Besuch in der Stadtbibliothek Rosenheim
Hirntumor: Wie Filmemacher Max Kronawitter mit der lebensgefährlichen Erkrankung umgeht
Die Diagnose Krebs ist ein tiefer Einschnitt im Leben. Auch Max Kronawitter (62) muss sich dem stellen, als bei ihm ein Hirntumor gefunden wird. Im OVB-Exklusiv-Interview erzählt der bekannte Filmemacher, wie er damit umgeht und wie sich sein Leben dadurch verändert hat.
Rosenheim – Max Kronawitter steht mitten im Leben, als bei ihm ein Gehirntumor entdeckt wird. Die Diagnose stellt sein Leben völlig auf den Kopf. Als Filmemacher trifft er oft Menschen in schwierigen Situationen – und jetzt ist er selbst einer davon. Er muss einen Weg finden, mit der Erkrankung umzugehen. Der 62-Jährige lebt in Eurasburg (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) und ist Vater von drei Kindern.
Am 24. Februar kommt Kronawitter nach Rosenheim. In der Stadtbibliothek stellt er sein Buch „Ikarus stürzt“ vor, in dem er von seinem Leben mit einem Hirntumor berichtet. Im Interview mit dem OVB verrät er vorab, wie ihn die Krankheit beeinflusst und warum er sich davor schon viel mit dem Tod beschäftigt hat.
Wie geht es Ihnen heute?
Max Kronawitter: Es ist ein wunderbarer Tag. Ich habe gerade einen Spaziergang gemacht. Ich versuche meine Zeit so positiv und sinnvoll zu gestalten, wie es irgendwie geht. Von daher bin ich ganz zufrieden mit meinem derzeitigen Leben.
Und gesundheitlich?
Kronawitter: Man muss sich irgendwann damit abfinden, dass gewisse Dinge nicht mehr so sind, wie sie waren. Dazu zählt zum Beispiel meine Sehfähigkeit. Ich habe nur noch ein halbes Gesichtsfeld und das schränkt mich sehr ein. Eine weitere Beeinträchtigung ist, dass ich nicht mehr lesen kann. Ich muss es wie ein kleiner Schulbub völlig neu lernen. Diese Einschränkung irritiert am Anfang und macht wütend. Aber wenn man es akzeptiert, lässt es sich damit ganz gut leben.
Diagnose wirft Kronawitters Leben aus der Bahn
Wann haben Sie die Diagnose Hirntumor bekommen und wie wurde er entdeckt?
Kronawitter: Das war vor etwa zwei Jahren. Es fing damit an, dass ich ein Flackern vor den Augen hatte. Ein Freund meinte dann, es wäre Augenmigräne und ich soll mir keine Sorgen machen. Demnach habe ich eine Untersuchung lange hinausgezögert. Bis mich meine Frau zum MRT geschickt hat. Danach wollte ich eigentlich sofort heimfahren, weil ich so viel Arbeit hatte. Meine Frau wollte sich die Bilder noch anschauen. Als ich diesen riesengroßen Knüppel in meinem Hinterkopf gesehen habe, der da nicht hineingehört, war mir sogar als Nichtmediziner klar: Das wird mein Leben völlig aus der Bahn werfen.
Was ging Ihnen in diesem Moment noch durch den Kopf?
Kronawitter: Zunächst ist mir klar geworden: Das ist jetzt das Ende. Ich war ziemlich agil als Filmemacher, bin viel herumgereist. Ich wusste, dass das alles zu Ende ist. Es ging nur noch darum, das in Ordnung zu bringen, was man in Ordnung bringen kann. Den Nachlass zu regeln. Aber ansonsten ist es vorbei mit dem Leben. Erst im Laufe der Monate habe ich gemerkt, es ist noch wahnsinnig viel Leben da. Der Tumor ist das eine, aber es gibt noch so viel Leben außerhalb. Das will wahrgenommen und gelebt werden. Als ich das mal kapiert habe, ist mir alles viel leichter gefallen. Mittlerweile genieße ich jeden Tag und erinnere mich daran, dass vieles möglich ist. Es tun sich jetzt neue Chancen, Gelegenheiten und Lebenswelten auf.
Welche zum Beispiel?
Kronawitter: Es sind viele Menschen auf mich zugekommen, die mir ihr Herz ausgeschüttet haben, die mir Dinge erzählt haben, die sie sonst nie erzählt hätten und mich in Situation mit hineingenommen haben, die sie mich vorher nicht sehen lassen haben. Das Leben mit dem Tumor ist nicht nur ein Schmalspurleben, das mir vieles genommen hat. Es hat mir auch vieles geschenkt und schenkt mir immer noch etwas.
