Streit um Flüchtlingsunterkunft
„Wir sind es den Bürgern schuldig“: Mit diesen Argumenten will Rott gegen das Landratsamt klagen
Die geplante Flüchtlingsunterkunft in Rott sorgt weiter für Streit: Bürgermeister Wendrock und Anwalt Jürgen Greß sprechen von „schweren rechtlichen Bedenken“ bei der Baugenehmigung. Wie es jetzt weiter geht und mit welchen Argumenten Rott hofft, den Rechtsstreit zu gewinnen.
Rott - Donnerstag, 9. Januar, 18.50 Uhr in Rott: Kaum ein Gemeinderatsmitglied ist zehn Minuten vor Sitzungsbeginn schon im Sitzungssaal. Anders sieht es bei den Rotter Bürgern aus, der Zuschauerraum ist brechend voll. So voll, dass Geschäftsleiter Maximilian Brockhoff einen Zettel an die Tür hängen muss „Aus Platzgründen können wir keine weiteren Zuhörer und Zuhörerinnen in den Sitzungssaal einlassen.“ „Leider nichts zu machen“, sagt Brockhoff mit einem bedauernden Schulterzucken zu einigen enttäuschten Bürgern, die wieder umdrehen müssen.
Der Grund für den Ansturm ist offensichtlich: Diese Sitzung ist entscheidend für Rott. Es geht, wie so oft, um die Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete, geplant im Gewerbegebiet „Am Eckfeld“. An diesem 9. Januar will der Gemeinderat entscheiden, ob Rott gegen die Baugenehmigung des Landratsamts klagt oder nicht.
Bürgermeister sieht Baugenehmigung als „rechtswidrig“
Bürgermeister Daniel Wendrock (parteifrei) hatte bereits im Vorfeld seine Meinung dazu kundgetan. Er möchte klagen, ohne Zweifel. Schon vor einigen Tagen sprach er von „schweren rechtlichen Bedenken“. An dieser Meinung hielt er auch in der Sitzung fest. „Die juristische Prüfung hat daran nichts geändert“, erklärte Wendrock. Die Baugenehmigung für die Unterkunft sei „rechtswidrig“ und „inakzeptabel“. Zulasten von Rott wolle das Landratsamt hier die Probleme mit der Turnhallenbelegung in Bruckmühl und Raubling lösen. Erneut betonte er die Notwendigkeit einer kooperativen paritätischen Verteilung von Geflüchteten und nicht, die Unterbringung „den Zufällen des Immobilienmarktes“ zu überlassen.
Jürgen Greß, Rechtsanwalt der Gemeinde, unterstützte in seinen Ausführungen diese Meinung. „Mit der Baugenehmigung greifen das Landratsamt Rosenheim und die Regierung von Oberbayern erheblich in die Planungshoheit der Gemeinde ein“, erläuterte er und zählte die bekannten Argumente auf: Zum einen die Tatsache, dass sich die Unterkunft im Gewerbegebiet befindet, welches mit einer Veränderungssperre belegt ist. „Grundsätzlich ist es deshalb unmöglich, hier eine Baugenehmigung zu erteilen“, so Greß. Lediglich mithilfe des Paragrafen 246, Absatz 14 im Baugesetzbuch könne über diese Sperre hinweg gegangen werden. Der gesamte Paragraf dient dazu, die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in Ausnahmefällen zu erleichtern. „Wir haben aber große Zweifel, ob die Voraussetzungen für die Sonderregelung gegeben ist“, erläuterte Greß weiter.
Paragraf nur als Notstands-Regelung
Der Paragraf könne nur im Ausnahmefall, also bei Notstand, angewandt werden. „Es ist unserer Meinung nicht nachgewiesen, dass im Landkreis Rosenheim so ein dringender Bedarf besteht“, so Greß. Zum einen hätte das Landratsamt durch die Alternativvorschläge der Gemeinde „längst eine der Turnhallen freibekommen können“, darauf sei aber nicht eingegangen worden. Zum anderen würden auch die Flüchtlingszahlen grundsätzlich zurückgehen. „Aus unserer Sicht ist deshalb nicht nachzuvollziehen, warum die Unterbringung so dringlich ist“, meinte Greß.
Auch die bekannten Probleme mit der Trinkwasserversorgung und dem ausgelasteten Abwassersystem würden weiterhin bestehen. Bei Errichtung der Flüchtlingsunterkunft sei es der Gemeinde aus diesen Gründen unmöglich, das Baugebiet „Rotter Feld“ weiterzuverfolgen, was einen massiven Eingriff in die Planungshoheit einer Kommune bedeute. Zudem bestünden weiterhin Bedenken zum Brandschutz und zu den mangelnden Sanitäranlagen am Gebäude. Außerdem liege die notwendige Verpflichtungserklärung zum Rückbau der Unterkunft seitens des Landratsamts nicht vor. Greß empfahl deshalb zu klagen und zusätzlich einen „Eilantrag auf Abordnung der aufschiebenden Wirkung“ einzureichen. Denn eine Klage allein hindere das Landratsamt nicht, die Baugenehmigung noch während des laufenden Gerichts-Verfahrens umzusetzen. Heißt: Es könnten Geflüchtete noch währenddessen in die Gewerbehalle einziehen. Nur ein Eilantrag könne dies verhindern, so Greß.
Gemeinderat unterstützt Empfehlung
Wenig überraschend zeigte sich der Gemeinderat einig, der Empfehlung zu folgen. „Uns bleibt nicht anderes übrig, als gerichtlich vorzugehen“, meinte Johann Gilg (Bürger für Rott). „Allein die Tatsache, dass hier keine Verpflichtungserklärung abgegeben wurde, zeigt, dass nicht daran gedacht wird, 2028 die Unterkunft aufzugeben“, so Gilg. Auch Johann Kirchbaum (Rotter Forum) sprach sich für eine Klage aus und warf dem Landratsamt „gravierende Fehler“ bei der Planung der Unterkunft vor. Die Probleme der Trinkwasserversorgung und des Abwassersystems der Gemeinde sowie die mögliche Quecksilber-Belastung des Gebäudes seien von Anfang an bekannt gewesen. „Wenn im Vorfeld an richtiger Stelle gefragt worden wäre, hätte man erfahren können: Lasst die Finger davon“, meinte Kirchbaum.
Dritter Bürgermeister Christoph Sewald (SPD) attestierte der Gemeinde 13 Monate Verhandlungsbereitschaft. 13 Monate habe Rott versucht, einen Kompromiss zu finden. „Ich bin massiv enttäuscht, wie das hier seitens der höheren Politik gelaufen ist“, meinte Sewald. „Wir sind es den Bürgern schuldig, zu klagen.“ Max Zangerl (Bürger für Rott) fragte sich, ob in diesem Fall nicht sogar ein Tatbestand seitens des Landratsamts vorliege, angesichts der Tatsache, dass der Mietvertrag seit über einem Jahr laufe und bezahlt werde. „Hier wurde über ein Jahr Steuergeld verschwendet. Das ist unser Geld“, empörte sich Zangerl. „Das sollte wirklich von einer höheren Stelle geprüft werden.“
Einstimmig beschloss der Gemeinderat, zu klagen. Voraussichtlich kommende Woche, kündigte Bürgermeister Wendrock an, werde die Klage, gemeinsam mit dem Eilantrag, beim Verwaltungsgericht eingereicht. Über den Eilantrag muss das Gericht innerhalb von zwei Monaten entscheiden.