Dramatische Minuten im Zug
Nach Zusammenbruch am Bahnhof: Rentnerin ist gerührt von Hilfsbereitschaft des Schaffners
Am 4. Juli brach eine Rentnerin im Zug von Rosenheim nach Bad Aibling zusammen. Für die 83-Jährige war es eine kurze, aber dramatische Zugfahrt. Was der Frau auf ihrer Reise passierte, wie es ihr heute geht und warum sie deswegen tief gerührt ist.
Rosenheim/Bad Aibling – Der 4. Juli war ein warmer Dienstag, als sich Erika Will auf den Weg zum Bad Aiblinger Bahnhof machte. Sie wollte sich mit einer Freundin aus ihrer Kindheit treffen, die aus Kanada zu Besuch war. Bereits einige Tage zuvor hatte Will schon mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt. Vor allem Bauchschmerzen hatten der 83-Jährigen zugesetzt. Doch das sollte sie nicht davon abhalten, trotzdem in den Zug zu steigen. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellte.
Auf den Besuch ihrer Freundin hatte sich die Rentnerin schon lange gefreut. „Wir sind zusammen groß geworden“, erinnert sich Will. Beide zogen aus ihrer Heimatstadt Münster weg. Für Will ging es nach Bayern und für ihre Freundin nach Kanada. Doch der Kontakt hält auch heute noch an. Dieses Jahr sollte es endlich wieder zu einem Treffen kommen. Für Will ein freudiger Moment. Und so machte sie sich am an jenem Dienstag, 4. Juli, mit dem Zug von Bad Aibling nach Rosenheim auf.
Zustand verschlechtert sich drastisch
Am Bahnhof in Rosenheim angekommen, verschlechterte sich ihr Zustand drastisch. Neben den Bauchschmerzen setzte nun auch Schwindel ein. „Ich dachte, ich komme nicht mehr weiter“, sagt Will. Doch das Treffen absagen, sei weiterhin keine Option gewesen. „Wer weiß, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen“, sagt sie. Mit langsamen Schritten habe sie das Gleis gewechselt. Dort angekommen wartete sie auf den Zug nach München. Nach einigen Minuten fuhr der Zug ein. Als Will gerade einsteigen wollte, habe sich ihr Zustand erneut verschlechtert. „Ich dachte nur: Es geht nicht mehr, du musst hier bleiben.“
Die 83-Jährige bewegte sich nicht. Der Schwindel und die Bauchschmerzen seien immer schlimmer geworden. Die Türen schlossen sich vor ihr und der Zug fuhr ohne sie ab. Mit zittrigen Fingern habe sie die Nummer ihrer Freundin ins Handy getippt. „Ich sagte ihr, wie leid es mir tut, aber ich konnte nicht mehr“, sagt Will. Die Freundin versuchte, sie zu beruhigen. Erst dann drehte sich Will um und verließ den Bahnsteig. Langsam ging sie zum Gleis in Richtung Bad Aibling. Auch hier hieß es kurz warten. Plötzlich habe auch ihr Herz angefangen, ihr Sorgen zu machen. Der Zug fuhr ein und mit letzter Kraft habe sich die 83-Jährige auf einen Sitz fallen lassen. Dann soll ihr Kreislauf zusammengebrochen sein.
Schaffner eilt zur Hilfe
Ein junger Schaffner sei ihr direkt zur Hilfe gekommen. „Er fragte, ob es mir nicht gut ginge“, erinnert sich Will. In dem Moment habe sie kaum noch Luft bekommen. „Sofort hat er meine Füße hochgelegt und gab mir seine Wasserflasche“, sagt sie. Dann seien ihr die Tränen gekommen. Will erinnert sich weiter: „Der junge Mann hielt meine Hand und beruhigte mich.“ Als die Rentnerin zur Ruhe kam, verließ der Schaffner sie für einen kurzen Moment. „Er hat seinen Chef um Erlaubnis gefragt, ob er mit mir in Bad Aibling aussteigen könne“, sagt Will. Sein Vorgesetzter willigte ein, die Rentnerin sicher nach Hause bringen zu lassen. Für den Schaffner sei dies selbstverständlich gewesen. „Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig helfen“, soll er zu Will gesagt haben.
In Bad Aibling angekommen, seien sie ausgestiegen. Zwei Fahrgäste kamen auf sie zu und bieten ihre Hilfe an. Erneut bricht der Kreislauf der Rentnerin zusammen. Die Helfer setzten sie auf eine Holzbank am Bahnsteig und riefen den Rettungswagen. Die Sanitäter stellten einen erhöhten Blutdruck und Puls fest. Sie wollen die 83-Jährige ins Krankenhaus bringen, doch sie lehnt ab. Erst als die Sanitäter sich versichert hatten, dass die Nachbarin von Will ein Auge auf sie habe, brachten sie die Rentnerin nach Hause. „Die Hitze strengt uns Älteren eben etwas an“, sagt sie.
Die Frau schreibt einen Dankesbrief an ihren Ersthelfer
In den nächsten Tagen erholt sich Erika Will von ihren Beschwerden. Nun möchte sie sich bei ihrem Helfer bedanken. Dafür schrieb sie ihm einen Brief. „Es ist nur eine kleine Geste, aber die vergisst man nie“, sagt Will. In den Brief betont sie: „Ich erlebte eine Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft.“ Sie könne den Frust vieler Fahrer verstehen, „aber die Bahn besteht nicht nur aus Zügen und Bahnhöfen.“ Ihrer Meinung nach vergessen viele, dass es auch immer um „mitfühlende Menschen“ gehe. Die Anteilnahme des Schaffners schätze sie sehr und habe sie gerührt.
Inzwischen sei die erneut mit dem Zug nach Rosenheim gefahren. Denn den Brief wollte sie persönlich abgeben. Die Mitarbeiterin am Informationsschalter habe sich sehr darüber gefreut. „Zur Zeit schimpfen alle nur über uns“, soll sie der Rentnerin gesagt haben. Daher seien solche Briefe immer ein freudiges Ereignis. Dem stimmt auch Will zu. „Zur Zeit gibt es viel zu viele Horror-Nachrichten“, sagt sie. Erst kam Corona, dann der Ukraine-Krieg und dann die knappen Lebensmittel und steigenden Kosten. „Die Leute sind nur noch gestresst“, so die Rentnerin. Mit ihrem Erlebnis wolle sie den Menschen auch mal eine positive Nachricht zukommen lassen. „Es ging um Nächstenliebe, Zuwendung und Hilfsbereitschaft und das braucht es zur Zeit.“
