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Diskussion um Nordisches Modell

„Rosenheim ist eine Hochburg der Prostitution“: Diese Frau fordert ein Sex-Kauf-Verbot

Fachärztin Dr. Margot Kreuzer setzt sich für die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland ein. Demnach werden die Käufer von Sexdiensten bestraft – nicht die Prostituierten.
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Fachärztin Dr. Margot Kreuzer setzt sich für die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland ein.

In Rosenheim gibt es zahlreiche Bordelle. Zwar ist die Anzahl in den vergangenen Jahren leicht gesunken, trotzdem sorgt das Thema nach wie vor für Diskussionsstoff. Die Rosenheimerin Dr. Margot Kreuzer kämpft schon seit Jahren für ein Sexkauf-Verbot. Wieso daran in ihren Augen kein Weg vorbeiführt.

Rosenheim – Seit 30 Jahren arbeitet Dr. Margot Kreuzer als Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Psychoanalyse und Traumapsychotherapie. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit sexuell traumatisierten Frauen. Sie engagiert sich bei Terre des Femmes in der Arbeitsgemeinschaft Frauenhandel und Prostitution, ist Koordinatorin der Städtegruppe Rosenheim sowie der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit beim „Bündnis Nordisches Modell“. Ähnlich wie CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär setzt sie sich für ein Verbot von käuflichem Sex ein. „Wir brauchen dringend einen Paradigmen-Wechsel“, sagt sie im OVB-Interview.

Ist Prostitution in Rosenheim überhaupt ein Thema?

Dr. Margot Kreuzer: Rosenheim ist eine Hochburg der Prostitution. Nach meinem Kenntnisstand gibt es circa 20 Bordelle in der Stadt. Hinzu kommt die nicht gemeldete Wohnungsprostitution: Frauen mieten sich eine Wohnung und empfangen dort ihre Freier. Über 80 Prozent der Frauen in der Prostitution sind nicht deutscher Herkunft. Sie kommen aus Osteuropa, Afrika und Asien, aus armen Ländern wie zum Beispiel Rumänien, Bulgarien oder Nigeria. Seit Beginn des Krieges vermehrt auch aus der Ukraine. Viele Frauen wurden und werden von Menschenhändlern im Berliner Bahnhof abgefangen und mit falschen Versprechungen in die Prostitution gelockt.

Gibt es so etwas wie selbstbestimmte Sexarbeit?

Kreuzer: Von Sexarbeit zu sprechen, ist eine Verharmlosung und Verschleierung. Viele Frauen, die der Prostitution nachgehen, befinden sich in einer emotionalen oder wirtschaftlichen Krisensituation. Sie haben zum Beispiel Schulden, sind drogenabhängig, haben keine Ausbildung und/oder einen prekären Aufenthaltsstatus. Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich freiwillige Prostitution. Studien belegen, dass über 90 Prozent der Frauen am liebsten aussteigen würden, wenn sie denn könnten. Schon die Vorstellung bis zu zehn Männer pro Tag in sich eindringen zu lassen oder anderswie sexuell zu befriedigen, ist für die meisten Frauen undenkbar.

Trotzdem bleiben viele Jahre über Jahre hinweg in der Prostitution.

Kreuzer: Oftmals entsteht eine psychische Abhängigkeit zwischen den Frauen und ihrem Zuhälter oder Bordellbetreiber. Hinzu kommt, dass die Frauen oft erheblich vorgeschädigt sind. Viele Frauen sind in irgendeiner Form sexuell traumatisiert. Sei es, dass sie vergewaltigt wurden oder schon als Kind vernachlässigt und/oder missbraucht wurden. Viele Frauen haben kein Selbstvertrauen und halten wenig von sich selbst. Sie haben gelernt, negative Gefühle auszublenden und zeigen gegenüber den Freiern keine authentischen Gefühle, sondern nur erwünschtes, dem Geschäft zuträgliches Verhalten. Sie lächeln, obwohl ihnen zum Weinen zumute ist.

Unter welchen Folgen leiden Prostituierte?

