilindustrie ist eine der schmutzigsten Industrien überhaupt: Sozial und ökologisch.

Bewusstsein schärfen

Was kann eine kleine Werkstatt in Söchtenau mit zwei Mitarbeiterinnen da ausrichten? „Wir verschwenden täglich enorme Mengen von Ressourcen, das kann sich die Menschheit eigentlich nicht mehr leisten.“ Gudrun Weber hat eine Mission: „Wir müssen junge Leute über Kreisläufe aufklären, das Bewusstsein schärfen für die Auswirkungen von Textilien, die Vorteile eines zirkulären Prozesses darlegen.“

Die Mode, so Gudrun Weber, hat sich an manchen Punkten selbst ad absurdum geführt. Wir müssten weniger Klamotten konsumieren und vielmehr unseren eigenen Stil finden. Wir sollten Wertschätzung neu lernen und auf Qualität statt auf Quantität achten. „Wir haben von allem zu viel,“ ist das Credo der Designerin. Doch, so sagt sie, es gibt Licht am Ende des Tunnels. Die „Slow Fashion-Community“ wächst. „Am Anfang saßen ein paar Hanseln hier herum, jetzt trifft man sich auf Messen wie der „Green Style“ München oder auf der Nachhaltigkeitsmesse E-XPO in Salzburg.“

Gebraucht und schadstofffrei

Und auch der Second-Hand-Handel boomt vielerorts. In Oberaudorf im Landkreis Rosenheim veranstaltet die Reisacher Frauengemeinschaft zweimal im Jahr einen Markt für gebrauchte Kinderkleidung in der Turnhalle der Privaten Inklusions-Schule Inntal. „Wir setzten den Recycling-Gedanken direkt um,“ so Sonja Hagen, die den Kinderkleidermarkt organisiert.

„Ungefähr 100 Lieferanten haben wir hier bei jedem Markt, gerade Kleidung von Kleinkindern ist oft wenig getragen und so gut wie neu, wenn wir sie bekommen.“ Um 10 Uhr öffnet der Markt für wenige Stunden seine Türen, doch schon lange vorher herrscht dichtes Gedränge. „Man kann hier richtige gute Schnäppchen machen und hat eine riesige Auswahl. Außerdem ist die Kleidung schon getragen und gewaschen und damit frei von Schadstoffen. Darauf achten viele junge Mütter.“

Jedes Jahr im April findet der „Fashion Revolution Day“ in Gudrun Webers Atelier statt.

Woher kommt das Kleidungsstück?

Einen Tag lang kann man sich in einem Workshop mit der Herkunft unserer Kleidung auseinandersetzen und selbst Hand anlegen: Ein nicht mehr passendes Kleid aufstylen, ein Hemd vom Papa umnähen oder die nicht mehr ganz moderne Abendrobe der Mutter dem neuen Trend anpassen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Upcyclerin Gudrun Weber hat für jedes Teil eine wirklich passende Lösung auf Lager.

Globale Kampagne Fashion Revolution

Mit der Frage „Who made my Clothes?“ fordert die globale Kampagne Fashion Revolution zur Auseinandersetzung mit der Herkunft unserer Bekleidung auf.

Dadurch will sie das Bewusstsein von Modekonsumenten für transparente Produktionsketten und faire Arbeitsbedingungen schärfen. Konventionelle Modemarken sollen sich für einen fairen und ressourcenschonenden Produktionsprozess entscheiden.

Mit dem jährlichen Gedenktag Fashion Revolution Day am 24. April, ruft die Kampagne dazu auf, die positive Seiten der Modeindustrie zu feiern.

An diesem Tag stellen Designer, Einzelhändler, Brands, Produktionen und viele andere, im Gedenken an den Fabrikeinsturz in Bangladesch vom 24. April 2013, nachhaltigere Produktionsverfahren und Konzepte vor. Sie sprechen zudem intensiv Menschen mit der Frage nach der Herkunft ihrer Kleidung an – und schaffen so Bewusstsein.

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