Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Trotz strikter Regeln und Vorgaben

Fentanyl-Hochburg Rosenheim: Warum es immer wieder Probleme mit der gefährlichen Droge gibt

Ein Pflaster mit dem Wirkstoff Fentanyl. Es ist stärker als Morphin und wird verwendet, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichen.
+
Ein Pflaster mit dem Wirkstoff Fentanyl. Es ist stärker als Morphin und wird verwendet, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichen.

In der Region starben binnen eines Jahres drei Menschen an den Folgen des Fentanyl-Missbrauchs. Jetzt hat die Polizei zwei Tatverdächtige wegen des Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln festgenommen. Doch das Problem bleibt – auch weil die Drogenszene erfinderisch ist.

Rosenheim – Es ist eine ungewöhnlich gefährliche Methode: Drogenabhängige durchsuchen Abfälle von Kliniken und Altenpflegeheimen nach gebrauchten Fentanyl-Pflastern. Sie kochen die Pflaster aus, um den Wirkstoff herauszulösen und ihn dann intravenös zu injizieren. „Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt wird, beispielsweise bei Krebspatienten oder nach Operationen“, erklärt der Rosenheimer Sucht-Experte Benjamin Grünbichler, der als Geschäftsführer bei „neon“ arbeitet.

Wenn die Schmerzmittel nicht ausreichen

Fentanyl ist ihm zufolge stärker als Morphin und wird oft verwendet, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichen. Das Problem: Das künstlich hergestellte Opioid kann bereits in kleinen Mengen zu einer Überdosierung führen. „Zudem wird es illegal missbraucht, was das Risiko weiter erhöhen kann“, ergänzt Grünbichler. Denn Fentanyl wird nicht nur,auf legalem Weg von Ärzten in Krankenhäusern oder Schmerztherapiezentren verschrieben, sondern ist eben auch auf dem Schwarzmarkt erhältlich, wo es illegal gehandelt wird.

Die Folgen sind auch im Polizeipräsidium Oberbayern Süd bekannt. „Im Verlauf des Jahres 2022 kam es im gesamten Bereich des PP Oberbayern Süd zu etwa 70 aktenkundigen Vorfällen, bei denen Fentanyl-Pflaster missbräuchlich verwendet, beziehungsweise sichergestellt wurden“, sagt Sprecherin Lisa Maier auf OVB-Anfrage. Der Wert liege deutlich über dem der Vor-Corona-Jahre. „Im Jahr 2023 scheint der Trend wieder leicht rückläufig zu sein“, sagt sie.

Vier Drogentote in der Region im Jahr 2022

Aber Maier macht auch kein Geheimnis daraus, dass sich ein Schwerpunkt in der Stadt und im Landkreis Rosenheim abzeichnet. „Vorgänge in Bezug auf illegalen Konsum von Fentanyl im Raum Rosenheim sind durchaus überproportional feststellbar“, sagt die Sprecherin. So hat es im Einsatzgebiet des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd insgesamt 18 Rauschgifttote gegeben, sechs davon sind vermutlich an einem Fentanyl-Missbrauch gestorben. In der Region Rosenheim sind vier Menschen an einer Überdosis gestorben, bei drei von ihnen war vermutlich Fentanyl im Spiel. „Im Jahr 2023 dürfte die Zahl der Rauschgifttodesfälle wohl ansteigen“, ergänzt Maier. Am Konsum von Fentanyl aber scheint die Steigerung nicht zu liegen.

Eine Übersicht über die drogenbedingten Todesfälle.

Die Frage, warum der Fentanyl-Konsum vor allem in der Region so hoch ist, lässt sich schwer beantworten. Zumal es – gerade bei der Verschreibung, aber auch bei der Entsorgung der Pflaster – strikte Regeln gibt. „Bei Fentanyl handelt es sich um ein Betäubungsmittel. Hierfür gibt es spezielle Rezepte und auch besondere Dokumentationspflichten. Es ist also deutlich schwieriger, ohne tatsächlichen Bedarf etwas zu bekommen“, sagt Florian Nagele, Geschäftsführer der Mangfall-Apotheke und Vertreter der Landesapothekenkammer in der Region.

Hinzu kommt, dass Fentanyl in der Apotheke in einem Tresor gelagert werden muss, der den Anforderungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entspricht. „Unter 1000 Kilogramm Gewicht muss der Tresor mit Wand oder Boden verankert sein, ein Diebstahl ist hier also schwer möglich“, ergänzt Nagele.

59 Delikte mit dem Arzneimittelgesetz

Zudem wird die Abgabe von Medikamenten verweigert, wenn der Verdacht besteht, dass sie missbräuchlich verwendet werden sollen. „Die Apotheke kontaktiert in der Regel den verordnenden Arzt, um Rücksprache zu halten, ob die Verordnung korrekt ist oder eventuell eben nicht“, sagt Nagele. Dann werde im Einzelfall entschieden, wie weiter verfahren wird. Dies sei in der Regel oftmals nicht einfach zu entscheiden, da Apotheker einer Schweigepflicht unterliegen und somit abzuwägen ist, ob diese überhaupt gebrochen werden darf, indem man Informationen beispielsweise an die Polizei weitergibt. Insgesamt wurden im Jahr 2022 laut Polizei 59 Delikte mit Bezug zum Arzneimittelgesetz erfasst.