Kreuzer: Die körperlichen Folgen sind gravierend. Sie reichen von sexuell übertragbaren Infektionen bis hin zu Unterleibsentzündungen, akuten Verletzungen und chronischen Erkrankungen. Schwerwiegend sind außerdem die psychischen Erkrankungen, wie Angst- und Panikstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen oder Suizidgedanken und Schmerzsyndrome. Deshalb nehmen viele Frauen irgendwelche Drogen wie zum Beispiel Alkohol, Schmerzmittel oder Tranquilizer. Letztere bekommen sie oft von ihrem Zuhälter, damit sie ihrer Tätigkeit überhaupt nachgehen können. Für Prostituierte bestehen nicht nur hohe Gesundheitsrisiken, sondern auch eine um das 40-fache erhöhte Gefahr, ermordet zu werden. Die meisten Frauen haben weder eine Sozial- noch eine Krankenversicherung.

Der käufliche Sex wird in Deutschland durch Gesetze geregelt.

Kreuzer: Das stimmt. Seit 2002 ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig und die Frauen können ihren Lohn einklagen. Prostituierte erhielten Zugang zur Renten- und Sozialversicherung und zur Krankenversicherung. Prostitution sollte ein legaler Beruf werden. Die rot-grüne Regierung, die damals das Gesetz erlassen hat, meinte es gut. Man wollte den Frauen mehr Freiheiten einräumen und Prostitution aus der Schmuddelecke holen. Leider ist das Prostitutionsgesetz nach hinten los gegangen.

Inwiefern?

Kreuzer: Durch die Liberalisierung entstanden in Deutschland viele neue Bordelle. Dadurch wurde Deutschland zum Eldorado der Prostitution, zum „Bordell Europas“ und des Menschenhandels. In den Bordellen herrscht ein rigides Regiment obwohl die Bordellbetreiber den Frauen nicht vorschreiben dürfen, welche Praktiken sie zum Beispiel anbieten. 2017 ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Es soll die Situation von Frauen, die in der Prostitution tätig sind, verbessern und sie vor Menschenhandel, Ausbeutung und Zwang schützen. Prostituierte sind seither verpflichtet, sich bei den Behörden anzumelden und sich regelmäßig gesundheitlich beraten zu lassen. Es wurde auch eine Kondompflicht eingeführt, die aber nicht überprüfbar ist. Außerdem wurde für Bordellbetreiber eine Erlaubnispflicht und einige Auflagen, wie zum Bespiel einen Alarmknopf am Bett eingeführt.

Eine Verbesserung?

Kreuzer: Es handelt sich lediglich um Scheinverbesserungen. Am Grundprinzip hat sich in meinen Augen nichts verändert. Nach wie vor werden Frauen alleine gelassen. Einer neueren Studie zufolge verstößt Prostitution gegen die Menschenwürde. Das Recht auf freie Selbstbestimmung ist nicht gegeben, somit ist Prostitution nicht nur frauenfeindlich, sondern auch ein Demütigungsinstrument.

Wie meinen Sie das?

Kreuzer: Es ist keine Sexualität auf Augenhöhe. Es besteht ein Ungleichgewicht der Macht, weil Frauen zur Ware degradiert werden. Prostitution ist Gewalt gegen Frauen, die die Gleichstellung der Geschlechter behindert. Wir leben in einer liberalisierten Gesellschaft. Warum ist es immer noch möglich, dass Männer die Dienste von Frauen kaufen können?

Ein Ausweg könnte das Nordische Modell sein. In Schweden beispielsweise gibt es bereits ein Kaufverbot für Sex.

Kreuzer: Die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland wäre ein Weg, der längst überfällig ist. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Nicht die Regulierung der Prostitution steht im Vordergrund, sondern der kritische Blick auf die Sexkäufer durch ein Sexkaufverbot. Es geht darum, die Frauen in der Prostitution zu entkriminalisieren. Ihnen soll ein Ausstieg ermöglicht werden. Hierzu brauchen sie Hilfe beispielsweise zum Aufbau einer neuen Existenz. Neben dem Sexkaufverbot sollen auch Zuhälter und Bordellbetreiber kriminalisiert werden. Enorm wichtig ist auch die Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung. Wir brauchen eine antisexistische Erziehung. Es ist eben nicht selbstverständlich, dass sich ein Mann sexuelle Dienstleistungen bei einer Frau kaufen kann.