„Tumor ist sehr hartnäckig“
Wie wurde der Tumor behandelt?
Kronawitter: Die Ärzte wollten mich eigentlich sofort operieren. Ich konnte noch ein paar Tage rausschinden, um das Wichtigste zu erledigen. Der Tumor wurde dann entfernt. Aber es handelt sich um ein Glioblastom. Diese Art von Tumor ist sehr hartnäckig. Er lässt sich zwar in Schach halten, geht aber nicht mehr weg. Es wird wohl wieder nachwachsen und irgendwann hat es mich dann.
Wie hat Sie diese Diagnose verändert?
Kronawitter: Ich habe mich schon davor stark mit dem Thema Tod befasst. Es war also nicht komplett neu. Dennoch bin ich hellhöriger und sensibler geworden. Ich nehme zum Beispiel meine Kinder intensiver wahr als vorher. Ich lebe bewusster, weil ich weiß, dass die Tage sehr schnell zu Ende gehen können.
Wie hat Ihre Familie auf die Diagnose reagiert?
Kronawitter: Meine Frau stand neben mir und hat geweint. Meine Kinder waren natürlich auch sehr, sehr betroffen. Aber ich denke, dass wir das ganz gut bewältigt haben. Wir haben viel miteinander geredet. Ich glaube auch, dass mein Buch sehr wichtig für meine Kinder war. Es enthält Nuancen, die man verbal nicht vermittelt bekommt. Ich habe bei meinen Kindern eine ganz andere Betroffenheit festgestellt, als sie dann schwarz auf weiß lesen konnten, was mit mir los ist.
Sagengestalt wird zur Motivation
Worum geht es in Ihrem Buch „Ikarus stürzt“?
Kronawitter: Es ist eine Geschichte über einen Menschen, der mitten im Leben steht und von einem Tag auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen wird. Das Buch ist als Tagebuch geschrieben. Ich konnte nicht selbst schreiben und habe deshalb jeden Tag in ein Diktiergerät gesprochen, was ich erlebt habe. Dabei musste ich auch wieder an viele Menschen denken, über die ich Filme gemacht habe. Sie sind mir zum Helfer geworden, weil mich ihre Geschichten aufbauten. Das Buch ist also auch eine Begegnung mit meinem Leben und meinen Filmen.
Warum haben Sie den Titel „Ikarus stürzt“ gewählt?
Kronawitter: Meine Firma trägt den Namen Ikarus Film. Den habe ich vor 33 Jahren gewählt, weil die Figur des Ikarus mich immer fasziniert hat. Da baut sich einer Flügel und wagt Dinge, die man eigentlich nicht kann. Das war mir eine Motivation, Filme anzugehen, von denen andere lieber die Finger lassen. Einfach mutig zu sein. Deshalb soll das Buch vor allem eine Ermutigung sein.
„Habe ein Mädchen in den Tod begleitet“
Sie haben schon viele Filme gedreht, in denen Sie sich mit schwierigen Themen wie Armut, Krankheit und Tod beschäftigen. Warum?
Kronawitter: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen gerade an der Schwelle zum Tod sehr ehrlich werden. Vorher versucht jeder, möglichst positiv dazustehen und ist oft nicht ehrlich zu sich selbst. Wenn es auf das Lebensende zugeht, lassen viele die Hüllen fallen. Man wird ehrlich und das Leben wird essenziell. Das hat mich immer fasziniert.
Gibt es einen selbst produzierten Film, der Ihnen besonders viel bedeutet?
Kronawitter: Ich habe ein Mädchen in den Tod begleitet. Sie war damals 13 Jahre alt, meine Kinder in einem ähnlichen Alter. Das war schon heftig. Normalerweise versteckt man sich ein Stück weit hinter der Kamera. Aber als sie mich dann gebeten hat, die Trauerrede für sie zu halten, wurde ich mehr in die Familie integriert. Das hat mich sehr mitgenommen und berührt. Nicht umsonst bin ich heute noch mit der Familie sehr verbunden. Wir haben eine intensive Zeit miteinander erlebt.
Lesung in der Stadtbibliothek
Max Kronawitter kommt am 24. Februar mit seinem Buch „Ikarus stürzt“ in die Stadtbibliothek Rosenheim. In dem Buch spricht er offen über die Diagnose Hirntumor und seinen Umgang damit. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr, Einlass ist ab 19 Uhr. Tickets gibt es hier.