Auch Florian Nagele weiß, dass Abhängige – gerade bei Fentanyl – oftmals im Müll von Krankenhäusern oder Pflegeheimen nach gebrauchten Pflastern suchen. Aus diesem Grund gibt es beispielsweise im Rosenheimer Romed-Klinikum strikte Regeln, wie die Pflaster entsorgt werden müssen. „Bei der Entsorgung von Betäubungsmitteln müssen zwei Zeugen anwesend sein und mittels Unterschrift die korrekte Vernichtung bestätigen“, sagt Pressesprecherin Claudia Meyer.

Klare Vorgaben bei der Verschreibung

In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass es im Romed-Klinikum nur in seltenen Fällen zu einer Neuverschreibung von Betäubungsmitteln für den Zeitraum nach der Entlassung kommt. Sollte es doch einmal dazu kommen, gibt es auch hier klare Vorgaben. So sei eine Betäubungsmittel-Verordnung nur mittels eines gesonderten amtlichen dreiteiligen Formulars möglich, welches über die Bundesopiumstelle von dem verordnenden Arzt persönlich zu beantragen ist. „Der dritte Teil dieser Verordnung verbleibt beim verordnenden Arzt und muss von ihm drei Jahre aufbewahrt werden“, ergänzt Meyer.

Für Benjamin Grünbichler müsste die Präventionsstrategie jedoch viel früher ansetzen. „Das Wichtigste aus unserer Sicht ist es, die psychotherapeutische Versorgung für Menschen mit psychischen Belastungen zu gewährleisten“, sagt der Suchtexperte. Die Wartezeiten für einen Psychotherapieplatz betragen laut dem Experten häufig mehrere Monate. „In dieser Zeit verfestigen sich seelische Probleme und begünstigen den unreflektierten Substanzgebrauch beziehungsweise Medikamentenmissbrauch“, sagt Grünbichler.

Weitaus mehr Todesfälle durch Alkoholkonsum

Er erinnert zudem noch einmal daran, dass in Deutschland jedes Jahr zwischen 65.000 und 70.000 Menschen an den direkten Folgen des Alkoholkonsums und 130.000 an den direkten Folgen des Rauchens sterben. „Uns Suchtberater wundert es daher häufig, wie viel Aufmerksamkeit die übrigen Drogen und Medikamente erhalten, die zusammen genommen unter 2000 Todesfälle im Jahr verursachen“, sagt er. Die eigentlichen Probleme hinter Sucht und Drogenmissbrauch gehen die Verantwortlichen ihm zufolge viel zu halbherzig an.

Das sagt Burkhard Blienert, Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung:

 „Der Fentanylkonsum ist in Deutschland nicht annähernd so verbreitet wie in den USA und Kanada. Eine Opioid-Krise wie in den USA und Kanada wird sich bei uns nicht wiederholen, wir haben grundsätzlich andere, bessere Voraussetzungen. Aufgrund der sechsmonatigen stichprobenartigen Fentanyl-Testungen in 17 Drogenkonsumräumen wissen wir aber, dass Fentanyl in Deutschland angekommen ist. Darum müssen wir aufmerksam sein, müssen die Entwicklungen in Deutschland klar im Blick haben. Drogenmärkte sind extrem dynamisch und organisierte Kriminalität agiert global. Darum arbeiten wir hier eng mit internationalen Partnern zusammen, beobachten unseren Drogenmarkt und werden Schritte ergreifen, um im Fall der Fälle gegenzusteuern. 

Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine längere Liste an Maßnahmen angestoßen, darunter unter anderem der modellhafte Einsatz von Fentanylteststreifen in Drogenkonsumräumen. Auch mit der 2023 geschaffenen Möglichkeit zum Drug Checking beugen wir etwaigen Überdosierungen durch synthetische Opioide wie Fentanyl vor, und auch die Nutzung des Notfallmedikaments Naloxon, das selbst medizinische Laien verabreichen können, leistet einen Beitrag zur Notfallvorsorge.

Ausgangspunkt der Fentanylkrise in den USA war eine übermäßige Verschreibung von starken Schmerzmitteln. Da sind wir in Deutschland weitaus vorsichtiger. Vor allem hochwirksame Schmerzmittel sind bei uns als Betäubungsmittel eingestuft und ihre Verschreibung unterliegt demnach strengen Regeln. Dennoch wäre auch bei uns möglich, dass Heroin-Konsumierende vermehrt auf preiswerteres Fentanyl ausweichen. Darum beobachten wir die Lage in Europa sehr genau und stehen national sowie international in engem Austausch.“

Kommentare