Prostitution ist in Deutschland legal, oder nicht?

Kreuzer: Nur, wenn die Prostitution im Bordell oder bordellartigen Stätten mit Erlaubnispflicht stattfindet. Prostitution in privaten Wohnungen ist illegal. Dadurch werden Prostituierte in legale Bordelle gezwungen und sind der Ausbeutung von Bordell-Besitzern sowie den Freiern ausgeliefert. Die meisten Frauen haben einen Zuhälter. Die dürfen ihnen bis zu 50 Prozent des Geldes abnehmen. Das ist Ausbeutung und Sklaverei.

Dabei sind die Frauen genau auf dieses Geld angewiesen.

Kreuzer: Die Zimmermiete eines Bordells bewegt sich zwischen 50 und 180 Euro pro Tag. Der übliche Preis für eine halbe Stunde liegt bei 30 Euro. Hinzu kommen die Kosten für Wäsche, Kondome und das Essen. Jetzt muss man sich nur mal ausrechnen, wie viele Freier eine Frau bedienen muss, um allein die Tagesmiete bezahlen zu können.

Ein Nordisches Modell würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Bordelle schließen müssten. Besteht dann nicht die Gefahr, dass mehr im Geheimen passiert?

Kreuzer: Ja, sicher. Das kennen wir ja schon durch die Corona-Pandemie. Die Frauen hatten von heute auf morgen kein Einkommen mehr. Durch die Schließung der Bordelle gab es eine Verlagerung in Hotels und Wohnungen. Aber die Einführung des Nordischen Modells hätte Signalwirkung. Prostitution wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Die Ziele des Nordischen Modells sind langfristig zu sehen, sie sind auf ein Umdenken in der Gesellschaft ausgerichtet. Und, wenn die Freier die Frauen finden, werden die Freier auch von der Polizei gefunden. Davon bin ich überzeugt.

Wie schwierig ist es für Frauen aus der Prostitution auszusteigen?

Kreuzer: Im Moment wahnsinnig schwierig. Denn es gibt äußere und innere Hemmschwellen. Die Hoffnung ist, dass sich das durch die Einführung des Nordischen Modells ändern würde. Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, brauchen ein Bündel von Ausstiegshilfen – sozialer, emotionaler und finanzieller Natur.

Würden verstärkte Kontrollen Ihrer Meinung nach helfen?

Kreuzer: Dadurch lassen sich die Probleme nicht lösen. Es geht um die Eindämmung der Nachfrage und um ein generelles Umdenken und antisexistische Erziehung unserer Nachkommen. Dafür braucht es das Nordische Modell. Dieses garantiert den Betroffenen vollständige Entkriminalisierung und größtmögliche Ausstiegshilfen.

So ist die Lage in Rosenheim

Laut dem städtischen Pressesprecher Christian Schwalm gibt es in Rosenheim – anders als von Dr. Margot Kreuzer dargestellt – neun Bordelle. Vor drei Jahren sind es Schwalm zufolge noch zwölf gewesen. Bordelle benötigen zunächst eine Baugenehmigung mit entsprechenden Auflagen zum Brandschutz. Darüber hinaus ist laut Schwalm eine Erlaubnis nach Paragraf 12 des Prostituiertenschutzgesetzes erforderlich, die ebenfalls mit Auflagen zum Schutz der Prostituierten, der Kunden und zum Jugendschutz auf Antrag erteilt wird. Standardmäßig wird dem Pressesprecher zufolge das Vorhalten eines Notrufsystems/-Konzeptes, der Einbau und Betrieb einer Videoanlage im Eingangsbereich und verschiedener Hygieneeinrichtungen (Toiletten, Duschen etc.) sowie die Anwesenheit einer verantwortlichen Aufsichtsperson gefordert. Im Einzelfall können darüber hinaus weitere Auflagen erforderlich sein. „Die Bordelle werden regelmäßig zwei bis drei Mal pro Jahr vom Ordnungsamt kontrolliert“, sagt Schwalm. Zusätzlich gebe es Kontrollen nach Bedarf. Beispielsweise nach Umbauten oder eines Betreiberwechsels.

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